Neuer Ansturm von Migranten auf Melilla: Über den Grenzzaun in die «Festung Spanien»

Ohne Schuhe und Gepäck, aber voller Hoffnung überwinden immer neue Migranten die Grenzzäune nach Ceuta und Melilla. Ihr altes Leben lassen sie hinter sich, ohne zu wissen, wo das neue sie hinführt. Denn noch sind sie theoretisch in Nordafrika. Wo geht ihre Reise hin? Von Carola Frentzen

Die Namen Ceuta und Melilla sind für viele afrikanische Migranten eine süße Verlockung - zu verlockend, um ihr zu widerstehen, handelt es sich doch um zwei Fleckchen Europa an der Küste Nordafrikas. Statt ein seeuntaugliches Boot zu besteigen und im Mittelmeer auf der Überfahrt nach Malta oder Sizilien das Leben zu riskieren, brauchen die Menschen hier nur von der marokkanischen Seite aus einen Zaun zu stürmen oder zu erklimmen. Mehr trennt sie nicht vom vermeintlich gelobten Land: Spanien. Die Realität, die sie in den Exklaven erwartet, ist aber alles andere alsparadiesisch.

Wenn sich - wie jetzt wieder geschehen - genügend Migranten zusammenfinden, um einen Massenansturm zu wagen, gelingt es oft gleich Dutzenden, die EU zu erreichen. Viele verletzen sich, tragen etwa beim Sprung aus der Höhe Knochenbrüche davon. Aber verglichen mit den Strapazen einer Seereise in einem überfüllten Gummiboot scheinen die sechs Meter hohen Grenzzäune trotz Stacheldrahts und Polizei-Bewachung allemal die sicherere Wahl.

Erreichen sie das direkt an der Straße von Gibraltar gelegene Ceuta, trennen die Einwanderer nur noch knapp 30 Kilometer Meer vom spanischen Festland. Von Melilla aus sind es etwa 180 Kilometer. Aber es kann sehr lange dauern, bis sie sich auf den Weg machen dürfen. Zunächst sitzen sie im CETI fest, dem örtlichen Erstaufnahmezentrum. «Selbst wenn sie Asyl beantragen, müssen sie monatelang warten, manchmal sogar ein Jahr lang, bis sie aufs Festland gebracht werden», sagt Ana Gómez, die Sprecherin von Amnesty International in Spanien.

In der Zwischenzeit harren sie in dem nach jedem neuen Ansturm völlig überfüllten Zentrum aus. «Dort werden sie medizinisch versorgt und bekommen Kleidung, Schuhe und was sie sonst noch so brauchen», erklärt eine Sprecherin des Roten Kreuzes in Ceuta. «Viele der Migranten kommen barfuß hier an und sind erschöpft.» Kein Wunder, die meisten haben eine anstrengende und gefährliche Reise quer durch West- und Nordafrika hinter sich und saßen dann lange ohne Versorgung auf der marokkanischen Seite des Zauns fest. 

Auch im CETI ist das Wasser kalt, das Essen entspricht oft nicht dem Kulturkreis, aus dem die Migranten stammen, und Menschenrechtler berichten auch von Misshandlungen und Diskriminierung - speziell von Frauen und Homo-, Bi- oder Transsexuellen. Für einen Langzeit-Aufenthalt ist dieser Ort alles andere als geeignet.

Manche hier sind marokkanische Staatsbürger oder kommen aus dem südlich davon gelegenen Mauretanien. «Aber viele stammen auch aus Mali, Guinea und Sierra Leone», erzählt Gómez. «Es handelt sich also nicht nur um sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch um Menschen, die sowohl aus Konfliktgebieten als auch vor verschiedenen Arten von Verfolgung fliehen, wie etwa Zwangsehen, Gewalt oder Diskriminierung wegen ihrer sexuellen Orientierung. Sie haben deshalb ein Recht darauf, dass ihr Asylantrag eingehend geprüft wird.»

Asyl wollen die meisten Migranten erst beantragen, wenn sie auf dem europäischen Festland angekommen sind. «Sie haben Angst, schon in Ceuta oder Melilla um Asyl zu bitten, weil sie befürchten, dann noch länger im CETI bleiben zu müssen, um die Antwort abzuwarten», erläutert Gómez. Eine Ausnahme bildeten Syrer: Sie würden als Kriegsflüchtlinge sowieso schon nach kurzer Zeit nach Spanien gebracht und stellten deshalb gleich einen Asylantrag.

Auch Marokkaner und Mauretanier beeilten sich mit ihrer Anfrage - jedoch aus einem anderen Grund: Ihnen drohe andernfalls die sofortige Ausweisung. Denn obwohl dies dem internationalen Recht widerspreche, gebe es weiterhin kollektive Abschiebungen aus Ceuta und Melilla.

«Kollektivabschiebungen kommen an der südlichen Grenze nicht nur recht häufig vor, sondern die spanische Regierung hat sogar versucht, sie durch eine Gesetzesänderung zu legalisieren», so Gómez. Was danach passiere, dürfe Amnesty heute nicht mehr untersuchen. Aber in der Vergangenheit habe es immer wieder Berichte über exzessive Gewalt seitens der marokkanischen Sicherheitskräfte gegeben, auch von Folter und sogar Tötungen war die Rede. Will heißen: Wer die Zäune einmal überwunden hat, der will um keinen Preis zurück.

So hofften alle darauf, einen Platz in einem der Zentren zu finden, die auf dem spanischen Festland von Nichtregierungsorganisationen (NGO) geleitet würden, sagt José Palazón, Präsident der Organisation Prodein, die in Melilla arbeitet. Ist dies gelungen, werden die Migranten meist auf die NGO-Zentren verteilt. Die Fahrt bezahlt die spanische Regierung, danach sind die Organisationen zuständig. Dabei ist Spanien nicht einmal das eigentliche Ziel der Migranten.

«Sie wollen fast alle in einem anderen EU-Land Asyl beantragen», sagt Gómez. Der Grund dafür sei vor allem die spanische Migrationspolitik. «Im Jahr 2015 etwa haben nur 1.020 Flüchtlinge in Spanien irgendeine Art von Schutz bekommen, 16.400 Asylanträge waren noch gar nicht bearbeitet. Manchmal dauert es Jahre, bis eine Antwort kommt.» (dpa)