Friedensprojekt «Tiyul-Rihla»: Die schwere Begegnung mit dem Feind

Das Friedensprojekt «Tiyul-Rihla» bringt Israelis und Palästinensern ihre gemeinsame Geschichte bei einem Ausflug näher - auch wenn jeder seine Sicht auf die Dinge hat. Von Helena Piontek

Hamsa ist müde. Schüchtern steht der 24-jährige Palästinenser ein paar Meter entfernt von der Reisegruppe, die die staubige Ruine einer Synagoge betrachtet. Wenige Stunden zuvor begab sich der junge Mann auf die bislang größte Reise seines Lebens: von Gaza nach Jericho.

Für Hamsa heißt das, zum ersten Mal raus aus dem seit zehn Jahren blockierten Gazastreifen. Zum ersten Mal seine Familie im Westjordanland in die Arme schließen, zum ersten Mal ein Stück Israel und Israelis ohne Uniform und Waffen sehen. Vor allem aber, endlich mit Israelis diskutieren.

Die Idee des Friedensprojekts «Tiyul-Rihla» ist simpel: Eine Gruppe Israelis besucht Araber im palästinensischen Verwaltungsgebiet. Zwei Monate später besuchen Palästinenser aus Gaza und dem Westjordanland eine Gruppe in Israel.

Tiyul-Rihla heißt Reise, einmal auf Hebräisch, einmal auf Arabisch. Aber bis auf die Idee ist an den Ausflügen wenig simpel. Israelis brauchen eine Erlaubnis des Militärs, um in die Zone A des Westjordanlands zu gelangen. Große rote Schilder warnen sie am Eingang palästinensischer Städte: Betreten für Israelis verboten, Lebensgefahr, per israelischem Gesetz untersagt.

Palästinenser wiederum brauchen generell eine Genehmigung, um nach Israel zu kommen - und erhalten diese selten. Für Menschen aus Gaza ist es noch schwerer. Für Hamsa hat es geklappt. Drei Tage darf er raus und ist von dem Ausflug überwältigt: «Über Facebook hatte ich schon viel Kontakt zu Juden, hier mit ihnen zu diskutieren macht mich überglücklich.»

Israel eroberte im Sechs-Tage-Krieg 1967 unter anderem das Westjordanland und den Gazastreifen. Das Westjordanland kontrolliert es bis heute weitgehend. Aus dem Gazastreifen zog die israelische Armee 2005 wieder ab. Nach der gewaltsamen Machtübernahme der radikal-islamischen Hamas 2007 verhängte Israel eine Blockade über das Küstengebiet, die mittlerweile von Ägypten mitgetragen wird.

45 Araber aus dem Westjordanland waren zu dem Ausflug angemeldet, gekommen sind nur 15. Der Vater krank, ein wichtiger Termin, zu heißes Wetter, heißt es in den Whatsapp-Nachrichten, die auf Ahmed Al-Hilus' Handy wenige Stunden vor dem Ausflug aufploppen. Friedensaktivismus ist nicht leicht. «Die Araber sagen immer kurzfristig ab», sagt Al-Hilu, der palästinensische Veranstalter des Ausflugs.

Al-Hilus Arbeit ist mühsam. Er wählt jeden Teilnehmer persönlich aus - aus Sicherheitsgründen, wie er sagt. Bei einem vergangenen Ausflug in Jerusalem hatte jemand die Gruppe fotografiert, einen Tag später erschienen die Bilder der arabischen Teilnehmer in einer palästinensischen Zeitung. Der Vorwurf: Diese Palästinenser unternehmen einen lustigen Ausflug mit israelischen Siedlern und unterstützen die Besatzung.

Diesen Vorwurf kann der Familienvater Al-Hilu gut nachvollziehen. Im Gazakrieg 2014 verlor er 23 seiner Verwandten im Gazastreifen, wo seine Familie ursprünglich her kommt. «Manchmal frage ich mich, was ich hier eigentlich mache. Bin ich ein Verräter?», sagt Al-Hilu.

Als er ein Kind war, flüchtete seine Familie nach Jericho, Geschichten von Vertreibung durch die Israelis prägten seine Kindheit. «Juden kannte ich nur mit Waffe in der Hand. An Checkpoints oder als Soldaten.» Mit 15 kämpft er während des ersten Palästinenseraufstands Intifada für die Hamas. Sein Bauch voller Wut, der Kampf für ihn die einzige Lösung.

Sieben Monate war er im israelischen Gefängnis und danach arbeitete er als Sanitäter bei der Hamas. Die israelische Kugel, die ihn wenig später traf, sitzt noch heute in seinem Nacken. Damals erkannte er: «Genug Blut, genug Kampf, genug Tote», sagt er heute.

Sein Gegenstück Jovav Kalifon, der israelische Organisator der Reise, gründete das Projekt 2011. «Es geht nicht darum, die Meinung des anderen zu ändern oder überhaupt einer Meinung zu sein», sagt der Physiker mit Rauschebart und kleiner Brille. «Es geht darum, miteinander zu sprechen und zu entdecken, dass wir unterschiedliche Sichtweisen einer Geschichte haben.» Vor Tiyul-Rihla kam er sich von Palästinensern oft missverstanden vor.

Ahmed Al-Hilu sagt: «Wir müssen beide Gruppen die Geschichte sehen und fühlen lassen. Es ist eine Begegnung mit dem Feind, oder wie ich es nenne: eine Begegnung mit Menschen.» (dpa)