Mit dem Schweigen brechen

Während die Geschichten der klugen Märchenerzählerin Scheherazade aus 1001 Nacht unterhalten, schmerzen die Anekdoten der Scheherazade der Moderne: so im neuen Film "Sprich, Scheherazade", der unterschiedlichste Formen männlicher Gewalt gegen Frauen thematisiert. Von Nelly Youssef

​​Am Anfang erwacht die Protagonistin aus einem Albtraum von der ehelichen Wohnung ohne Türen, am Ende sieht man sie, von ihrem Mann halbtot geprügelt, mit geschwollenem Gesicht in die von ihr moderierte Fernsehtalkshow laufen.

Und zwischen diesen beiden starken Szenen erfährt man in dem Film "Erzähl, Scheherazade" noch etliches mehr über andere Nöte und Probleme ägyptischer Frauen.

Bereits vor dem Kinostart hatten Fernsehwerbespots für den Film heftige Debatten ausgelöst. Darin ist die von Mona Zaki gespielte Protagonistin, nur mit einem kurzen Negligé bekleidet, mit ihrem Ehemann im Film in einer leidenschaftlichen Kuss-Szene zu sehen.

Die Aufregung ging gar so weit, dass sich bei Facebook eine Gruppe mit dem Namen "Schade um Dich, Mona" gründete, die beklagte, dass sich die Schauspielerin von ihrer bisherigen Einstellung, ausschließlich in Filmen ohne erotisch-anzügliche Szenen mitzuwirken, wohl offenbar verabschiedet habe.

"Letztlich ist doch alles politisch!"

​​Der Film selbst hat dann mit seiner äußerst sensiblen Thematik unterschiedlichster Formen physischer, psychischer und mentaler Gewalt von Männern gegen Frauen die kontroverse Diskussion erst recht angeheizt.

Drehbuchautor Wahid Hamid und Regisseur Jussri Nasrallah erzählen die Geschichte der Moderatorin Hiba Junis, die in ihrer Late-Night-Talkshow kontroverse politische Fragen aufwirft. Das wiederum erregt den Ärger ihres Mannes, eines Journalisten mit Aussichten auf den Posten des Chefredakteurs.

Als Preis für seine Karriere allerdings, so wird ihm mit massivem Druck von oben klargemacht, soll er seine Frau davon abbringen, weiter für die Regierung brisante Themen in ihrer Sendung öffentlich zu diskutieren.

In dem verzweifelten Versuch, ihre zweite Ehe zu retten, geht Hiba auf die Forderungen ihres Mannes ein und initiiert eine Sendereihe zu Frauenfragen, obwohl sie sich voll und ganz der Tatsache bewusst ist, dass auch Frauenthemen im Kern politische Fragen aufwerfen können. Jedoch ging sie davon aus, dass die Sendung nicht allzu brisant sei. Ihr Mann hingegen warnte sie mit der Bemerkung: "Letztlich ist doch alles politisch!"

Doch wäre Hiba sicher nicht im Traum darauf gekommen, dass es zwischen ihrer eigenen Ehekrise und den Sorgen ihrer weiblichen Talkgäste mehr Ähnlichkeiten geben sollte, als ihr lieb ist.

Intrigen und Parallelwelten

Da ist zum Beispiel die alte Jungfrau Amani, eine Psychiatrie-Patientin, die sich rühmt, Jungfrau geblieben zu sein, weil sie niemals die wahre Liebe gefunden habe.

Immer seien die Männer nur mit Bedingungen an sie herangetreten – etwa, dass sie den Schleier tragen oder ihr gesamtes Gehalt abliefern soll. Oder Safa, die für die Ermordung ihres Liebhabers eine lange Haftstrafe absitzen muss. Dieser hatte sie nach dem Tod ihres Vaters mit ihren beiden Schwestern gleichzeitig betrogen.

Oder die Ärztin Nahed, die nach einer Abtreibung festgenommen wird, als sie allein öffentlich gegen den Mann demonstriert, der sie nach der Übernahme eines Ministerpostens im Stich gelassen hatte. Oder Salma, die ein Doppelleben führt: Vormittags arbeitet sie unverschleiert als Verkäuferin in einer Parfümerie, nachmittags jedoch trägt sie in ihrem Viertel, in einem der vielen wild gewachsenen Slums, brav das Kopftuch.

