Wissen statt Öl

Die arabischen Golfstaaten haben Bildung als Rohstoff der Zukunft entdeckt. Weil es schnell gehen soll, importieren sie Universitäten aus dem Westen. Noch aber ist viel Platz für mehr Studenten − auch aus dem Ausland. Eine Reportage von Arnfrid Schenk

Arabische Studenten im Oman; Foto: picture alliance/dpa
Irgendwann wird auch in den Golfstaaten das Öl knapp werden, bislang der wichtigste Pfeiler der Wirtschaft, deshalb setzt man jetzt auf Bildung.

​​ Arabisch ist keine Sprache, die man mal eben zum Zeitvertreib lernt. Wenn sich der Rektor einer deutschen Eliteuniversität mehr als ein Jahr lang in seinen wenigen freien Stunden hinsetzt und Arabischvokabeln paukt, muss es einen guten Grund dafür geben.

Burkhard Rauhut hat einen. Der langjährige Rektor der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) wurde vor vier Monaten emeritiert, aber die neue Aufgabe wartet schon auf ihn: Seit dem 1. September leitet er die German University of Technology in Oman (GUtech), einen Ableger der RWTH in Masqat, der Hauptstadt des Sultanats Oman.

Eines Landes im Südosten der Arabischen Halbinsel mit drei Millionen Einwohnern, eines Landes, das berühmt ist für seinen Weihrauch und für seine Berge, die Geologen aus der ganzen Welt anlocken, das reich wurde durch Öl – und für das Hochschulbildung mehr oder weniger Neuland ist.

Rauhut hatte in Aachen 30.000 Studenten, 2000 sollen es in ein paar Jahren an der German University werden. Die Uni ist provisorisch in zwei Villen an der Strandstraße am Arabischen Meer untergebracht. Die Baupläne des neuen Campus hängen am Schwarzen Brett. "Wir wollen klein anfangen", sagt Rauhut. Man geht bedächtiger vor als in den Nachbarländern.

Die Zukunft von morgen heißt Wissen

In den Emiraten am Golf hat ein regelrechter Bildungsboom eingesetzt. Ein Ende des Ölrauschs naht, und die Scheichs setzen auf Bildung, um die Zukunft ihrer Fürstentümer zu sichern. Der Rohstoff von morgen heißt Wissen. Besonders gefragt sind Naturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und technische Fächer.

Weil es schnell gehen soll und weil man gute Qualität haben will, kauft man sie ein. Meist aus dem Westen. Und die Universitäten kommen gern, vor allem aus Australien, Großbritannien und den USA. Die Golfländer prosperieren, da will man Plätze besetzen, Bildung wird zum Exportschlager, und wo sonst bekommt man einen kompletten Campus auf dem Silbertablett serviert.

Finanzzentrum in Dubai; Foto: AP
Das Internationale Finanzzentrum in Dubai, die Stadt ist in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen globalen Finanzknotenpunkt aufgestiegen.

​​ Qatar etwa hat eine riesige "Education City" hochgezogen, mehrere amerikanische Hochschulen bieten dort ihre Programme an, im Emirat Abu Dhabi hat die Sorbonne eine Filiale eröffnet, die New York University ist auch vertreten, Dubai protzt mit einem "Knowledge Village", und sein Herrscher Scheich Mohammed al Maktum hat eine 10-Milliarden-Dollar-Stiftung angekündigt, um Wissen und Forschung voranzutreiben.

Selbst Saudi-Arabien, nicht gerade als wissenschaftsfreundliches Land bekannt, will mit der King Abdullah University of Science and Technology eine internationale Wissenschaftselite ins Land holen, 12,5 Milliarden sollen dafür bereitgestellt werden. Mit dabei ist unter anderem die TU München.

Dass in Oman die RWTH Aachen zum Zuge kam, hat viel mit Michael Jansen zu tun. Der RWTH-Professor für Stadtbaugeschichte ist Gründungsrektor der German University, er hat in dem Sultanat einen archäologischen Park aufgebaut und über Jahre hinweg ein enges akademisches Netzwerk geknüpft, ohne das es den Aachener Ableger nicht gegeben hätte.

Eine andere Lernkultur

Die Studenten sollen hier einmal Informationstechnik studieren, Geowissenschaften, Stadtplanung, Regionales Management und Tourismus. Die Studiengebühren betragen umgerechnet gut 4.000 Euro pro Semester. Die Uni am Golf soll keine Lehruniversität werden, sondern auch und vor allem eine Forschungsuniversität. Die Gelder für Campus, Lehre und Forschung kommen ausschließlich von omanischen Investoren. Die Inhalte ausschließlich aus Aachen. Die Berufungen laufen ebenfalls über die RWTH.

Bild Burkhard Rauhut; Foto: picture alliance/dpa
Burkhard Rauhut ist Gründungsrektor der German University of Technology in Oman und lernt fleißig Arabisch.

​​ "Die größte Herausforderung wird es sein, unsere Qualität aufrechtzuerhalten. In diesen Ländern herrscht eine andere Lernkultur, es geht da mehr ums Auswendiglernen. Wir wollen Kreativität fördern und selbstständiges Arbeiten", sagt Rauhut.

