Geschichten aus dem Koran auf dem Weg zum Frieden

Der Vorsitzende der "Cordoba-Initiative", Imam Feisal Abdul Rauf, plädiert in seinem Essay dafür, dass muslimische wie jüdische Organisationen lernen müssen, ihre interreligiösen Grabenkämpfe zu überwinden, um sich gemeinsam für den Frieden zu engagieren.

Imam Feisal Abdul Rauf; Foto: &copy Cordoba Initiative
Imam Feisal Abdul Rauf ist Vorsitzender der "Cordoba-Initiative", die sich der Verbesserung der Beziehungen zwischen den Muslimen und dem Westen widmet.

​​ Ich sehe den israelisch-palästinensischen Konflikt noch immer als das mit Abstand größte Hindernis für die Überwindung des muslimisch-jüdischen Gegensatzes. Auch wenn es bei diesem Disput vor allem um die Verteilung von Gütern und Vermögen geht sowie um Entscheidungsgewalt, wird es doch oft als Streit zweier Religionen dargestellt.

Und nur zu oft verwenden die beiden Seiten dabei irreführende oder aus dem Zusammenhang gerissene Interpretationen der Schriften des jeweiligen Gegenübers, um diesen zu dämonisieren und sich der Verpflichtung zu entledigen, den Weg des Friedens zu beschreiten.

Aus islamischer Perspektive ist dies besonders töricht, da uns im Koran zahlreiche mächtige Prinzipien und Erzählungen mitgegeben wurden, die uns den Weg zu Gerechtigkeit, Frieden und gemeinschaftlicher Harmonie auferlegen. Deshalb ist es meine Überzeugung, dass, selbst wenn die Religion keinen Anteil am eigentlichen Problem zwischen den Israelis und Palästinensern hat, sie doch ein Teil der Lösung ist.

Die Bedeutung religiöser Ethik

Nach der Schrift sind Muslime und Juden verbunden durch das Erbe Abrahams, niedergelegt in der abrahamitischen Ethik, die im Kern ein Monotheismus ist, dessen Kernelemente menschliche Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind.

Der Koran betont immer wieder die Notwendigkeit, diese Ethik wiederherzustellen und sagt, dass Mohammed und alle früheren Propheten genau dieses im Sinn hatten. "Die Menschen, die Ibrāhīm am nächsten stehen, sind wahrlich diejenigen, die ihm folgten, sowie dieser Prophet [Mohammed] und die, die (mit ihm) glauben." (Koran, 3:68)

Der Islam definiert sich selbst nicht so sehr als Religion Mohammeds, sondern vielmehr als Religion Gottes, einst gegründet durch Abraham. Und aus eben diesem gemeinsamen Erbe rührt der Name, den der Koran den Juden (wie den Christen) gegeben hat: "Leute des Buchs" ("ahl al-kitab") oder Buchreligionen.

Muslim liest den Koran; Foto: dpa
Der Koran als "tiefe Inspiration für den Dialog, für Zusammenarbeit und Frieden unter den Religionsgemeinschaften"

​​ Muslime glauben, dass Gott über die Propheten den Juden Schriften sandte, die die göttlichen Lehren enthielten. Insofern besitzen sie die wahre Religion. Wer dies leugnet, widerspricht dem Koran, der nicht nur die Ähnlichkeit der Juden mit den Muslimen anerkennt, sondern sie mit ihnen gleichsetzt:

"Und sagt [zu den Leuten der Schrift]: 'Wir glauben an das, was (als Offenbarung) zu uns herabgesandt worden ist und zu euch herabgesandt worden ist, unser Gott und euer Gott ist einer, und wir sind ihm ergeben.'" (Koran, 29:46).

Dies bedeutet, dass, wenn es sicher auch Zwistigkeiten zwischen uns gibt, es sich doch nur um Auseinandersetzungen innerhalb einer Familie handelt.

Der Koran kritisiert die Juden dafür, die Tora nicht zu befolgen, er moniert einen exzessiven Legalismus und für einen übertriebenen Autoritarismus auf Seiten einzelner Rabbis. Diese Passagen wurden manipuliert, um die Juden zu denunzieren und sie auf unfaire Art und Weise für die Probleme der heutigen Zeit verantwortlich zu machen.

