Doku "Der Schatz von Timbuktu": Ein toleranter Islam gegen Fanatismus

Lutz Gregors Dokumentation "Der Schatz von Timbuktu" ist ein ungewöhnlicher Film. Gregor geht anders vor als viele seiner Kollegen, die fürs Fernsehen einen Gegenstand in all seinen Facetten und Eigenschaften untersuchen, die einen gesellschaftlichen Dialog beginnen oder moderieren möchten, die Ambivalenzen ans Licht bringen: Gregor bringt den Gegenstand selbst ans Licht. Er hebt etwas Wertvolles ins Blickfeld der Öffentlichkeit.

Das Vorgehen lässt sich grundsätzlich häufiger im Kino als im Fernsehen beobachten. Lutz Gregor ist mit beiden Medien vertraut - erst im vergangenen Sommer lief der Musik-Dokumentarfilm "Mali Blues" des ausgewiesenen Afrika-Experten an. Seine neue Dokumentation ist nun am  Mittwoch (22. Februar) ab 22.20 Uhr auf ARTE zu sehen.

Auch dabei steht Mali im Mittelpunkt. Lutz Gregors ungewöhnliche Methode bringt freilich eines mit sich: Sie feiert ihren Gegenstand, die Rettung historischer Handschriften, begegnet ihren Protagonisten weitgehend unkritisch und zieht eine klare Grenze zwischen ihnen und den Dschihadisten auf der anderen Seite des Konfliktes.

Dies jedoch ist in diesem Fall eine nachvollziehbare, ja notwendige Parteinahme. Schließlich waren es doch die Milizionäre der islamistischen Bewegung Ansar Dine, die 2012 den Norden Malis unterjochten und mit harter Hand die Einhaltung ihrer Variante der Scharia durchsetzten.

In unruhigen, offensichtlich von Amateuren gemachten Aufnahmen aus der Besatzungszeit lässt Gregor die Fundamentalisten sprechen oder an der Eloquenz der Einwohner Timbuktus verzweifeln. Wie solle man denn Allah im Herzen tragen, fragt ein Mann, wenn man Angst vor den Waffen derer habe, die behaupten, die Gebote Allahs zu vertreten? Er sehe da keinen Widerspruch, nuschelt ein junger Islamist unsicher zurück.

Bei alledem ist Gregors Film allerdings kein vordergründig politischer, sondern eben eine Feier des titelgebenden Schatzes. Er ist ein ideeller und materieller zugleich, der den Glauben in sich trägt und dennoch physisch existiert. Somit scheint er besonders gefährdet durch die religiösen Eiferer, deren Brüder im Geiste sich schon in Afghanistan und Syrien als fanatische Bilderstürmer erwiesen hatten.

In Timbuktu, einer mittelalterlichen Universitätsstadt und Hochburg eines toleranten Islam, lagerten mehr als 300.000 historische Manuskripte. Diese Handschriften sind - dem Mut der Menschen aus Timbuktu zum Trotz - die wahren Helden des Films: Die Kamera schwelgt geradezu in Bildern von dicken, vor ehrbarem Alter verschrumpelten Ledereinbänden, in kunstvoll geschwungener Tinte auf dichtem Papier.

Und obwohl die Schriften längst auch in Einrichtungen wie dem Ahmed Baba Institut professionell gelagert und konserviert werden, finden sich viele dieser Ehrfurcht gebietenden Bände noch in riesigen Familienbibliotheken wie in der des Imams Abdramane Ben Essayouti. Geschichte ist hier tatsächlich noch zum Anfassen da - auch wenn dies über die Jahrhunderte hinweg den Büchern nicht unbedingt gut tat - und zum Bestauntwerden.

Um diese Tradition vor den Islamisten zu schützen, brachten die Einwohner von Timbuktu mit Hilfe der Unesco mehr als 90 Prozent der Bücher heimlich in Sicherheit in die malische Hauptstadt Bamako. Filmisch vollzieht sich die Rettung reichlich unspektakulär - wenn vom Transport im Kofferraum die Rede ist, zeigt Gregor ein davonfahrendes Auto. Wenn er an die Verschiffung einiger Bücher erinnert, lässt Gregor einen Mann mit seinem Boot ablegen.

Doch bedeutender als die Rettung prägt sich das ein, was da gerettet wurde: ein Hort des analogen Wissens, auch der Toleranz. Aus ihm ließe sich lernen, dass viele Koraninterpreten aus der frühen Neuzeit den fanatischsten Auslegungen ihrer Nachfolger um Jahrhunderte voraus waren. (KNA)

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