Kürzungen für die Maghrebstaaten - Entwicklungshilfe als Druckmittel?

Darf Deutschland Entwicklungshilfe als Druckmittel einsetzen, damit Länder wie Marokko oder Tunesien ihre Bürger, die als Asylbewerber abgelehnt wurden, wieder zurücknehmen? Darüber streitet die Regierungskoalition in Berlin. Die Idee geistert schon seit mehr als einem Jahr durch die politischen Debatten. Im Zusammenhang mit dem Berliner Attentäter, dem Tunesier Anis Amri, haben auch Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sowie SPD-Chef Sigmar Gabriel und Bundesjustizminister Heiko Maas (beide SPD) die Forderung erneut erhoben. Nachfolgend einige wichtige Fakten in der Debatte:

Um wie viele Menschen geht es?

Nach Angaben von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) gibt es im Augenblick 52.000 Ausreisepflichtige ohne Duldung. Sie stammen vor allem aus Albanien, Serbien, Kosovo und Mazedonien. Auch aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan kommen größere Gruppen. Aus den Maghreb-Staaten stammen laut Müller lediglich rund 1.800 Ausreisepflichtige, davon aus Marokko 1.300 und aus Tunesien 457. Im Zuge der Flüchtlingskrise haben die nordafrikanischen Staaten rund 110 Flüchtlinge wieder aufgenommen.

Was spricht gegen Entwicklungshilfe als Druckmittel?

Müller betont, dass Entwicklungshilfe an die Maghreb-Staaten auch im deutschen Interesse sei, weil sie die Länder stabilisiere und damit Fluchtursachen beseitige. Der CSU-Politiker unterstrich, dass die Maghreb-Staaten bei der Rückführung mutmaßlicher Staatsbürger kooperierten. Sie hätten aber selber große Probleme mit dem Terrorismus.

Gibt es andere Druckmittel?

Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Dirk Messner, hält Sanktionen durchaus für legitim. Sie müssten sich dann aber gezielt gegen die Regierungen richten. Möglich sei etwa eine Kürzung der Exportförderung. Die arme Bevölkerung dürfe von solchen Maßnahmen aber nicht getroffen werden.

Müller plädiert für konkrete Verhandlungen über Rückführungsabkommen - und zwar "im Respekt". Deutschland unterstütze dabei Tunesien und Marokko, damit Kommunalverwaltungen Registrierungsprogramme auflegen könnten, um die zurückgeführten Flüchtlinge wieder zu integrieren. Zugleich müsse auch Deutschland seine Hausaufgaben machen. Marokko und Tunesien forderten zu Recht, dass die Herkunft zurückgewiesener Flüchtlinge eindeutig festgestellt werden müsse; dazu müsse Deutschland die biometrischen Daten aller Flüchtlinge erheben.

Wie sehen die Beziehungen zwischen Deutschland und Tunesien aus?

Beide Länder pflegen seit den 1950er Jahren gegenseitige Beziehungen. Seit der Revolution vom 14. Januar 2011 unterstützt das Auswärtige Amt das Land bei dem Übergang zur Demokratie. Zwischen beiden Regierungen wurden eine "Transformationspartnerschaft" sowie regelmäßige Staatssekretärstreffen vereinbart. Es geht um die Förderung von Rechtsstaat und guter Regierungsführung, Beschäftigungsförderung und duale Ausbildung, Zivilgesellschaft und professionelle Medien. Das Wirtschaftsministerium eine Energiepartnerschaft.

Und die Entwicklungszusammenarbeit?

In der Entwicklungszusammenarbeit ist Deutschland laut Ministerium (BMZ) einer der wichtigsten bilateralen Partner Tunesiens. In Folge der Revolution hat das BMZ seine Leistungen von 37,5 Millionen Euro 2010 auf 215 Millionen im Jahr 2015 erhöht. Seit Beginn der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit in den 60er Jahren hat Tunesien aus Deutschland Entwicklungshilfe in Höhe von über 1,5 Milliarden Euro erhalten. Die Schwerpunkte der Kooperation sind Umwelt- und Ressourcenschutz, Wasser, nachhaltige Wirtschaftsentwicklung sowie erneuerbare Energien und berufliche Bildung. Tunesien profitiert zusätzlich von der Sonderinitiative "Stabilisierung und Entwicklung Nordafrika-Nahost", mit der die deutsche Entwicklungspolitik einen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen und für mehr politische Partizipation und mehr soziale Gerechtigkeit in der Region leiste. (KNA)