"Raus aus der Komfortzone": Namhafte jüdische Vertreter fordert Ende der israelischen Besatzung

Mit einer speziellen "Jubiläumshaggada" rufen prominente jüdische Vertreter 50 Jahre nach Beginn der israelischen Besatzung zur Befreiung der Palästinenser auf.

Freiheit ist der zentrale Gedanke des Pessachfests, mit dem Juden alljährlich im Frühjahr des Auszugs aus Ägypten gedenken. "Freiheit für das Land und all seine Bewohner", fordern 50 Jahre nach der israelischen Besatzung des Westjordanlandes prominente jüdische Vertreter in einer eigenen "Jubiläumshaggada", dem liturgischen Buch für den Sederabend an Pessach.

Herausgegeben hat das am Sonntagabend offiziell vorgestellte Buch die israelische Organisation "SISO" (Save Israel, stop Occupation). Das einwöchige Pessachfest beginnt mit dem Sonnenuntergang am Montag und endet am Dienstag kommender Woche nach Einbruch der Dunkelheit.

Nach biblischer Tradition ist das fünfzigste Jahr ein Jubeljahr der Freiheit. Zusammen mit dem Freiheitsfest Pessach sei dies der Anlass, auf 50 Jahre israelische Herrschaft über das palästinensische Volk zu blicken und Freiheit "für das ganze Land und alle seine Bewohner" zu fordern. "Die Zeit für Freiheit und Frieden ist gekommen", schreiben die Verfasser der Jubiläumshaggada. Ein "moralischer Aufschrei" für ein palästinensisches Volk solle sie sein, das sich "nach seiner eigenen Flucht aus der Knechtschaft sehnt".

Dreißig Autoren, Künstler, Sänger und Denker, vom Schriftsteller Amos Oz über den früheren Knessetsprecher Avraham Burg bis zur Soziologin Eva Illouz, haben sich dem "Aufschrei" angeschlossen. Dem Ablauf des Sederabends folgend kommentieren sie die alten Texte und stellen sie in einen aktuellen politischen Kontext. "Je kürzer die Besatzung dauert, desto besser für uns", heißt es im Kommentar von Amos Oz zum "ersten Becher Wein" des Festmahls. Besatzung, auch wenn sie "liberal und menschlich" sei, bleibe Besatzung und als solche zerstörerisch. Angst habe er, schreibt Oz weiter, vor dem "Samen, der in die Herzen der Besatzer eingepflanzt" werde.

Die Jubiläumshaggada habe eine "doppelte Zeitleiste", erklärt Mitautor Avraham Burg das Projekt gegenüber der KNA. Die "unmittelbare" sei der "kulturelle und politische Kampf" um den rechten Rahmen des 50-Jahr-Gedenkens an den Sechstagekrieg 1967: "Die Regierung und die politische Rechte stellt ihn als Befreiung dar, ohne den Preis zu berücksichtigen, den beide, besetzte Palästinenser und besetzende Israelis, dafür zahlen. Wir hingegen wollen eine Gelegenheit bieten, beide, Gefangene und Gefängniswärter, zu befreien." Tiefer ist nach Worten Burgs die zweite, "ewige" Zeitleiste, der "seit Jahrtausenden andauernde Streit zwischen einem 'Judentum des Einzelnen' und einem 'universellen Judentum'", dessen "kontextuelles Schlachtfeld" Pessach sei. Die Neuverortung der Haggada könne eine "alternative, humanistische Denkweise" bringen.

"Raus aus der Komfortzone", fordert Anat Hoffman, die als Vorsitzende der Frauenrechtsbewegung "Women of the Wall" seit Jahren um Gebetsfreiheit an der Klagemauer kämpft, ihre Glaubensgenossen in ihrem Beitrag auf. Ein Pessachabend, der durch die 50-jährige Besatzung eines anderen Volkes gekennzeichnet sei, rufe nach "besonders tiefer Veränderung". "Unterdrücker sind unterdrückt, Schläger werden geschlagen, wann hat dieser Wahnsinn endlich ein Ende?", fragt die Sängerin Chava Alberstein.

Seit Jahrzehnten sei der israelisch-palästinensische Konflikt eine blutende Wunde, die es zu heilen gelte, heißt es bei Amos Oz. "Ich glaube noch immer daran(...). Es gibt einen Weg, diese Wunde schrittweise zu heilen." "In diesem fünfzigsten Jahr müssen wir uns befreien und freilassen und uns selbst und unsere Nachbarn vom Haus der Knechtschaft erlösen", fordert die Haggada.

Sollte sie mit ihren Forderungen nach Frieden und Freiheit für alle im Heiligen Land Gehör finden, könnte sich dem befreienden Auszug Israels aus Ägypten eine weitere Antwort auf die zentrale Frage im Pessachritual anschließen: "Warum ist diese Nacht so anders, als die übrigen Nächte?" - Weil sie Israel und Palästina befreit von einer Besatzung, die zwei Völker und eine ganze Region seit 50 Jahren in ihren Fängen hält, wäre die Antwort. Die Bereitschaft der Verantwortlichen lässt allerdings auf sich warten. (KNA)