Von Nollywood lernen

In Nigeria werden mittlerweile mehr Filme gedreht als in Indien oder den USA. Aber statt in großen Kinosälen gezeigt zu werden, kursieren die Filme als Raubkopien, weiß Lena Kuder zu berichten.

Plakat Hollywood goes Nigeria
Plakat Hollywood goes Nigeria

​​"Vor einigen Jahren noch dachten die meisten, dass das, was aus Nigeria kommt, ohnehin samt und sonders Müll sei", klagt Peace Anyiam-Fiberesima. Die Filmproduzentin ist davon überzeugt, dass Europa etwas vom nigerianischen Kino lernen kann.

Derzeit werden im bevölkerungsreichsten Land Afrikas mit rund 1.500 Titeln pro Jahr mehr Filme produziert als in Indien oder den Vereinigten Staaten. Ein Großteil der Filme wird innerhalb weniger Tage produziert und auf Videokassetten angeboten. Das Budget bewegt sich pro Film meist zwischen 100.000 und 250.000 Naira (rund 600 bis 1.500 Euro).

Als simple VHS-Kassetten werden die Titel bis zu 200.000 Mal verkauft und erreichen über die 15.000 Videoclubs im Land ein Millionenpublikum. Dabei werden alle Genres bedient, seien es Melodramen, Liebesfilme oder Actionthriller.

Horrorfilme als Vorlagen

Als Kreuzung aus Kino und Fernsehen kombinieren die Filme häufig traditionelle Filmelemente mit Stilformen der globalen Medienkultur. Als Inspirationsquelle dienen amerikanische Horror-Streifen gleichermaßen wie das indische Bollywood-Kino oder lateinamerikanische Seifenopern.

"Technische Effekte spielen für den Erfolg eine geringe Rolle", meint der nigerianische Filmwissenschaftler Onokoome Okome. Weitaus wichtiger sei die Art, in der globale Probleme auf einer persönlichen Ebene abgehandelt würden. "Die Geschichte des Mannes von der Straße, der durch einen kriminellen Akt plötzlich reich wird und sich gegen den Kapitalismus stemmt, ist ein sehr beliebtes Sujet."

Raubkopien statt Kinosäle

Das Kernproblem des nigerianischen Kinomarkts ist die Piraterie. Populäre Videofilme werden sofort raubkopiert, nicht zuletzt auch von den beauftragten Vertriebshändlern selbst. Und auch in den Videoclubs werden die Kassetten häufig ausgeliehen, ohne dass der Gewinn durch die Leihgebühren zurück in die Industrie fließt.

Darunter leidet zwar auch Peace Anyiam-Fiberesima, dennoch weiß sie, dass die Raubkopien für viele Afrikaner aus finanziellen Gründen die einzige Möglichkeit sind, sich überhaupt einen der Filme anzusehen.

Umso wichtiger sei es für die afrikanische Filmproduktion, Filme hervorzubringen, die nicht nur in einzelnen afrikanischen Ländern zirkulieren, sondern in der Lage sind, grenzüberschreitend die Kinosäle zu füllen. Okome fordert eine angemessene Ausbildung für afrikanische Regisseure, Schauspieler und Produzenten.

"Europa solle nigerianischer werden"

Um in den internationalen Verleih vorzudringen, so Esther van Messel vom Weltvertrieb First Hands Films, sollten sich die afrikanischen Filme nicht nach dem Vorbild des amerikanischen oder europäischen Kinos richten. Europa solle eher nigerianischer werden als umgekehrt.

Es komme nicht auf die Herkunft an oder darauf, ob der Film auf Zelluloid oder Video gedreht sei. "Wenn die Geschichte des Films gut ist, wenn er getragen ist von starken Emotionen wie Liebe und Trauer oder eine moralische Botschaft transportiert, dann wird der Film reisen", versprach van Messel, um dann aber doch noch eine augenzwinkernde Warnung hinzuzufügen: "Filme, die in epischer Länge von rituellen Kulthandlungen oder Beerdigungen handeln, könnt ihr bei euch in Afrika behalten".

Kein einheitliches Filmschaffen

Seinen Ursprung hat die afrikanische audiovisuelle Unterhaltungsindustrie im Yoruba-Wandertheater, das 1988 damit begann, seine Stücke zu verfilmen. Um kostengünstig zu drehen, verwendete man zunächst billige Trägermaterialien und drehte schließlich auf Video.

Von einem einheitlichen nigerianischen Videofilm-Schaffen lässt sich jedoch nicht sprechen: Die Yoruba und die Haussa produzieren vorrangig für ihre eigenen Volksgruppen – auf Yoruba beziehungsweise Haussa und ohne Untertitel –, während nur die Igbo sowohl in ihrer eigenen Sprache als auch auf Englisch drehen.

Lena Kuder

© Zeitschrift für KulturAustausch 1/04