Berlin setzt Hilfe für syrische Rebellenregion um Idlib aus

Die Region um die Stadt Idlib ist Syriens letztes großes Rebellengebiet. Doch nun herrscht dort die Al-Qaida-nahe HTS-Miliz. Zu den Leidtragenden gehören vor allem Frauen und Kinder.

Nach dem Vormarsch einer Al-Qaida-nahen Miliz in der letzten großen syrischen Rebellenprovinz Idlib hat Deutschland die Millionen-Hilfe für dieses Gebiet teilweise ausgesetzt. Das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) stellte vorerst alle Maßnahmen ein, das Auswärtige Amt stoppte sein Stabilisierungsprojekt, wie beide Häuser mitteilten. Vorerst ausgesetzt werden unter anderem Gelder für eine Entbindungsklinik, die voraussichtlich schließen muss.

Aus dem BMZ hieß es am vergangenen Freitag, die Projekte seien suspendiert, aber nicht beendet. Das Ministerium hatte 2019 Mittel in Höhe von 17,4 Millionen Euro für Maßnahmen in der Region geplant, davon rund ein Drittel von anderen Ländern mitfinanziert. Das Auswärtige Amt teilte mit, betroffen seien Projekte im Umfang von 3,5 Millionen Euro, die zur Unterstützung lokaler Verwaltungsstrukturen vorgesehen seien.

Demnach läuft die humanitäre Nothilfe in der Region aber weiter. Die Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatte Anfang des Jahres nach Kämpfen mit rivalisierenden Rebellen weitestgehend die Kontrolle über die Region Idlib im Nordwesten Syriens übernommen. In dem Gebiet herrscht jetzt eine mit ihr verbundene «Rettungsregierung». Die früher unter dem Namen Al-Nusra-Front bekannte HTS-Miliz hat sich offiziell vom Terrornetzwerk Al-Qaida losgesagt. Die Vereinten Nationen sehen sie aber immer noch in Verbindung mit den Dschihadisten.

Die Region Idlib ist nach fast acht Jahren Bürgerkrieg das letzte große Gebiet Syriens unter Kontrolle von Regierungsgegnern. Dort leben rund drei Millionen Menschen, davon fast 1,5 Millionen Flüchtlinge. Die humanitäre Lage ist nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes «äußerst schlecht». Kalte Winter-Temperaturen und heftige Regenfälle setzen den Menschen zu. Viele von ihnen leben in Zelten oder halbfertigen Gebäuden und sind auf Hilfe angewiesen.

Auswärtiges Amt und BMZ sind nach dem HTS-Vormarsch «sehr besorgt», wie sie erklärten. «Die Entwicklung der politischen Lage wird eng beobachtet», teilte das Entwicklungsministerium mit.  

Deutschland hat in der Region vor allem Maßnahmen unterstützt, die die Zivilgesellschaft stärken und eine Grundversorgung sicherstellen sollen. So baute die Organisation Vision Hope International 2015 mit Geldern des BMZ eine Entbindungsklinik auf. Dort würden monatlich mehr als 3.000 Schwangere, gebärende Frauen und Kinder behandelt, sagte der Leiter von Vision Hope, Matthias Leibbrand.

Das BMZ habe ihm vor rund einer Woche über die Aussetzung der Hilfe informiert, erklärte er weiter. Sollten keine anderen Geldgeber gefunden werden, müsse die Klinik bald geschlossen werden. Die Betroffenen seien nicht HTS-Kämpfer, sondern 80 Mitarbeiter sowie die Patienten, sagte Leibbrand: «Das bedeutet eine ganz konkrete Gefährdung von Frauen, Kindern, Säuglingen und Neugeborenen.» Die Mitarbeiter müssten nun zunächst einmal alle entlassen werden.

Seine Organisation arbeite in Syrien mit lokalen Partnern, die nicht mit HTS verbunden seien, sagte Leibbrand weiter. Die Miliz halte sich zurück, weil sie wisse, dass sich Geldgeber bei einer Einmischung zurückziehen könnten. Daran habe auch die Entwicklung in der Region bislang nichts geändert. Idlibs Gesundheits-Direktorat (Idlib Health Directorate/IHD), ein Partner von Vision Hope International, teilte mit, es sei eine «technische Einrichtung, die nichts mit den militärischen und politischen Veränderungen am Boden» zu tun habe.

Der Regionaldirektor der Welthungerhilfe, Dirk Hegmanns, erklärte, humanitäre Organisationen könnten ihre Arbeit weitgehend fortsetzen. «HTS ist sich auch bewusst, dass jede Behinderung dazu führen würde, dass sich die humanitären Organisationen zurückziehen», teilte er mit. «Und damit hätte er die Bevölkerung gegen sich.»

Russland als Verbündeter der syrischen Regierung und die Türkei als Unterstützer der Rebellen hatten sich im vergangenen Jahr auf eine sogenannte Deeskalationszone für die Region Idlib geeinigt. Sie soll eine Offensive verhindern, mit der die Regierungstruppen gedroht hatten.

Beobachter befürchten bei einem Angriff eine neue humanitäre Katastrophe und Flüchtlingswelle Richtung Türkei. Viele der Vertriebenen in Idlib sind bereits einmal vor der Regierung geflohen. (dpa)