Neben dem Einblick, den uns die Moderatorin mit der schonungslosen Sezierung der ägyptischen Gesellschaft von heute in ihrer Sendung gewährt, erfährt der Zuschauer aber auch mehr über das Leben dieser zerrissenen Frau: Ihr Mann unterdrückt sie zunehmend gewaltsam, was am Ende in der erwähnten Prügelszene gipfelt, in der er ihr die Schuld dafür zuschiebt, den ersehnten Posten nicht bekommen zu haben.

Hinter dem "intellektuellen Schleier"

Der Film "Sprich, Scheherazade" habe deshalb Kritik hervorgerufen aus, weil hinter den Kulissen der ägyptischen Gesellschaft bestimmte Kräfte, so genannte "graue Eminenzen", den Status Quo der Unterordnung der Frauen in der Gesellschaft wahren wollten, meint Drehbuchautor Wahid Hamid im Gespräch mit Qantara.de.

Hier würde nun aber mutig und unerschrocken eine neue Art modern konzipierter Beziehungen geschildert und die Doppelmoral der Gesellschaft vorgeführt, die ihr wahres Gesicht hinter einem aufgesetzten "intellektuellen Schleier" verstecke.

Gewaltszene im Film ; Foto: Nelly Youssef
Der Film ist ein Appell Hamids an alle Scheherazades der Moderne, sich gegen ihre despotischen Herren zu erheben, die ihre privilegierte Stellung als Mann schamlos ausnutzten.

​​Der Film ist ein Appell Hamids an alle Scheherazades der Moderne, sich gegen ihre despotischen Herren zu erheben, die ihre privilegierte Stellung als Mann schamlos ausnutzten.

Dabei sollten sich doch insbesondere Männer eigentlich durch ehrliches, ehrenhaftes und moralisches Verhalten verdient machen und nicht, wie in der ägyptischen Gesellschaft leider oftmals üblich, vor allem durch Willkürakte zum Beweis ihrer Männlichkeit.

Auch die Kopftuch-Problematik zeigt der Film in aller Deutlichkeit auf. Die ansonsten unverschleierte Protagonistin sieht sich nämlich in der U-Bahn veranlasst, ein Kopftuch überzustreifen, um nicht aufzufallen.

Drehbuchautor Hamid erläutert in diesem Zusammenhang, dass dieses Phänomen in letzter Zeit in der ägyptischen Öffentlichkeit derart um sich gegriffen habe, dass Frauen ohne Kopftuch sich regelrecht einem massiven Druck ausgesetzt fühlen.

Es gehe ihm, so betont er Autor, dabei nun keinesfalls darum, einer Kopftuchträgerin das Recht auf ihre Bedeckung abzusprechen, doch halte er es umgekehrt auch nicht für rechtens, Frauen mit offenen Haaren als unsittlich abzustempeln.

Die Selbstachtung wiedergewinnen

Um Religion dürfe man nicht feilschen. Dies gilt umso mehr, als tatsächlich schätzungsweise die Hälfte der arbeitenden Frauen wie Salma unverschleiert ihrer Arbeit nach gehen, in ihrem Wohnumfeld dagegen ein Kopftuch anlegen.

Der Filmtitel wiederum sei bewusst in Anspielung auf "Tausendundeine Nacht" gewählt worden. Am Ende jeder Erzählung heißt es dort: "Und Scheherazade schwieg." Mit seinem Film dagegen will Hamid die moderne Scheherazade dazu ermutigen, mit dem Schweigen zu brechen. Denn nur so könne sie sich in einer Zeit, in der sie mit dem Verweis auf die "guten Sitten", die Befleckung ihres Rufes oder ähnliches zum Schweigen gebracht werde, emanzipieren oder zumindest ihre Selbstachtung zurückgewinnen.

Regisseur Jussri Nasrallah reizte an dem Drehbuch besonders, dass es hier "um Menschen geht, die sich nach verheerenden Niederlagen wieder aufraffen können." Sie verkriechen sich nicht in ihre Opferrolle, sondern werden dadurch im Gegenteil erst recht zu Rebellen.

In der Folge wirkt die Handlung - trotz der oft verstörenden Ereignisse, wie zum Beispiel die Abtreibung, die Ermordung des Liebhabers oder die Prügelszene -, kaum wehleidig oder deprimierend.