Für die Qualitätssicherung ist auch der DAAD eingebunden. Um die zukünftigen Studenten auf ein hochschulfähiges Niveau zu bringen, gibt es ein Vorbereitungsjahr. Wer die Prüfungen am Ende des Foundation Year nicht besteht, bleibt draußen.

Günter Flügge, emeritierter Physikprofessor, unterrichtet die angehenden Studenten in Mathematik und Physik. Draußen vor den Fenstern schwappt das Arabische Meer träge an den Strand, Fischerboote schaukeln in der bleiernen Hitze. Drinnen in Raum 313 verströmt die Klimaanlage angenehme Kühle. Trotzdem rauchen die Köpfe.

An den zwei Tischreihen sitzen sieben junge Frauen, die meisten tragen Kopftuch, mal schwarz, mal rot, mal mit Leopardenmuster verziert. Vor sich haben sie ihre Laptops und Handtaschen drapiert. Zwei junge Männer sitzen neben ihnen.

Etwas Eigenständiges soll entstehen

Flügge nimmt mit ihnen noch einmal den Stoff des vergangenen Semesters durch, nächste Woche sind Prüfungen. Es geht um die Faradayschen Gesetze, um das dritte Newtonsche Gesetz. Die Studenten sollen die Formeln entwickeln, das "ist der beste Weg, um zu verstehen", erklärt Flügge ihnen. "Sie wollen hier eine Formel auswendig lernen und sie anwenden, warum es diese Formel gibt, interessiert sie nicht", sagt er.

Talal macht der andere Unterrichtsstil Spaß, er ist 20, möchte Geowissenschaften studieren und am liebsten einmal in Oman sein Geld verdienen.

"Wir klonen die RWTH nicht, die Studiengänge sollen für hier maßgeschneidert werden", sagt Barbara Stäuble, akademische Direktorin der GUtech. Die Themenauswahl soll sich den regionalen Gegebenheiten anpassen, ebenso die Art und Weise, wie unterrichtet wird. Nur die Abschlüsse müssen gleichwertig sein.

Student im Oman; Foto: picture alliance/KPA
Nicht nur im Oman auch in den anderen Golfstaaten herrscht Bildungsboom, meist aus dem Ausland importiert. Doch man will nicht nur abkupfern, es sollen eigenständige Bildungsansätze entstehen.

​​ "Die Qualität soll dieselbe sein wie in Aachen", sagt Christoph Hilgers, Vizerektor der Uni, "der Weg dorthin wird ein anderer sein". Und es braucht Zeit, auch wenn das Land von Sultan Kabus ibn Said rasant aufgeholt hat: Noch 1970 gab es in Oman nur drei Primarschulen mit Platz für 900 Jungen. Heute gibt es über 1.000 Schulen für Jungen und Mädchen und über 17.000 Studenten im Land, die Mehrzahl von ihnen Frauen.

"Quantitativ hat man viel aufgeholt, was die Qualität anbelangt, ist noch einiges zu tun", sagt Stäuble. Ein Problem, das Oman mit den meisten Ländern der arabischen Welt teilt.

Bildung: Die Misere der arabischen Welt

Wie miserabel es dort um die Bildung bestellt ist, zeigte der Arab Human Development Report der Vereinten Nationen. Untersucht wurden in den 22 Ländern der Arabischen Liga Qualität und Quantität des Bildungswesens.

Das Ergebnis war bitter: Nur 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden demnach in der arabischen Welt für Forschung ausgegeben (in Israel sind es 2,3, in Deutschland 2,5 Prozent). Die Patentanmeldungen sind verschwindend gering, erschreckend hoch dagegen ist die Analphabetenquote.

In internationalen Rankings tauchen gerade zwei Universitäten aus den 57 Mitgliedstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz unter den ersten 500 auf, beide liegen in der Türkei. Dazu kommt ein verheerender Braindrain. Jeder vierte Uni-Absolvent verlässt sein Land, meist in Richtung Europa oder USA.

Immerhin ist das Problem erkannt. Und in einigen Ländern ist manches in Gang gekommen, allen voran Qatar. Das Land ist winzig, ein Streifen Sand, der vom Rand der Arabischen Halbinsel in den Persischen Golf ragt, 160 Kilometer lang, 80 Kilometer breit, eine Million Einwohner, 800.000 davon Expatriates, meist aus Asien.

Eine Frau vor der Skyline von Doha, Katar; Foto: AP
Doha ist eine der Boomstädte am Golf. Die Öl- und Gasvorkommen, die bislang für Reichtum und Wirtschaftswachstum sorgen, sollen durch den neuen Rohstoff Bildung ergänzt werden.

​​ Die Hauptstadt Doha sei der langweiligste Flecken Erde, hieß es einmal im Loneley-Planet-Reiseführer, diese Zeiten sind vorbei. Das Emirat von Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani ist Schauplatz internationaler Konferenzen, der Nachrichtensender al-Dschasira hat hier sein Hauptquartier, gerade bewirbt man sich für die Olympischen Spiele 2016.