Keine Verurteilung durch den Koran

Dabei findet sich im Koran keine Kritik an den Juden, die die Juden selbst nicht auch an sich und ihrer Tradition üben würden. Zudem kann kein Muslim verneinen, dass es sich bei vielen dieser Fehler um universelle, menschliche Fehler handelt – Schwächen, die jeder religiösen Gemeinschaft eigen sind, auch unserer muslimischen. Tatsächlich verurteilt der Koran kein einziges Volk in Gänze, da die kritischen Verse neben denen stehen, in denen die Rechtschaffenen hervorgehoben werden.

Unsere Aufgabe ist es deshalb, unsere Gemeinschaften nicht im Namen der Religion in feindliche Lager zu spalten, so wie einige es getan haben. Gottes Aufruf an die Juden und Christen, wie auch an die Muslime, ist heute noch genauso richtig, relevant und notwendig wie damals, als er vor mehr als vierzehn Jahrhunderten erstmals offenbart wurde:

"Oh, Leute der Schrift, kommt her zu einem unter uns und euch gleichen Wort, dass wir niemandem dienen außer Gott und ihm nichts beigesellen und sich nicht die einen von uns die anderen zu Herren außer Gott nehmen." (Koran, 3:64).

Diese Passage und andere stellen eine tiefe Inspiration für den Dialog dar, für Zusammenarbeit und Frieden unter den Religionsgemeinschaften.

Für einen aktiven Dialog

Der Dialog bietet, als erster Schritt, die Möglichkeit, die gemeinsame Basis der Werte offenzulegen, denen wir uns verpflichtet fühlen; die Ziele, die in unseren Glauben mitschwingen und Beziehungen schmieden, die von Verbundenheit und Vertrauen geprägt sind, was es uns ermöglicht, nach echter Zusammenarbeit zu streben. Solch einen, auf Taten gegründeten Dialog befürworte ich, einen, der sich nicht allein auf das Reden beschränkt.

Muslimische wie jüdische Organisationen und Institutionen müssen Koalitionen bilden und sich gemeinsam für den Frieden engagieren. Auch wenn dies in vielen Bereichen praktiziert werden sollte, ist doch die Ebene der religiösen Führung, unter Imamen, Rabbis und gläubigen Aktivisten – wohl der schwierigste Bereich.

Symbolbild Weltreligionen Islam und Christentum; Foto: AP
Plädoyer für einen auf Taten gegründeten Dialog: Muslimische wie jüdische Organisationen und Institutionen müssen Koalitionen bilden und sich gemeinsam für den Frieden engagieren, meint Imam Feisal Abdul Rauf.

​​Diese Freundschaften und Partnerschaften sind es, die Israel, Palästina und der gesamten Region einen gerechten Frieden bringen können. Und sie tragen zu einem positiven Wandel im Verhältnis zwischen Muslimen und Juden weltweit bei.

Diese Arbeit für einen stetigen Wandel kann ihre Inspiration aus der bemerkenswerten Ära des Kalifats von Cordoba im heutigen Spanien beziehen. Auf seinem Höhepunkt, im 11. und 12. Jahrhundert, war Cordoba die aufgeklärteste, pluralistischste und toleranteste Stadt der Welt. Muslime und Juden hatten eine besondere Beziehung zueinander.

Meine eigene Organisation, die "Cordoba Society", widmet sich diesem Erbe, um die Beziehung zwischen Juden und Muslimen wieder zu einer der Zusammenarbeit zu machen - zu einer Gemeinschaft, die sich den gemeinsamen Werten und Interessen verpflichtet fühlt.

Dafür haben wir ein leistungsfähiges Modell eines an Taten orientierten und auf den Glauben gegründeten Dialogs entwickelt, um in der kommenden Dekade zu einer Wende in den Beziehungen zwischen den Muslimen und dem Westen zu gelangen – und dies auch in Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Darin, so glaube ich, besteht der Auftrag Abrahams.

Imam Feisal Abdul Rauf

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

© Common Ground News Service (CGNews) 2010

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