Ein richtiger Wahlkampf, aber kein Machtwechsel in Sicht

Bei der Präsidentschaftswahl im Jemen muss der seit fast drei Jahrzehnten amtierende Staatschef keine Niederlage fürchten. Trotzdem können die Wahlen zu mehr Demokratie im Land führen. Von Klaus Heymach und Susanne Sporrer

Präsident Ali Abdulla Saleh; Foto: Mohamed al-Qadhi/IRIN
Jemens Präsident Ali Abdullah Saleh verkündet, dass er sich erneut zur Wahl stellen wird

​​Drei Mal hat der Jemen in diesem Jahr die Chance vertan, sich als Vorreiter in Sachen Demokratisierung auf der arabischen Halbinsel zu profilieren:

Zunächst im Juni, als Staatschef Ali Abdullah Saleh sein Versprechen brach, bei der Präsidentschaftswahl am 20. September nach 28 Amtsjahren nicht noch einmal anzutreten.

Dann im Juli, als das Parlament keine einzige von mehreren Bewerberinnen als Herausforderin um die Präsidentschaft nominierte.

Und schließlich im August, als die Parteien selbst bei den zeitgleich stattfindenden Lokalwahlen nur ein paar Dutzend Frauen gegen rund 20.000 Männer ins Rennen schickten.

Der Wahlkampf begann mit einer Farce: In einer inszenierten Massendemonstration bettelten Hunderttausende, der Staatschef möge das Land nicht im Stich lassen und doch noch weitere sieben Jahre an der Macht bleiben. Im letzten Moment beugte sich Saleh schließlich "dem Willen des Volkes" und ließ sich von seiner Partei, dem Nationalen Volkskongress, erneut als Präsidentschaftskandidat aufstellen.

Die fast ein Jahr lang wieder und wieder vorgetragene Beteuerung des 64-Jährigen, das Feld der "nächsten Generation" zu überlassen, ist vergessen.

Kein neuer Präsident

Der neue Präsident wird der alte sein, wie seit 1978 – daran zweifelt niemand. Dennoch ist in diesem Wahlkampf vieles in Bewegung gekommen in der einzigen Republik der Region. Erstmals muss sich Saleh einem ernstzunehmenden Gegenkandidaten stellen – bei der Wahl vor sieben Jahren hatte die größte Oppositionspartei, die islamisch-tribalistische Islah, noch den Amtsinhaber unterstützt.

Jetzt setzen Islah, Sozialisten und weitere kleinere Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten. Der 72-jährige Faisal bin Schamlan saß bereits im damals sozialistischen Süden im Kabinett, später war er Ölminister im vereinigten Jemen und erregte als solcher Aufsehen, als er das Amt aus Protest gegen Korruption niederlegte.

Selbst wenn Schamlan besser reden könnte, charismatischer und ein bisschen jünger wäre – eine wirkliche Chance auf das höchste Staatsamt hätte er kaum. Zu sehr hängt das Machtgefüge im Jemen noch von Saleh und seiner Familie ab, zu groß ist die Angst in der Bevölkerung vor Instabilität und Chaos bei einem abrupten Machtwechsel.

In vielen Regionen des verarmten Landes entscheiden eher Stammesloyalitäten als politische Programme über das Votum, der eigene Scheich ist manchen wichtiger als der Präsident.

"Die Furcht schwindet"

Aber immerhin: Zum ersten Mal tragen Machthaber und Opposition einen Wahlkampf aus, der diese Bezeichnung auch verdient. Kritik am Staatsoberhaupt ist nicht mehr tabu. Der Herausforderer hat die Abstimmung zu einer "Wahl zwischen Wahrheit und Lüge, Fortschritt und Rückschritt, Wohlstand und Armut" erklärt.

Die amtierende Regierung nennt er in seinen Wahlkampfreden "korrupt und machtversessen" – und Hunderttausende hören ihm dabei zu.

Auch die Machtfülle des Präsidenten will Schamlan beschneiden, um die Justiz unabhängiger und die Provinzregierungen stärker zu machen. Klare Worte, die – natürlich erst im Anschluss an die ausführliche Berichterstattung über den Präsidenten – auch im Staatsfernsehen übertragen werden. So etwas hat es bisher nicht gegeben.

"Die Furcht schwindet, gegen den ersten Mann im Staat zu opponieren, das ist ein Schritt vorwärts", sagt Raufa Hassan, die sich seit Jahren für Demokratie und Frauenrechte im Jemen einsetzt.

Beginn einer jemenitischen Frauenbewegung

Auch die Frauen nutzen den Wahlkampf, um mehr politischen Einfluss zu fordern. Zwar war der Jemen das erste Land der Region, das Frauen ein Wahlrecht zubilligte. Und auch zwei Frauen im Kabinett sind im Vergleich mit den Nachbarstaaten ein Ausdruck von Fortschrittlichkeit. Aber den Jemenitinnen noch lange nicht genug.

Raufa Hassan; Foto: Larissa Bender
"Wir setzen uns seit über einem Jahr für eine höhere Frauenquote bei den Lokalwahlen ein", sagt die Frauenrechtlerin Hassan

​​"Wir setzen uns seit über einem Jahr für eine höhere Frauenquote bei den Lokalwahlen ein", sagt die Frauenrechtlerin Hassan. 1000 Frauen sollten sichere Plätze in den kommunalen Vertretungen erhalten, ein Anteil von 15 Prozent, das wurde mit den Parteien vereinbart. "Aber keiner hat sich daran gehalten."

Aus Protest marschierten Aktivistinnen verschiedener Organisationen im August zusammen zum Präsidentenpalast. "Die erste Demonstration von Frauen für Frauen im wiedervereinigten Jemen", sagt Hassan.

Die Parteien ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken, die konservative Islah stellte erst gar keine Kandidatinnen auf.

Die beteiligten Frauengruppen sammelten deshalb kurzerhand selbst Geld, damit die wenigen unabhängigen Bewerberinnen bei den Lokalwahlen nicht ganz chancenlos bleiben. Umgerechnet 400 Euro stellten sie jeder der 90 Parteilosen zur Verfügung.

"1993 ging es noch um die Frage, ob Frauen überhaupt wählen sollen. Jetzt reden wir immerhin schon über Kandidatinnen. Das ist der Beginn einer wirklichen Frauenbewegung im Jemen", sagt Hassan.

Auch der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sanaa, Felix Eikenberg, sieht Anzeichen für eine Demokratisierung: Vor allem in den Kommunen sei die Opposition gut organisiert und lasse ihre Kandidaten oft nicht gegeneinander antreten.

"Das spricht für die politische Reife. Wenn die Wahlen einigermaßen friedlich und fair ablaufen und der Gegenkandidat vielleicht 30 Prozent der Stimmen erreicht, dann ist das schon ein Anfang", sagt Eikenberg. Damit werde sich auch die Erkenntnis durchsetzen, dass ein friedlicher Machtwechsel möglich sei.

Vielleicht nutzen die Jemeniten ja die vierte Chance in diesem Jahr, der Demokratie ein bisschen näher zu kommen.

Klaus Heymach und Susanne Sporrer

© Qantara.de 2006

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