Nur eine Art Vorläuferreligion des Islam

Die beiden Autoren Wolfram Reiss und Rainer Bartsch analysieren die Darstellung des Christentums in arabischen Schulbüchern. Ihr Fazit: Der Begriff religiöser Toleranz spiele darin zwar eine wichtige Rolle, eine untergeordnete dagegen die christliche Glaubensgemeinschaft. Einzelheiten von Götz Nordbruch

Das palästinensische Bildungsministerium bietet einen einzigartigen Service. Auf seiner Website lassen sich alle Schulbücher, die in palästinensischen Schulen verwendet werden, im pdf-Format herunterladen (www.pcdc.edu.ps).

Mit diesem Angebot reagierte das Ministerium auf heftige Kritik, die in der jüngeren Vergangenheit an den Inhalten der palästinensischen Lehrpläne geäußert wurde.

Lehrpläne und Schulbücher stehen im Zentrum politischer Debatten - in Europa, aber nicht weniger im Nahen und Mittleren Osten. Sie erlauben einen Einblick in die herrschenden Wahrnehmungen und Deutungen innergesellschaftlicher, aber auch regionaler und internationaler Konflikte.

Eine jüngst veröffentlichte Studie zur "Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder" macht dies deutlich. Am Beispiel der Länder Ägypten, Palästina, Iran und der Türkei wurden in einem Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Rostock und Erlangen-Nürnberg die jeweiligen Lehrinhalte über die Geschichte und Religion des Christentums analysiert.

Schulbücher als Schlüssel zum Dialog

Die Auseinandersetzung mit Schulbüchern, so heißt es im Vorwort der Studie, sei ein möglicher "Schlüssel für den internationalen pädagogischen und interreligiösen Dialog".

Bei allen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich die untersuchten Länder nicht zuletzt hinsichtlich der in ihnen vorherrschenden staats- und gesellschaftsprägenden Ideologien. Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Geschichte der Beziehungen zum lokalen Christentum und vor allem zum christlichen Europa.

In den Ergebnissen der Untersuchung werden diese Unterschiede sichtbar. Während sich der Religionswissenschaftler und Pfarrer Dr. Wolfram Reiss im ersten Band der Studie den Schulbüchern Ägyptens und Palästinas widmet, untersucht der Turkologe und Islamwissenschaftler Patrick Bartsch im zweiten Band jene der Türkei und des Iran.

Trotz zahlreicher Hinweise auf die Rolle einheimischer christlicher Minderheiten, die in allen vier Ländern existieren, wird die Bedeutung dieser Bevölkerungsgruppen allein in den palästinensischen Schulbüchern ausdrücklich hervorgehoben.

Im Kampf um die palästinensische Nation erscheint deren Rolle nicht allein historisch, sondern ganz aktuell. In zahlreichen Illustrationen aus der Geschichte, aber vor allem auch aus dem heutigen Alltag, zeigen die Schulbücher Muslime und Christen, Moscheen und Kirchen symbolisch nebeneinander.

Der Stellenwert christlicher Minderheiten

Gerade im Vergleich zur Darstellung der christlichen Minderheiten in den ägyptischen Schulbüchern stechen diese Illustrationen ins Auge. Abgesehen von vereinzelten Passagen, in denen die Beteiligung der ägyptischen Christen im ägyptischen Unabhängigkeitskampf angedeutet wird, erscheint die Geschichte der ägyptischen Christen in den Büchern als eine vergangene.

Die Informationen dienen hier vor allem als Bestätigung einer islamischen Toleranz gegenüber anderen Religionen. Nicht weniger bedeutsam sind diese Ausführungen zum Christentum allerdings auch im Zusammenhang mit einem vermeintlich überhistorischen Konflikt mit den Juden, der in einigen ägyptischen Schulbüchern angedeutet wird.

Positive Bezüge auf die christliche Geschichte gehen in diesen Darstellungen auf Kosten der Juden. Die muslimisch-christliche Einheit sei, so wird suggeriert, schon aufgrund der Feindseligkeit der Juden erforderlich.

