Libysche Morgenluft

Nach der Annäherung zwischen Libyen und Europa wittern Unternehmer Morgenluft. Die deutsche Wirtschaft sieht Chancen, ohne in Euphorie zu verfallen.

Gaddafi und EU-Kommissionschef Prodi , Foto: AP
Gaddafi und EU-Kommissionschef Prodi

​​Geschäfte mit Libyen sind wieder salonfähig. Der Wiederaufstieg vom einstigen Paria zum seriösen Handelspartner vollzieht sich rasant. Im März besuchte Großbritanniens Premierminister Tony Blair den Lenker des Wüstenstaates, in der vergangenen Woche hoben die USA ihre Handelssanktionen gegen Libyen nach 18 Jahren weitgehend auf. Am Dienstag (27.4.) schließlich traf sich Gaddafi mit EU-Kommissionspräsident Romano Prodi. Wirtschaftsexperten aus Deutschland sagen, dass auch hier das Interesse an Libyen steigt. Beim Deutschen Industrie und Handelskammertrag erwägt man bereits, einen Wirtschaftsführer für Libyen zu erstellen.

In der Wüste lockt das Öl

Interessant sind vor allem die riesigen Ölvorkommen in Libyen: Das nordafrikanische Land ist Deutschlands viertwichtigster Erdöllieferant. Im Gegenzug gehen über 90 Prozent der Einnahmen der libyschen Volkswirtschaft auf Ölexporte zurück. Die Wirtschafts- und Haushaltslage Libyens hängt deshalb stark von der Entwicklung des Erdölpreises ab. Derzeit nimmt der Wüstenstaat jährlich zwölf Milliarden US-Dollar ein - und gibt nur knapp sieben Milliarden Dollar für Importe aus. Da bleibt ein breiter Spielraum für weitere Investitionen oder eine Erhöhung der Einfuhren.

Jochen Münker, Experte für Nordafrika und den Nahen Osten beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Berlin, hält den libyschen Markt für äußerst attraktiv: "Libyen gehört zu den noch wenig erschlossenen Märkten im gesamten Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika, und insofern gibt es natürlich ein enormes Potenzial. Es ist auch der reichste Markt Nordafrikas mit einem geschätzten Pro-Kopf-Einkommen von 4.000 bis 6.000 US-Dollar." Die groben Zahlen bezüglich des Einkommens verdeutlichen Münker zufolge jedoch ein grundsätzliches Manko: "Es gibt so gut wie kein statistisches Datenmaterial. Libyen ist ein Land ohne Straßennamen und Hausnummern - Sie sind in Libyen vollkommen auf persönliche Kontakte angewiesen."

Noch ist der Sozialismus zu spüren

Immerhin suchen schon die Kasseler Wintershall AG und die Hamburger RWE-DEA AG in Libyen nach Öl - rund 70 Prozent des riesigen Wüstenstaates sind bislang noch überhaupt nicht geologisch auf mögliche Ölvorkommen untersucht. Aber auch in anderen Geschäftsfeldern tun sich für deutsche Exporteure Möglichkeiten auf. Vor allem im Bereich der Infrastruktur, also speziell Verkehr, Energie und Wasser, gibt es in Libyen noch enormen Nachholbedarf.

Doch Libyen ist kein einfacher Markt, warnt Münker. Nach wie vor sind die Schlüsselindustrien verstaatlicht, behindern die Bürokratie und die staatliche Kontrolle von Preisen, Außenhandel, Devisen- und Arbeitsmarkt sowie die schlechte Infrastruktur des Landes den Aufschwung - etwas, was das Auswärtige Amt vornehm als "systembedingte Friktionen" bezeichnet, die die Produktivität und Effizienz der Wirtschaft beeinträchtigen.

Deutsch-Libysche Wirtschaftsbeziehungen erst am Anfang

Doch es gibt Anzeichen für eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehung. Der Besuch deutscher Wirtschaftsdelegationen und die im Jahr 2000 wieder aufgenommene jährliche deutsche Beteiligung an der Messe in Tripolis zeigen, dass deutsche Unternehmen dem libyschen Markt durchaus eine Bedeutung beimessen.

Noch allerdings sind deutsche Investitionen in Libyen ungeschützt. Zwar haben beide Staaten ein Abkommen zum Schutz ihrer gegenseitigen Investitionen paraphiert, aber es ist noch nicht in Kraft getreten. Deutsche Exporteure können sich auch nicht bei der staatlichen Hermes-Versicherung gegen Einnahmeausfälle absichern.

Ende Januar 2004 haben die beiden Staaten nach mehrjährigen Verhandlungen eine Einigung über die Begleichung von Forderungen erzielt, die in den 80er Jahren aus Geschäften deutscher Unternehmen mit Libyen entstanden waren. Mit der Lösung dieser Schuldenfrage wurde eine wesentliche Voraussetzung für die mögliche Wiedereröffnung von Hermes-Deckungen geschaffen. Doch noch fehlt eine zweite Voraussetzung für neue Hermes-Bürgschaften, so DIHK-Experte Jochen Münker: die Entschädigung der Opfer des LaBelle-Attentats von 1986.

Rolf Wenkel

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004