Die entzauberte Revolution

Das politische System in Iran bleibt auch nach 25 Revolutionsjahren erstarrt. An einer wirklichen Reform im Rahmen der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" zweifeln nicht nur junge Iraner, sondern auch Teile der Geistlichkeit, wie Ali Sadrzadeh berichtet.

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Allein mit dem Imam: Irans geistiger Führer Chamenei

​​"In einem Sinne haben diese 25 Jahre die iranische Bevölkerung weitergebracht. Denn sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich mit diesem Feuer kein Wasser kochen lässt - das heißt, dass sich mit dem politischen Islam keine ideale Gesellschaft errichten lässt. Diese Erfahrung ist enorm, sie ist – wenn Sie wollen – die eigentliche Errungenschaft der Islamischen Revolution…!"

Wären dies die Worte eines Exiliraners oder die eines "verwestlichten" Akademikers aus irgendeinem wohlhabenden Stadtteil im Norden Teherans, würde man dies wahrscheinlich dem Wunschdenken und den Übertreibungen zuschreiben, die man nur allzu oft in solchen Kreisen hört. Doch die eigentliche Sprengkraft dieser Aussage wird erst sichtbar, wenn man begreift, dass sie von einem Mullah aus der heiligen Stadt Qom stammt – der Hochburg der erzkonservativen Geistlichkeit.

Die Worte stammen von Ahmad Ghabel. Er ist in der theologischen Schule ("Househ") dieser Stadt eine anerkannte Autorität, obwohl er mit seinen 50 Jahren noch als jung gilt. Autorität ist hier auch eine Altersfrage. Ghabel gibt gemeinsam mit seinen Gesinnungsgenossen eine Monatszeitschrift heraus, die sich hauptsächlich mit aktuellen philosophischen, theologischen und politischen Fragen beschäftigt.

Land der leeren Moscheen

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Mullahs lesen Zeitung in Qom

​​Und weil er kein Blatt vor den Mund nimmt und für seine offene Meinungsäußerung bekannt ist, gilt er als eine Art Geheimtipp für ausländische Journalisten, die einiges über die Stimmung innerhalb der iranischen Geistlichkeit erfahren wollen.

Man braucht kein Theologe oder Politiker zu sein, um zu begreifen, wie recht Ahmad Ghabel hat. Denn nirgendwo in der islamischen Welt sind die Moscheen so leer, wie in der Islamischen Republik. Und nirgendwo ist die Sehnsucht nach einem westlichen Lebensmodell so groß, wie in Iran.

Als die USA unmittelbar nach dem 11. September 2001 herausfinden wollten, warum sie in der moslemischen Öffentlichkeit so verhasst sind, startete das berühmte Meinungsforschungsinstitut Gallup eine Umfrage, die sich von Sudan bis Indonesien erstreckte. Ein Ergebnis dieser Umfrage: Iran ist das Amerika-freundlichste Land der islamischen Welt.

Gescheiterte Revolution und vaterlose Gesellschaft

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Khomeinis Rückkehr aus dem Exil 1979

​​Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Ironie der Geschichte. Denn alle Revolutionäre, die vor 25 Jahren den Sturz des Schahs auf ihrer Fahne geschrieben hatten, waren Nationalisten, Linke oder Islamisten, alle wollten vor allem eines erreichen: Alles Amerikanische, Westliche sollte aus der Volksseele vertrieben werden. So gesehen gelten heute alle Revolutionäre dieser Zeit – an ihrer Spitze die Geistlichkeit – als gescheitert.

Doch dieses Scheitern hat noch eine tiefere Bedeutung. Durch diese gescheiterte Revolution ist der Iran zu einer "vaterlosen Gesellschaft" verkommen. Zweidrittel der Iraner sind heute genauso jung oder noch jünger als die Revolution und sie machen ihre Väter für den jetzigen Zustand verantwortlich.

Für die offizielle Propaganda der Islamischen Republik, hat die Mehrheit der Jugend nur ein bitteres Lächeln übrig. Und auch für die Rechtfertigungen der Familienväter, man habe eine bessere Gesellschaft gewollt, aber die Mullahs hätten sie verhindert, hat die heutige Jugend kein Verständnis. Schließlich ist sie heute – dank Internet und Satelliten-Fernsehen bei weitem besser informiert als ihre Väter.

Verlorene Glaubwürdigkeit

Die jüngere Generation will sich nicht instrumentalisieren lassen. Ein aktuelles Beispiel: Wochenlang hat eine Gruppe reformorientierter Abgeordneter im iranischen Parlament einen Sitz- und Hungerstreik veranstaltet, um gegen den Ausschluss der Kandidaten für die anstehende Wahl durch den konservativen Wächterrat zu protestieren. Diese Aktion war spektakulär und fand in den ausländischen Medien eine große Resonanz. Doch die jungen Iraner, die vor sieben Jahren die Reformer an die Macht gebracht hatten, zeigen sich desinteressiert.