Den inneren Widerspruch, das Doppelzüngigkeit der ägyptischen Gesellschaft erklärt Nasrallah damit, dass Menschen hier anderes Leben führen als sie es mit Worten propagieren. Ein Beispiel: In Ägypten kann man durchaus auf der Straße auch junge Frauen mit Kopftuch sehen, die gleichzeitig auf ihrem T-Shirt verkünden: "I love Sex".

Der gesellschaftliche Druck führt dazu, dass Frauen mittlerweile Kopftuch tragen, nur um ihm zu entkommen, nach dem Motto: Mit Kopftuch ist ein untadeliger Lebenswandel zweifelsfrei demonstriert – und auch Belästigungen wird so effizient vorgebeugt. Doch Widersprüche in ein und derselben Person sind damit programmiert.

Ein Teufelskreis allseitiger Unterdrückung

Nasrallah unterstreicht allerdings, dass der Film keineswegs männerfeindlich konzipiert sei, sondern vielmehr auch Männer als Opfer von Unterdrückung durch Beruf, Ehrgeiz und die Forderungen der Gesellschaft ausweise. Diesen Druck wiederum lassen Männer dann gewaltsam an Frauen aus: Ein Teufelskreis allseitiger Unterdrückung.

Mona Zaki im Film; Foto: Nelly Youssef
Hauptdarstellerin Mona Zaki (links) macht darauf aufmerksam, dass es mittlerweile zwar viele frauenfreundliche Gesetze gibt, dass sich jedoch viele Frauen ihrer Rechte im Alltag nicht genügend bewusst sind.

​​ Hauptdarstellerin Mona Zaki verweist darauf, dass es mittlerweile zwar viele frauenfreundliche Gesetze gäbe (wie zum Beispiel eine neue Quotenregelung für das Parlament), dass sich jedoch viele Frauen ihrer Rechte im Alltag nicht genügend bewusst seien.

"Unser Film richtet sich an die Frauen – er soll sie dazu ermuntern, ihre Probleme offen anzugehen und auszusprechen. Ich denke, das wird den Kampf der Frauen für mehr Emanzipation ideal ergänzen", betont Zaki.

Der Filmkritiker Alaa Taufik schließt sich dagegen der Kritik an der gehäuften Darstellung von Sexualität im Film an: "Der Film reduziert Frauen auf ihre Existenz als sexuelle Wesen. Die Protagonistinnen werden zu Opfern der Unterdrückung, weil sie sich, wie sie glauben, aus Liebe, zu Verrat und sexuellen Handlungen hinreißen lassen."

Somit tue der Film den Frauen selbst Unrecht und unterdrücke sie. Emanzipation bleibe lediglich eine immer wieder gern verwendete, jedoch leere Worthülse, ohne dass ernsthaft auf dieses Thema eingegangen werde, meint Taufik.

Des Weiteren seien männliche Dominanz und Sexualität in der Gesellschaft derzeit ohnehin Lieblingsthemen ägyptischer Regisseure, weil sie so schön unverfänglich seien. Die Regierung nähme daran keinen Anstoß, sondern betrachte sie sogar eher noch mit Wohlwollen, denn dem Westen gegenüber vermittle man so den Eindruck fortschrittlicher Aufgeschlossenheit.

Heftige Kritik und helle Begeisterung

Eine ganz andere Ansicht vertritt der Filmkritiker Hazem al-Hadidi: Der Film schildere die wirklichen Probleme von Frauen und die Doppelmoral der Gesellschaft. Letztere zeige sich im Übrigen auch bei der Rezeption des Films: Einerseits hagelte es heftige Kritik, andererseits kam es zum Massenandrang in den Kinos, mit Einnahmen von mehr als 15 Millionen ägyptischen Pfund in nur zwei Wochen.

Mehrere Zuschauerinnen bestätigten, dass sich ihrer Ansicht nach auf der Leinwand sehr realistische Szenen abspielten, die ihnen aus eigener Erfahrung vertraut seien. Frauen hätten sich in den Gesellschaften des Nahen Ostens tatsächlich dem Willen des Mannes unterzuordnen, zunächst dem ihres Vaters, später dem ihres Mannes.

Wann immer sie versuchten, sich davon zu befreien, seien sie verstärkt einem gesellschaftlichem Druck ausgesetzt: Sitten und Gebräuche oder der religiöse Begriff der "Sünde" würden dann bemüht, um solche Aktionen zu unterbinden.

Nelly Youssef

© Qantara.de 2009

Aus dem Arabischen von Nicola Abbas

Qantara.de
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