UNICEF warnt vor drohender Winter-Katastrophe in Syrien

Im Norden des Landes liegen die Temperaturen schon jetzt um den Gefrierpunkt. Hunderttausende Kinder brauchen Decken, warme Kleidung und Heizöfen für ihr Zuhause. Denn die Infrastruktur ist vielerorts völlig zerstört.

Kinder und Jugendliche leiden besonders unter den Folgen des Syrien-Krieges: Mehr als fünf Millionen Minderjährige sind in dem zerrütteten Staat auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das geht aus einem Bericht des UN-Kinderhilfswerks UNICEF hervor. Demnach wurden in Syrien allein in der ersten Jahreshälfte 2017 mehr als 300 Kinder getötet und mehr als 200 Minderjährige verletzt.

"Der Krieg in Syrien ist alles andere als vorbei", sagte Geert Cappelaere, der UNICEF-Regionaldirektor für den Mittleren Osten und Nordafrika. "Das Ausmaß der von Menschen gemachten Zerstörung ist unvorstellbar."

Im vergangenen Jahr haben die Vereinten Nationen rund 2500 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen gegen Minderjährige dokumentiert. Laut UNICEF war 2016 das "bisher brutalste Jahr" für Kinder in dem Bürgerkriegsland. Kinder werden getötet - sie werden aber auch verstümmelt oder als Kindersoldaten rekrutiert.

"Jedes Kind, das ich getroffen habe, hat eine erschütternde Geschichte von Tod, Vertreibung und Verlust zu erzählen", erklärte Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. Bei einer Reise nach Syrien im November sei er selbst Zeuge des "unglaublichen Ausmaßes" der Zerstörung geworden. In Aleppo habe sich ihm ein "apokalyptisches Trümmerbild" geboten, sagte Schneider.

Auch in vermeintlich stabilen Regionen gehe eine unvermindert große Gefahr von versteckten Minen und Blindgängern aus. "Für Kinder, die über Trümmer klettern und dort spielen, ist das lebensgefährlich", betonte der Geschäftsführer von UNICEF Deutschland. An eine Rückkehr von geflüchteten Kindern sei derzeit "nicht zu denken".

In Deutschland streiten CDU und CSU darüber, ob abgelehnte Asylbewerber wieder nach Syrien abgeschoben werden sollen. Während der bayerische Innenminister Joachim Herrmann eine Überprüfung des Abschiebestopps fordert, lehnen führende CDU-Politiker dies derzeit ab.

Der Syrienkonflikt hat laut UNICEF eine der schlimmsten Fluchtkrisen der Welt ausgelöst. Rund sechs Millionen Syrer seien derzeit Flüchtlinge im eigenen Land, fünf Millionen weitere Menschen seien in die Nachbarländer geflohen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist dem Kinderhilfswerk zufolge dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Demnach leben 69 Prozent der Syrer in extremer Armut und verfügen umgerechnet über weniger als zwei US-Dollar am Tag.

Da sich viele Familien in finanzieller Not befänden, seien sie auf die Arbeitskraft ihrer Kinder angewiesen. Vor dem Konflikt wies Syrien unter Grundschülern eine Einschulungsrate von fast hundert Prozent auf - derzeit können 1,75 Millionen Kinder nicht zur Schule gehen, wie aus dem Bericht hervorgeht. Von den unter 25-Jährigen seien drei Viertel arbeitslos.

Das Kinderhilfswerk warnte in diesem Zusammenhang vor dem Heranwachsen einer "verlorenen Generation". Langfristig könne der Bildungsnotstand dazu führen, dass in Syrien qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Deswegen müsse alles getan werden, um die Zukunft der Kinder zu sichern.

Angesichts des einsetzenden Winters hat UNICEF eine große Spendenkampagne begonnen. In Nordsyrien, wo sich die Temperaturen bereits jetzt um den Gefrierpunkt bewegen, werde dringend Hilfe benötigt. Das Kinderhilfswerk will in den kommenden Wochen hunderttausende Kinder mit warmer Kleidung, Decken und Heizöfen für ihr Zuhause versorgen.

"Es besteht die Sorge, dass gedanklich die Karawane weiterzieht und Syrien an Aufmerksamkeit verliert", sagte Schneider. Das dürfe auch im achten Kriegsjahr unter keinen Umständen passieren: "Zur Kriegskatastrophe darf nicht noch eine Winterkatastrophe hinzukommen." (AFP/epd/Reuters)