Die Revolution verliert ihre Kinder

Der 25. Jahrestag der Islamischen Republik Iran wirft seine Schatten auf die politische Blockade der Reformer und den wachsenden Vertrauensverlust der jüngeren Generation in den Staat. Bahman Nirumand informiert

Der 25. Jahrestag der Islamischen Republik Iran wirft seine Schatten auf die politische Blockade der Reformer und den wachsenden Vertrauensverlust der jüngeren Generation in den Staat. Bahman Nirumand berichtet.

Foto: Markus Kirchgässner
Politisch desillusioniert: Heutige Studentinnen in Iran

​​Als die Islamisten vor 25 Jahren in Iran die Macht übernahmen, bestand ihr Hauptziel darin, die gesamte Gesellschaft zu islamisieren und alles aus ihrer Sicht "verderblich-Westliche" der Schahzeit auszutilgen.

Zwei Wochen nach seiner Ankunft in Teheran hielt Ayatollah Chomeini in der heiligen Stadt Ghom seine programmatische Rede: "Wir müssen die Unmoral aus unserer Gesellschaft ausrotten", sagte er. "Wir werden die gesamte Presse, den Rundfunk, das Fernsehen, die Kinos, die Schulen und Universitäten von der Unmoral reinigen."

Weder Ost noch West, sondern Islamische Republik

Fortan müsse sich alles am Islam orientieren, so der Revolutionsführer: "Unsere Ministerien müssen sich in islamische Stützpunkte verwandeln, unsere Gesetze müssen islamische Gesetze sein. Wir werden uns nicht darum kümmern, ob das dem Westen passt oder nicht. Lasst euch nicht durch das Wort Demokratie in die Irre führen. Demokratie ist westlich, und wir lehnen westliche Systeme ab. Das Volk will eine islamische Republik, keine bloße Republik, auch keine demokratische Republik, sondern nur eine Islamische Republik."

Foto: Kai Wiedenhöfer
Chomeini allgegenwärtig: Wandbild in Teheran

​​Diese Rede war wegweisend und machte schon bald Schule: Organisierte Truppen, die sich "Parteigänger Gottes" ("Ansar-e Hezbollah") nannten, machten sich ans Werk. Liberale und kritische Zeitungen wurden verboten, Verlage und Buchhandlungen in Brand gesteckt.

Ein "Rat der Kulturrevolution" kümmerte sich um die Islamisierung der Schulen und Universitäten. Er forderte, kurz nach seiner Konstituierung in einem Rundschreiben Professoren, Dozenten, Schuldirektoren sowie Lehrer und Erzieher auf, innerhalb weniger Wochen ihre Lehrpläne dem islamischen Glauben anzupassen.

Dass die islamistischen Hardliner mit ihrem Vorhaben letztlich nicht zu weit gekommen sind, ja geradezu das Gegenteil bewirkt haben, lässt sich an der Einstellung der jüngeren Generation im heutigen Iran erkennen.

Die verlorene Generation

Kinder und Jugendliche, die in den ersten Jahren nach der Revolution groß wurden oder erst in den nachfolgenden Jahren geboren wurden, bilden heute fast Zweidrittel der Bevölkerung. Sie sind heute um die 30 Jahre alt oder jünger – insgesamt also rund 40 Millionen Menschen, die keine andere Welt kennen, als die unter der Herrschaft der Islamisten.

Sie wurden im Kindergarten, in der Schule und in der Zeit ihrer Ausbildung einer massiven ideologischen Indoktrination ausgesetzt. Die älteren unter ihnen gehörten im ersten Jahrzehnt zu den radikalsten Verfechtern der herrschenden Ordnung, zu den opferbereitesten Anhängern Chomeinis und zu den erbitterten Gegnern liberalen und demokratischen Denkens und Handelns.

Bahman Nirumand hat in München, Tübingen und Berlin Germanistik, Philosophie und Iranistik studiert. Unter dem Schah-Regime wurde er politisch verfolgt und musste Mitte der 60er Jahre den Iran verlassen. Heute arbeitet er als freier Journalist in Berlin. Viele befürworteten die Gewalt, ja verherrlichten sie sogar. Sie waren bereit, für den Islam in den heiligen Krieg gegen den Irak zu ziehen und dabei als Märtyrer zu sterben.

Doch inzwischen zählen gerade sie zu den schärfsten Gegnern des Regimes. Sie bilden die eigentliche Achillesverse der Islamischen Republik. Denn was sie anstreben, steht im Widerspruch zu den Zielen und Vorstellungen der herrschenden Geistlichkeit.

Diese Generation will endlich frei leben – ohne den ideologischen Ballast, ohne den ständigen Druck einer scheinheiligen Moral, ohne den Aufforderungen geistlicher Führer, mal jene äußere, mal jene innere Feinde hassen zu müssen. Und sie wollen frei denken und ebenso ihre Begabungen frei entfalten können.

Den Zugang, den sie sich in den letzten Jahren, vor allem über das Internet oder über das Sattelitenfernsehen, zu der Außenwelt verschafft haben, hat in ihnen Sehnsüchte erweckt, die sie in der Islamischen Republik nicht befriedigen können.