Der Begriff der religiösen Toleranz spielt in den ägyptischen, palästinensischen und türkischen Schulbüchern eine wichtige Rolle. Als Grundlage für einen interreligiösen Austausch gehört die Betonung der eigenen Toleranz in der Präsentation der eigenen Religion mittlerweile zur Selbstverständlichkeit.

Christentum als früher Ruf zum islamischne Glauben

Das Ausmaß und der Inhalt dieser Toleranz variiert dabei allerdings erheblich, was sich auch in den Schulbüchern abzeichnet. Während vor allem in den palästinensischen Sozialkundebüchern Toleranz im Sinne einer Gleichberechtigung und damit einer Akzeptanz von Unterschieden gelehrt wird, bestehen die ägyptischen Schulbücher auf einer islamischen Interpretation der christlichen Geschichte.

Akzeptiert ist zunächst nur das, was in den islamischen Quellen als christlich beschrieben wird. Das Christentum erscheint so zusammen mit dem Judentum lediglich als Vorläufer des Islam, die Botschaft Moses und Jesu als nichts anderes als ein früher Ruf zum islamischen Glauben.

Obgleich solche Darstellungen oft als Beleg für einen besonderen Respekt gegenüber den monotheistischen Religionen angeführt werden, stellen sie eine solche Anerkennung letztlich gerade in Frage.

Die Annahme, "dass Christentum und Judentum ursprünglich mit dem Islam identisch waren und dass alle ihre Propheten nur die gleiche Botschaft hatten", könne, so Reiss, "dazu führen, dass die real existierenden Vertreter dieser Religionen, die dies nun einmal ganz anders sehen, als Verfälscher der reinen Lehre angesehen werden, deren Erkenntnis man für sich alleine beansprucht. […] Die Folge ist Aberkennung statt Anerkennung, Enterbung statt Anknüpfung."

Mission und universeller Heilsanspruch

Auch ohne einen expliziten Missionierungsauftrag, wie er in den iranischen Schulbüchern notfalls auch mit den Mitteln des Jihads propagiert wird, stellt eine solche Sichtweise die Position der Christen - und Juden - in Frage.

Diese Sichtweise, die – darauf wird in der Studie ausdrücklich hingewiesen – nicht nur das Verhältnis des Islam zum Christentum und Judentum, sondern lange Zeit auch das christlich-jüdische Verhältnis prägte, stellt ein grundlegendes theologisches Problem dar, wird sie doch letztlich durch einen universalen Heilsanspruch nahe gelegt.

Dieser sei, so schreibt Bartsch, "in jeder Religion enthalten, jedoch ist es für ein gemeinsames Miteinander von Religionen eine unabdingbare Grundvoraussetzung, dass man den Andersgläubigen mit seinem Selbstverständnis ernst nimmt und ihm zugesteht, dass auch er für seine Religion Zeugnis ablegen und sie ungehindert praktizieren kann."

Angesichts der deutlichen Unterschiede in den Darstellungen des Christentums in den vier Ländern, die in der Studie herausgearbeitet werden, wird der mögliche Spielraum von Veränderungen sichtbar.

Gerade die neuen palästinensischen Schulbücher bestätigen die Möglichkeit, christliche Sichtweise zu berücksichtigen - wenngleich eine Berücksichtigung jüdischer Perspektiven auch hier noch undenkbar scheint.

Die ideologischen Prämissen, die gerade im Iran, aber in nicht unbedeutender Weise auch in Ägypten das Verhältnis zum Christentum bestimmen, machen dagegen die Grenzen möglicher Veränderungen deutlich.

Eine Veränderung der Schulbücher entsprechend der zahlreichen Verbesserungsvorschläge, die in der Studie formuliert werden, hätte insofern wohl nichts weniger als eine Veränderung des staatlichen Selbstverständnisses selbst zur Voraussetzung.

Götz Nordbruch

© Qantara.de 2006

Wolfram Reiss, Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder. Teil 1: Ägypten und Palästina (Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung, Band 21) EB-Verlag, Hamburg, 2005, 529 Seiten

Rainer Bartsch, Die Darstellung des Christentums in Schulbüchern islamisch geprägter Länder. Teil 2: Türkei und Iran (Pädagogische Beiträge zur Kulturbegegnung, Band 22) EB-Verlag, Hamburg, 2005, 555 Seiten

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