Teuflische Versuchungen

Seit 1985 findet im Norden Riads ein Festival statt, das die Kultur Saudi-Arabiens feiert. Das Bild, das sich dem Besucher bietet, oszilliert zwischen Messe und Jahrmarkt. Hanna Labonté berichtet von einem Fest zweier Welten.

​​"Janadriah" – dieses Wort steht für etwas Verlorengeglaubtes, Totgesagtes, es steht für etwas, das schon lange unter dem Warenberg der Öldollar verschwunden sein soll.

Das seit 1985 stattfindende Festival feiert die traditionelle saudi-arabische Kultur, eine zutiefst arabische Kultur. Und trotzdem, oder gerade deshalb, präsentiert es auch die Zerrissenheit, in der sich die Gesellschaft momentan befindet.

Saudi-Arabien ist kein normales Land. Es ist ein Land, in dem Realitäten aneinanderprallen und parallel nebeneinander her laufen. Es ist ein Land, das um eigene Lösungen für seine Probleme ringt und dabei manchmal an Anspruch und Wirklichkeit scheitert.

Das Kulturfest "Janadriah", das gesellschaftliche Ereignis im Königreich, ist da keine Ausnahme. Auf dem riesigen Areal außerhalb Riads, wobei außerhalb immer relativer wird, wächst die Stadt doch in einem unbeschreiblichen Tempo in die Breite – werden den rund 1,5 Millionen Besuchern zwei Wochen im Jahr sowohl traditionelle Handwerkstechniken als auch Zukunftsvisionen präsentiert.

Messe oder Jahrmarkt?

Weber präsentieren traditionelle Webtechniken; Foto: Hannah Labonté
Handwerker stellen beim Kulturfest dem Publikum fast vergessene Produkte und traditionelle Arbeitstechniken vor.

​​An einer Ecke strahlen die glänzenden Entwürfe für die neuen Universitäten des Landes von den Wänden, die Vorhaben werden im geschliffenen, akzentfreien Englisch von einem Saudi präsentiert. Die Regionen, die Ministerien und Stiftungen: Alle haben sie hier einen Stand und versuchen für sich zu werben.

Allerorts werden Tüten mit Hochglanzprospekten und so genannten "Giveaways" verteilt, ja regelrecht aufgedrängt. Das Gesundheitsministerium informiert in einem Wirrwarr von Broschüren, angefangen beim richtigen Umgang mit Kleinkindern, über die Auswirkungen häuslicher Gewalt, über Sichelzellenanämie oder Diabetes.

Freiwillige Hadsch-Helfer wollen von ihrem guten Dienst berichten, und drücken den Besuchern dann ihre neuste Erfindung, ein Staub-Pflaster in die Hand, man solle es sich doch einmal unter die Nase kleben, es sei viel besser als der übliche Mundschutz gegen den Staub.

Nach dem unglaublichen Standsturm, der jüngst nicht nur die Hauptstadt mit ihrem Flughafen, sondern auch das Festival zum Stillstand gebracht hatte, möchte man ihm schon fast glauben.

An der nächsten Ecke fällt die Verhandlung über den gerade fertig gestellten, handgewebten Teppich schwer, weil der alte Mann kein Hocharabisch spricht, sondern in seinem Beduinendialekt kommuniziert.

Pavillon zum Thema Ökolandbau; Foto: Hannah Labonté
Im Pavillon des Landwirtschaftsministeriums wird ein Projekt zum Ökolandbau vorgestellt, an dem auch die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit beteiligt ist.

​​Saudische Familien, die geflochtene Teppiche und getöpferte Schalen mit sich herumtragen, Schlangen, die sich vor den einfachen Brotbacköfen bilden, in einem Land, in dem McDonalds und Co. ähnlich weit verbreitet sind wie in den USA und in dem es oft so scheint, als verdiene fleischloses Essen, seinen Namen nicht. Es gibt Kamelrennen und traditionelle Schwerttänze.

Es ist, als würde sich diese Gesellschaft, die in den letzten 60 Jahren eine erstaunlich schnelle Veränderung durchgemacht hat, nach etwas Ruhe, nach "Altbewährtem" und Traditionen sehnen, nur um dann schon wieder im glänzenden Auto wieder ins klimatisierte Heim zu fahren und auf dem Weg an einer der überall aus dem Boden sprießenden "Shopping-Malls" zu halten. Der Kontrast ist unübersehbar.

Vorsichtige Öffnung

Die Verwirrung bleibt, wenn sich Frauen leise aber deutlich darüber beschweren, dass das jährliche Festival für Familien geöffnet wird. Nach 25 Jahren habe sich das Festival endlich gegen eine Geschlechtertrennung entschieden, war aus der inländischen englischen Presse zu erfahren.

​​Bisher gab es in "Janadriah" nur Männer- und (in weit geringerer Zahl) auch Frauentage. Dieses Jahr wurden die Frauentage zugunsten der Familientage auf einen Tag beschränkt. Das zweiwöchige Festival war damit zehn Tage nur für Männer, einen Tag für Frauen und drei Tage für Familien geöffnet.

In der sonst von der Geschlechtertrennung im Alltag bis ins kleinste Detail geprägten Gesellschaft sollte dies den Familien die Möglichkeit geben, das Festival gemeinsam zu besuchen – wohl nicht zuletzt im Hinblick auf die geplante vorsichtige Öffnung des Königreichs für Touristen.

Im Visier der Sittenwächter

Dabei wurde scheinbar vergessen, dass die Geschlechtertrennung ohnehin sehr dominant im kulturellen Leben des Landes vertreten ist. Die Anzahl der eingeladenen Künstlerinnen wurde drastisch reduziert, die Frauenkultur in einen kleinen, abgeschlossenen Bereich, in dem ausgelassen getanzt und getratscht wird, wurde zurückgedrängt.

Im gemischten Bereich dominiert die ebenfalls eingeschränkte Männerwelt – denn schließlich kommen die Männer auch nur in Begleitung von Frauen aufs Festival. Es regiert derweil die "Mutawwa", eine Art Sittenpolizei, mit eiserner Hand und warnt vor den "Versuchungen des Teufels". Jedes herausgerutschte Haar, jeder hervor scheinende Knöchel wird misstrauisch beäugt.

Nach Einschätzung einer saudischen Journalistin, würde den Frauen der ganze Spaß genommen. Sie fühlten sich weggesperrt und unerwünscht. Saudi-Arabien ruft an jeder Ecke nach unorthodoxen Lösungen. Will man Frauen hier Raum einräumen muss man die Männer zuweilen ausschließen.

Und trotzdem ist die Öffnung des Festivals ein beachtlicher, couragierter Schritt: Zwar kontrolliert die "Mutawwa" noch an vielen Eingängen des Festivals und sorgt allerorts für "Ordnung", aber sobald sie wegschauen, zwinkert man sich in den Straßen schon mal zu.

Saudi-Arabien braucht sein eigenes Tempo und es braucht vor allem eigene Wege. Die Frauen, die sich über die Öffnung beschweren, wünschen sich eigentlich vor allem, dass sie nicht auf Kosten der Frauentage gekommen wäre.

Hanna Labonté

© Qantara.de 2009

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