Beginn einer schwierigen Übergangsphase

Nach dem Tod Muammar al-Gaddafis und dem Ende der Diktatur fällt das gemeinsame Feindbild der libyschen Rebellen weg. Es ist daher zu befürchten, dass nun die ideologischen Differenzen im neuen Libyen deutlich aufbrechen, meint der Nahost-Experte Guido Steinberg im Gespräch mit Anne Allmeling.

Was bedeutet Gaddafis Tod für Libyens Revolution?

Guido Steinberg: Der Tod Gaddafis bedeutet zunächst einmal, dass die Revolution beendet ist. Das war eigentlich schon der Fall, als Tripolis vor zwei Moanten gefallen ist, aber das macht jetzt auch den letzten Unterstützern Gaddafis noch einmal deutlich, dass das Regime gefallen ist, dass es nicht zurückkommen wird. Das Problem ist, dass Gaddafi auch ganz wichtig war als Feindbild für die Rebellenbewegung, die ein gemeinsames Ziel hatte, nämlich Gaddafi zu stürzen. Und jetzt, da dieses Ziel wegfällt, ist natürlich zu befürchten, dass die ideologischen Differenzen aufbrechen, die es zwischen den verschiedenen Lagern gibt. Es wird eine ganz, ganz schwierige Übergangsphase geben bis zu einer neuen Regierung, und man kann nur hoffen, dass die Konflikte innerhalb der Rebellenbewegung nicht gewalttätig ausgetragen werden.

Nun hatte es ja die Vermutung gegeben, dass Gaddafi sich ins Ausland abgesetzt hatte. Was bedeutet es für die Libyer, dass er sozusagen im Kampf gefallen ist?

Steinberg: Zunächst einmal ist das einer der wenigen Punkte, die für Gaddafi sprechen: Nämlich dass er seine Ankündigung wahr gemacht hat, nicht zu fliehen, sondern eben tatsächlich bis zum letzten Mann mit seinen Getreuen in seiner Heimatstadt zu kämpfen. Das unterscheidet ihn dann doch von einigen seiner Diktatoren-Kollegen in anderen Ländern, die sich dann noch feige davongemacht haben.

Guido Steinberg ist Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik; Foto: SWP
Guido Steinberg ist Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik.

​​Ansonsten denke ich, dass es keine Auswirkungen auf die Situation haben wird. Es ist durchaus positiv, dass das Thema Gaddafi damit unwiederbringlich beendet ist.

Gleichzeitig wird ja diskutiert, ob es nicht besser gewesen wäre, Gaddafi lebend vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu stellen.

Steinberg: Ja, wobei ich aus Libyen ganz andere Stimmen höre. Ganz viele Menschen sind da zunächst einmal froh, dass dieser Diktator nach 42 Jahren nun endlich tot ist, und man muss das, denke ich, auch respektieren, dass die Libyer dieses Kapitel dann doch gerne schnell abgeschlossen haben. Aus meiner Perspektive wäre es auch besser gewesen, ihn vor den Internationalen Strafgerichtshof zu stellen, um damit klarzumachen, dass Diktatoren in aller Welt eben nicht mehr erwarten können, ihren Lebensabend unbehelligt verbringen zu können.

Das wäre auch deshalb positiv gewesen, weil natürlich viele Kapitel der libyschen Geschichte der letzten 42 Jahre nicht hinreichend aufgearbeitet sind. Dazu wird es jetzt wahrscheinlich nicht mehr kommen, aber es gibt vielleicht die Hoffnung, dass in Gerichtsverfahren gegen wichtige Getreue noch Einiges ans Licht kommt. Ich denke da beispielsweise an den Geheimdienstchef Abdullah Senussi, der nach unbestätigten Berichten ebenfalls gefasst worden sein soll. Den könnte man auch in Den Haag vor Gericht stellen. Man könnte ihn aber auch in Libyen vor Gericht stellen, wenn die Libyer das vorziehen. Und es gibt natürlich auch noch einige Söhne von Gaddafi, die man ebenfalls vor Gericht stellen könnte.

Sie hatten Gaddafi als einendes Feindbild schon angesprochen. Vor welchen Herausforderungen steht denn das Land jetzt, da der Feind gefallen ist?

Steinberg: Ich denke, dass es zunächst einmal darum geht, die Sicherheitslage im Land zu stabilisieren. Und das wird schwer genug, weil es eben schon die ersten Hinweise darauf gibt, dass es doch sehr, sehr weitreichende, tiefgehende Konflikte unter den Rebellengruppen gibt. Es gibt sehr viele bewaffnete islamistische Gruppen im Land. Das muss nicht unbedingt bedeuten, dass dort jetzt der Bürgerkrieg weitergeführt wird, aber das bedeutet doch, dass die Gefahr von Racheakten an Angehörigen des alten Regimes, aber auch die Gefahr von Grabenkämpfen, von bewaffneten Konflikten zwischen unterschiedlich ausgerichteten Rebellengruppen jetzt ansteigt.

Der amtierende Regierungschef Mahmud Dschibril; Foto: dapd
Quo vadis Libyen? Nach dem Tod des verhassten libyschen Diktators steht der Übergangsrat vor der gewaltigen Aufgabe, den demokratischen Aufbau des nordafrikanischen Landes zu ebnen.

​​Es wird die wichtigste Aufgabe der neuen Regierung sein, diese Konflikte schnell unter Kontrolle zu bringen. Dazu kommt dann, dass die Ölproduktion und der Ölexport, und natürlich auch der Gasexport, schnell in Gang gebracht werden müssen, damit das Land dann schnell über die Einnahmen verfügt, um die eigene Wirtschaft neu und besser aufzustellen, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Wie wirkt sich der Tod von Gaddafi auf andere Länder in der arabischen Welt aus?

Steinberg: Libyen war in den letzten Monaten ein etwas isolierter Fall, und das hat ja eigentlich auch die westliche Intervention erst möglich gemacht. Gaddafi war bei vielen seiner Diktatorenkollegen verhasst, und deswegen haben sie auch in der Arabischen Liga einem militärischen Vorgehen zugestimmt. Deswegen sind auch die Qataris und die Emiratis militärisch beteiligt gewesen. Das führt eben auch dazu, dass der Tod Gaddafis keine so deutlich sichtbaren Auswirkungen in der arabischen Welt haben wird. Da ist das ägyptische Beispiel sehr viel wichtiger - und demnächst wird es eben wohl entscheidend sein zu sehen, was in Syrien passiert.

Interview: Anne Allmeling

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de