Enttäuschte Hoffnungen in die Politik

Foto: Kai Wiedenhöfer
Jugendliche Anhänger Mohammed Khatamis

​​Ein größerer Teil von ihnen hat zunächst den Ausweg über die Politik gesucht: Millionen Schüler und Studenten haben sich 1997 bei den Präsidentschaftswahlen für Mohammad Chatami engagiert. Ihnen und den engagierten Frauen hat Chatami seinen damaligen überraschenden und überwältigenden Sieg zu verdanken. Chatami hatte tief greifende Reformen angekündigt, Freiheit und Demokratie sowie nicht zuletzt Offenheit nach innen und nach außen versprochen.

Aber die Versprechen wurden nicht eingelöst, auch dann nicht, als die Reformer das von Konservativen beherrschte Parlament eroberten. Damit nicht genug. Als im Sommer 1999 Schlägertrupps ein Studentenheim in Teheran überfielen, bei dem ein Student getötet und zahlreiche verletzt wurden, und die Studenten sich dagegen zur Wehr setzten, hatte sich Präsident Chatami eher auf die Gegenseite gestellt.

Ein Teil der Protestierenden befindet sich noch immer in Haft. Die Enttäuschung über dieses Verhalten der Regierung führte dazu, dass ein Teil der bislang engagierten Studenten und Jugendlichen auf Distanz ging. Der andere Teil, der besonnener reagierte, forderte immer eindringlicher Chatami auf, endlich gegen die Blockadepolitik der rechten Islamisten Widerstand zu leisten und Reformen durchzusetzen.

Doch der Präsident und seine Regierung – und auch die meisten Reformer im Parlament – zogen es vor, statt sich auf das Volk zu verlassen und den Rechten die Stirn zu bieten, sich um Kompromisse mit den Islamisten zu bemühen.

Die entscheidende Wende im Verhältnis zwischen Studenten bzw. Jugendlichen und den Reformern kam im Sommer vergangenen Jahres nach Studentenunruhen in Teheran und anderen Städten. Die Studenten forderten die Rücknahme des Todesurteils gegen den bekannten Hochschullehrer und Islamforscher Aghadjari, der die konservativen Islamisten scharf angegriffen hatte.

"Herr Präsident, brechen Sie Ihr Schweigen!"

Foto: AP
Studentenproteste gegen das Aghadjari-Todesurteil

​​Es kam zu größeren Unruhen, zahlreiche Studenten wurden verhaftet. Die größte Studentenorganisation des Landes ("Tahkim-e Wahdat") richtete einen letzten Appell an die Regierung: "Herr Präsident, brechen Sie endlich Ihr resignierendes Schweigen, schützen Sie die Studenten, gehen Sie gegen die Gesetzesbrecher vor", hieß es in einem offenen Brief an Präsident Chatami. "Sollten Sie nicht in der Lage sein, dem Geschehen Einhalt zu gebieten, fordern wir Sie auf, einen mutigen Schritt zu wagen und Ihr Amt niederzulegen."

Der Hilferuf blieb jedoch ohne Echo. Was blieb den Studenten also anderes übrig, den Dialog und die Kooperation mit der Staatsmacht zu kündigen und eigene Wege zu gehen?

Darüber, welcher Weg der richtige sei, gab es kontroverse Meinungen, die zur Spaltung der Organisation und auch zur Passivität eines Teils der Studenten führte. Erst nachdem der von den Konservativen beherrschte Wächterrat ankündigte, die meisten Kandidaten der Reformer von der Teilnahme an den Parlamentswahlen am 20. Februar auszuschließen, bekundeten die Studentenorganisationen ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit den Reformern.

Sollten diese sich aber auch dieses Mal auf Kompromisse einlassen, würden sie ihre Glaubwürdigkeit nicht nur bei der Jugend, sondern innerhalb der gesamten Bevölkerung endgültig verlieren.

Lethargie als Folge politischer Stagnation

Verglichen mit der Zeit vor der Revolution von 1979 scheint die iranische Jugend gegenwärtig jedoch weniger rebellisch zu sein. Sieht man von den politisch engagierten jungen Leuten ab, ist die Mehrheit dieser Generation mehr oder minder mit den eigenen Problemen beschäftigt:

Die unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten, der Mangel an Arbeitsplätzen, das Fehlen gesellschaftlicher und öffentlicher Unterhaltung und die fehlende Zukunftsperspektive haben viele Jugendliche zur Passivität und in den Drogenkonsum getrieben.

Die Drogensucht unter den Jugendlichen in Iran ist äußerst besorgniserregend – ein Phänomen, das zu den Folgen der klerikalen Diktatur gehört.

Ob politisch engagiert oder resigniert, drogensüchtig oder auch erfüllt von Sehnsüchten, für die kaum Hoffnung besteht: Diese jüngere Generation ist den herrschenden Islamisten schon seit geraumer Zeit fremd geworden und umgekehrt.

Was für die Erwachsenen und älteren Generationen gilt, trifft weit mehr für die Jugend zu: Zwischen ihr und der islamistischen Staatsführung ist ein tiefer Graben entstanden, der sich vermutlich nie mehr überbrücken lässt. Die Revolution hat schon längst ihre Kinder verloren.

Bahman Nirumand, © Qantara.de 2004