Jerusalem, Stadt der zwei Frieden

Jordi Savall und Montserrat Figueras, zwei renommierte Künstler der Alten Musik, haben ein Album produziert, das zur Entdeckung der jüdischen, christlichen, arabischen und osmanischen Musik-Traditionen der Stadt Jerusalem einlädt. Lewis Gropp stellt das interkulturelle Musikprojekt vor.

Felsendom in Jerusalem; Foto: picture-alliance/dpa
Jerusalem trägt den Frieden in seinem Namen, doch ist die Stadt zu einem Sinnbild für die Unversöhnlichkeit verfeindeter Völker und sich gegenseitig widersprechender religiöser Machtansprüche geworden.

​​ Die Stadt Jerusalem ist zentraler Bezugspunkt der drei großen monotheistischen Religionen. Nachdem König David Jerusalem zum politischen und religiösen Mittelpunkt des Königreiches Israels gemacht hatte, wurde die "Tempelstadt" das Zentrum des Judentums in und außerhalb Israels. Den Christen ist Jerusalem als Ort der Leidensgeschichte, Kreuzigung und Auferstehung Jesus von Nazareth heilig. Von hier aus verkündete die Jerusalemer Gemeinschaft des Urchristentums ihre Religion.

Für Muslime ist die Stadt nach Mekka und Medina traditionell die drittheiligste des Islam. Bevor in Richtung der Kaaba in Mekka gebetet wurde, war Jerusalem sogar für etwa ein Jahr Richtungsort des rituellen Gebetes.

Im Laufe ihrer rund 4000 Jahre alten Geschichte wurde Jerusalem rund 40 Mal zerstört, geplündert und gebrandschatzt. Die Stadt ist heute ein Sinnbild für die Unversöhnlichkeit verfeindeter Völker und sich gegenseitig widersprechender religiöser Machtansprüche. Und doch trägt diese Stadt den Frieden in ihrem Namen.

Das hebräische Wort 'Jerusalem' bedeutet nach etymologischer Lesart Die Stadt der zwei Frieden, eine Anspielung auf den irdischen und den himmlischen Frieden, den die Propheten des Alten Testaments verkündigten. So erkennt man in dem Namen auch das hebräische Wort Shalom – und somit auch das sprachlich verwandte Arabische Salam.

Künstler für Frieden

Ausgehend von dieser Idee haben nun Jordi Savall und Montserrat Figueras ein ungewöhnliches Musikprojekt realisiert – Jérsualem: La Ville des deux Paix.

Auf dem Doppelalbum erkunden die beiden Spezialisten für Alte Musik musikalische Traditionen der verschiedenen Epochen Jerusalems: der jüdischen, der christlichen, der arabischen und der osmanischen. Die beiden CDs werden durch ein über 400 Seiten starkes Buch begleitet, das die historischen und musikhistorischen Hintergründe beleuchtet; sämtliche Texte sind in Englisch, Arabisch, Hebräisch, Französisch, Spanisch, Katalanisch, Deutsch und Italienisch wiedergegeben.

​​ Jordi Savall und Montserrat Figueras, UNESCO "Artists for Peace" 2008, brachten für dieses dialogische Jerusalem-Projekt jüdische, muslimische und christliche Musiker aus all den Ländern zusammen, aus denen im Laufe der Jahrhunderte musikalische Traditionen in Jerusalem ihre Spuren hinterlassen haben: Israel, Palästina, Griechenland, Syrien, Armenien, der Türkei, England, Frankreich, Spanien und Italien.

Geschichte des Heiligen Lands in alten Liedern

Der Abschnitt über die "jüdische Stadt" beginnt mit der Gründung Jerusalems und endet mit der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 (n. Chr.). Es wird hier mit einer Auswahl der schönsten Psalmenlieder Davids dargestellt, wie sie in der uralten Tradition der Juden aus Südmarokko erhalten wurden, sowie einem Text von Rabbi Akiba, einem der bedeutendsten Väter des rabbinischen Judentums.

Jordi Savall; Foto: picture-alliance/dpa
Die Musik wird "zum entscheidenden Leitfaden um einen wahren interkulturellen Dialog zwischen Menschen höchst verschiedener Nationen und Religionen herzustellen, denen jedoch die Sprache der Musik, der Musikalität und Schönheit gemein ist", so der Musiker Jordi Savall.