In Doha drehen sich Baukräne Tag und Nacht. Geld ist im Überfluss vorhanden, das kleine Land sitzt auf gewaltigen Ölquellen und auf dem drittgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Aber weil auch das einmal zur Neige gehen wird, steckt die Herrscherfamilie viel Geld in Bildung, um eine von Öl und Gas unabhängige Wirtschaft aufzubauen.

Studieren wie in Amerika, leben wie in Arabien

Aushängeschild ist die Education City, hochgezogen von internationalen Stararchitekten. US-Universitäten aus der oberen Liga bieten hier ihre Programme an: Carnegie Mellon etwa bildet Computerexperten aus und Betriebswirtschaftler, das Weill Cornell Medical College Ärzte, das Texas A&M College Ingenieure, die Georgetown University Diplomaten.

Auch hier lernen junge Frauen und Männer zusammen. Es sind exakt dieselben Programme wie in den USA, die die Studenten hier absolvieren, dieselben Auswahlverfahren, dieselben Abschlüsse. Studieren wie in Amerika, leben wie in Arabien – gerade nach dem 11. September ist das für viele Studenten aus der Region die bessere Alternative.

Bild Sheikha Mozah bint Nasser al-Missned; Foto: AP
Scheicha Mouza bint Nasser al-Missned ist die Vorsitzende der Qatar Foundation, deren größtes Projekt die "Education City" ist.

​​Vor allem für Frauen, denn viele Familien aus muslimischen Ländern schicken ihre Töchter nur ungern ohne Begleitung ins Ausland. Diese profitieren am meisten von solchen Bildungsinitiativen. Die treibende Kraft der Bildungsoffensive ist die Qatar Foundation, eine Stiftung, initiiert von einer Frau: Scheicha Mouza, der Lieblingsgattin des Emirs.

Den Universitätsgebäuden sieht man an, dass Geld nicht die geringste Rolle spielt. Sie würden deutschen, von maroden Massen-Unis gebeutelten Studenten Tränen in die Augen treiben.

Die Hörsäle sind mit Holz ausgekleidet, die Stühle haben Armlehnen, die Tische Mikrofone, Televorlesungen aus den USA sind live möglich, in den Fluren gibt es Arbeitsplätze mit neuesten Rechnern für die Studenten, zum Campus gehört ein Wissenschaftspark, in dem internationale Unternehmen wie Shell Entwicklungsarbeit betreiben und Absolventen beschäftigen. Selbst ein Golfplatz ist nebenan. Die Studiengebühren sind dieselben wie in den USA, an der Texas A&M etwa 15.000 Dollar im Jahr. Für einheimische Studenten übernimmt sie der Staat.

Nur ein Studentenleben, wie man es aus dem Westen kennt, gibt es hier nicht, die meisten wohnen bei ihren Eltern, kommen morgens an die Uni und gehen abends nach Hause. An den Wochenenden treffen sie sich mit Freunden und der Familie, machen Ausflüge.

"Die Art und Weise, wie wir hier Spaß haben, ist eben anders als in den USA", sagt eine Studentin. Sie macht nicht den Eindruck, als würde sie etwas vermissen.

Vom Braindrain zum Braingain

Was man vermissen könnte in Education City, sind – mehr Studenten. Der Wissenspark ist für mehrere Tausend Studierende angelegt, bislang sind es erst 1.000. Die Studenten sollen nicht nur aus Qatar selbst kommen, sondern aus der ganzen Region, der ganzen Welt. Eine Drehscheibe des Wissens soll entstehen. Bis dahin ist der Weg noch weit. Und auch wie nachhaltig so ein Bildungsimport sein wird, wird sich erweisen müssen.

Im Mai dieses Jahres wurden die ersten Absolventen von vier Hochschulen, es waren gerade einmal 122, mit großem Pomp gefeiert. Das Royal Philharmonic Orchestra wurde aus London eingeflogen. Eingeladen waren ausländische Staatsoberhäupter, akademische Würdenträger, Journalisten.

Die Studenten defilierten in Talaren zwischen zwei Lichttürmen, Emir al-Thani pries sie in seiner Rede als Wegbereiter einer "wissensbasierten Gesellschaft".

Noor ist eine der Absolventinnen. Sie trägt Jeans, Lippenstift, ein elegantes Kopftuch, sie hat Wirtschaft studiert. Sie hätte auch in den USA an eine Uni gehen können, erzählt sie in makellosem Amerikanisch, wollte aber in Qatar bleiben wegen ihrer Familie. Sie gründet ein Übersetzungsbüro in Doha. Eine Kommilitonin startet ihre Karriere bei einer Bank. Auch sie sagt, sie wolle im Land bleiben.

"Wir können die Studenten nicht zwingen, hierzubleiben, aber wir müssen dafür sorgen, dass es für sie die bessere Wahl ist", sagt Fathy Saoud, Präsident der Qatar Foundation. "Langfristig wollen wir den brain drain in einen brain gain umkehren."

Arnfrid Schenk

© Zeit 2008

Dieser Artikel wurde am 21. August 2008 in der Zeit publiziert.

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