Auf Präsident Biden wartet in Nahost Schwerstarbeit

Der neue US-Präsident Joe Biden hat seinem Einzug ins Weiße Haus einen Blitzstart in Sachen Umwelt, Corona und Einwanderungspolitik folgen lassen. Wenig Aufschub duldet aber auch die nach Donald Trump völlig verfahrene Lage im Nahen Osten.



Istanbul. Donald Trump feierte sie als Glanzstücke seiner vermeintlich erfolgreichen Nahost-Politik: Israels Anerkennung durch vier arabische Staaten. Doch bei genauerem Hinsehen wird klar: Abseits der vier Abkommen hinterlässt der frühere US-Präsident im Nahen Osten ein Trümmerfeld.



Beispiel Syrien: Nach zehn Jahren Bürgerkrieg zerfällt das Land in unterschiedliche Zonen. Zum einen ist da der dem Assad-Clan mit russischer Hilfe verbliebene Machtraum mit seinen städtischen Zentren. Des weiteren gibt es eine türkische Besatzungszone, das noch immer umkämpfte Gebiet rund um Idlib sowie den heute weitgehend von den Kurden selbstverwalteten Nordosten.



Diese waren - wie schon vorher im Irak die kurdischen Peschmerga - entscheidende US-Verbündete beim Niederkämpfen des Islamischen Staates (IS). Sie wurden aber, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, von Trump gnadenlos einer türkischen Invasion ausgeliefert. Nur das Eingreifen der Russen konnte schlimmste Gräueltaten der mit Ankara verbündeten Islamisten-Milizen verhindern.



Kein Wunder, dass die "undankbaren Amerikaner" nun zum schlimmsten Feindbild für die Kurden geworden sind. Sie stehen heute teils auf Seiten Moskaus, sympathisieren aber auch mit den Iranern. So erhielt Syrien eine neue Bedeutung als Aufmarschzone jener Macht, die - zumal nach ihrer Brüskierung durch Trump - ein immer unversöhnlicherer Gegner des amerikanisch-westlichen Lagers geworden ist: die Islamische Republik Iran.



Dank der Aussöhnung der Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrains mit Israel hatte es zunächst nach dem Aufbau einer geschlossenen Abwehrfront gegen Teheran am Golf ausgesehen. Diese aber wurde durch die Annäherung von Saudi-Arabien und Katar bereits wieder durchbrochen, einer trotz ihres kleinen Territoriums finanziellen und ideologischen Großmacht, die sich ins Lager der Muslim-Brüder und Ayatollahs geschlagen hat.



Dass die Saudis ihren jahrelangen Boykott von Katar ausgerechnet jetzt aufgegeben haben, kann nur eines bedeuten: Dass sie dem US-Werben trotz Trumps Säbeltänzen mit Kronprinz Muhammad Bin Salman in Riad im Endeffekt die kalte Schulter zeigen. Trumps kompromisslose Unterstützung von Israels Expansionspolitik unter Verzicht auf die frühere Vermittlerrolle der USA im Palästinakonflikt lässt sich eben keinem muslimischen Politiker unterjubeln, bestenfalls teuer verkaufen.



So auch im Fall von Marokko: Dort hat Trump den Ausgleich mit Israel mit der Anerkennung von Rabats Griff nach der Westsahara honoriert. Dieses früher spanische Besitztum sollte nach dem internationalen Entkolonialisierungsplan für Afrika seine Unabhängigkeit erhalten. Dem aber kam Marokko 1975 mit seiner Besetzung zuvor. Viele Sahrauis wurden vertrieben und vegetieren bis heute in algerischen Wüstenlagern dahin.



Dass die USA nun den Anspruch Marokkos auf die Westsahara offiziell anerkannten, wurde vielerorts als fatales Signal gewertet. Es könnte auch in anderen Teilen Afrikas den Weg zu neuen Aneignungskonflikten über die 1960 gezogenen Grenzen hinweg ebnen.



Nach Ansicht nahöstlicher Beobachter tritt der neue US-Präsident Joe Biden also vom Maghreb bis zum Golf das Erbe einer völlig einseitigen, dilettantischen US-Politik an. Vor allem muss er sich - bei allen berechtigten Sympathien für Israel als einzig echtem und im Unterschied zum Libanon auch funktionierenden demokratischem Staat in diesem Großraum - von der einseitigen Parteinahme für die Regierung von Benjamin Netanyahu lösen und sich wieder den Palästina-Arabern zuwenden - möglichst noch vor den palästinensischen Wahlen im Mai und Juli. Diese drohen sonst zu einer Ausdehnung der Hamas-Herrschaft vom Gazastreifen auf das Westjordanland zu führen.



Gefährlich für die Region ist auch die Urananreicherung im Iran, die Teheran nach Trumps Ausstieg aus dem Wiener Atomabkommen wieder kräftig hochgefahren hat. Jetzt gilt es für Joe Biden, mit dem Iran wieder das Übereinkommen zu finden, will er nicht einen israelischen Präventivschlag gegen die Nuklearanlagen der Ayatollahs riskieren. (KNA)