​​ Das christliche Kapitel setzt mit der Ankunft von Kaiserin Helena im Jahr 326 ein und endet 1244. Eröffnet wird es mit einer Stavrotheotokia, einer düsteren, meditativen Hymne an die Jungfrau Maria, die Kaiser Leo VI. (886-912) zugeschrieben wird. Darauf folgt der auf Französisch vorgetragene Aufruf zum Heiligen Krieg (1095) von Papst Urban II., mit Fanfaren und militärischem Trommelschlag, die zu den Kreuzzügen aufrufen.

Das Kapitel wird mit einer stillen, demutsvollen Improvisation zu dem Lied "Pax in nomine Domini" ("Friede im Namen des Herrn!") geschlossen, das an die Schlacht von Gaza im Jahr 1244 erinnert. Hier fügten die muslimischen Ayyubiden den Kreuzfahrern und ihren verbündeten syrischen Truppen eine entscheidende Niederlage zu. Das klug zusammengestellte Album spiegelt musikalisch die bedeutenden Eckpunkte der Geschichte des Heiligen Landes wider.

Jerusalem als arabische Stadt (1244-1516) wird unter anderem mit dem Gesang der 17. Sure des Korans dargestellt, die den Aufstieg des Propheten Mohammed vom Tempelberg in den Himmel beschreibt.

Der Traum Sultan Süleymans

Die heute im öffentlichen Bewusstsein fast vergessene osmanische Ära in der Stadtgeschichte Jerusalems erstreckte sich über 400 Jahre – von 1517 bis 1917.

Auf dem Album ist sie verarbeitet in Form einer Erzählung eines Traums von Süleyman dem Prächtigen, vorgetragen auf Türkisch zu den Klängen einer Oud, sowie eines prachtvollen osmanischen Kriegsmarschs aus dem 16. Jahrhundert – freilich vorgetragen in kultivierter Manier hoher Musikalität und klanglicher Raffinesse.

​​ Das Kapitel "Pilgerstadt" steht ebenfalls im Zeichen der drei monotheistischen Religionen. Es wird von Ibn Battuta eröffnet, dem bedeutenden marokkanischen Forschungsreisenden (ca. 1304-1377), der von der sagenhaften Schönheit des goldbedeckten Felsendoms schwärmt.

Des Weiteren wurden Texte von Jehuda ben Shmuel ha-Levi vertont, dem sephardischen Rabbi, Arzt, Philosoph und Dichter aus Saragossa im muslimischen Spanien. Auch Alfons X., genannt "Der Weise", König von Kastilien und León (1221-1284), ist mit einem Lied aus der größten Sammlung mittelalterlicher Lieder, der Cantiga de Santa María, vertreten.

Ein erschütterndes Tondokument

Das dramatischste Dokument des Albums ist indessen die historische Aufnahme von Shlomo Katz, eines Juden rumänischer Herkunft. Bevor Katz 1941 in Auschwitz hingerichtet werden sollte, bat er um die Erlaubnis, das Totenlied El male rahamim zu singen. Ergriffen von der Pracht, Gefühlskraft und Intensität des Vortrags, ermöglichte der diensthabende Nazi-Offizier Shlomo Katz die Flucht. 1950 nahm Katz das Lied auf und so ist dieses für die Nachwelt überliefert.

Das Lied verströmt von sich aus eine bestürzende Tragik und Anmut, vor dem Hintergrund der Geschichte wird es indessen zu einem schwer erschütternden Tondokument.

Mit "Jérusalem: La Ville des deux Paix" ist Jordi Savall und Montserrat Figueras die Zusammenstellung eines multikulturellen Freskos gelungen. Jedes Lied, jeder Text bildet einen möglichen Ausgangspunkt, die dramatische und schillernde Geschichte des mittelalterlichen Morgen- und Abendlandes und ihrer gemeinsamen Schnittpunkte zu erkunden.

"Hier wird die Musik zum entscheidenden Leitfaden", so Jordi Savall, "um einen wahren interkulturellen Dialog zwischen Menschen höchst verschiedener Nationen und Religionen herzustellen, denen jedoch die Sprache der Musik, der Musikalität und Schönheit gemein ist."

Lewis Gropp

© Qantara.de 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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