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Sitzstreik iranischer Abgeordneter

​​Ahmad Dasseh, der Parlamentsabgeordnete aus dem iranischen Kurdistan kann diese Enttäuschung sehr gut verstehen, doch zu spät: "Dass die Menschen über das Parlament sehr enttäuscht sind, ist mehr als verständlich. Denn alle Beschlüsse dieses Parlaments, die wir zugunsten der Bevölkerung verabschiedet hatten, wurden vom Wächterrat abgelehnt", meint Dasseh und betont: "Wir hätten schon von Anfang an dagegen Widerstand leisten müssen, wir hätten die protestierenden Studenten unterstützen müssen. Und ich frage mich, warum wir damals nicht einen Sitzstreik machten, als unsere Gesetze zum Verbot der Folter und zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau abgelehnt wurden.

Schon damals hätten die Iraner ihre Stimme erheben müssen, so Dasseh: "Wir haben geschwiegen, und daher gebe ich der Bevölkerung Recht, wenn sie jetzt unseren Sitzstreik einfach ignoriert. Wir besitzen, ehrlich gesagt, keine Glaubwürdigkeit!"

Dieses Lavieren, über das sich der Abgeordnete Dasseh jetzt ärgert, gehörte von Anfang an zum Bestandteil der Politik der so genannten Reformer. Präsident Chatami selbst gilt als "Inkarnation dieses Lavierens und Taktierens".

Die Ohnmacht der Reformer

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Enttäuschte Hoffnung: Präsident Chatami

​​Seine siebenjährige Amtszeit hat zudem gezeigt, dass die Islamische Republik nicht reformierbar ist, denn die Islamische Republik stellt einen Widerspruch in sich dar. Stets musste das Republikanische zurückstecken, wenn die Erzkonservativen auf ihrem Islam beharrten. Deshalb haben die einstigen Wähler Chatamis längst die Wertlosigkeit ihrer Stimmen begriffen.

Die letzten Wahlen fanden vor genau einem Jahr statt, als die Gemeinderäte zu besetzen waren. So groß war die Enttäuschung, dass in der Hauptstadt nur 15 % der Berechtigten wählen ging.

Das Prinzip der "Herrschaft der Rechtsgelehrten" ("Welayat-e Faghih") ist in der Verfassung der Islamischen Republik so tief verankert, dass heute der Ruf nach einem Referendum für eine Änderung dieser Verfassung lauter wird.

Politischer Bruch mit der Elterngeneration

Noch interessanter ist ein anderes Phänomen: Die Mehrheit der Bevölkerung, die im Grunde genommen ein anderes System als das jetzige haben will und deren Alltag unglaublich schwierig ist – zwei , ja manchmal drei Jobs gehören zur Normalität und fast die Hälfte der jungen Iraner ist arbeitslos – diese Mehrheit ist im Gegensatz zur Generation ihrer Väter nicht revolutionär eingestellt.

Sie will keinen gewaltsamen Sturz – nicht nur, weil sie die Brutalität der Herrschenden fürchtet – sondern weil sie auch keine Alternative sieht. Mit anderen Worten: Nicht jeder, der gegen die Mullahs ist, ist für sie damit auch akzeptabel. Und das ist der wesentliche Unterschied zur jener Atmosphäre, die vor 25 Jahren herrschte.

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Der Revolution entfremdet: Jugend im Iran

​​Viele sind auch nicht so naiv wie ihre Väter und schenken daher ihr Vertrauen nicht blind irgendeiner Gruppe oder Person, die sich als "Retter des Volkes" zu erkennen gibt. Das ist sicherlich ein Zeichen der Reife. So gesehen, kann man durchaus optimistisch sein.

Denn die Generation der Revolutionäre hat ausgedient , die Zukunft gehört einer skeptisch gesonnenen Jugend in Iran und das muss auch Europa begreifen, das momentan dabei ist, seine Beziehungen zu den Herrschenden im Iran zu intensivieren.

Die pragmatisch orientierten Mullahs werden für die Zementierung ihrer Herrschaft alles, was Europa von ihnen verlangt, hinnehmen – über den Irak und Afghanistan mit dem Westen kooperieren, das Zusatzprotokoll des Atomsperrvertrags unterschreiben und auch bereitwillig al-Qaida-Terroristen ausliefern.

Doch in dem Augenblick, wo ihre Macht wackelt, werden sie zu ihren alten Methoden zurückkehren. Mit anderen Worten: Eine endgültige Integration der Islamischen Republik in die Weltgemeinschaft wird scheitern, wenn sich die Herrschenden von der eigenen Bevölkerung bedroht fühlen. Darum ist eine Normalisierung der Beziehung mit dem Iran auf längere Sicht undenkbar, wenn die Interessen der jüngeren Generation nicht berücksichtigt werden.

Ali Sadrzadeh, © Qantara.de 2004

Der Iraner Ali Sadrzadeh studierte Politikwissenschaften und Germanistik an den Universitäten in Kiel und Frankfurt am Main. Er arbeitet heute als Hörfunkredakteur des Hessischen Rundfunks und als Nordafrika-Korrespondent der ARD.

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