Bischöfe und Experten diskutieren über Migration und Identität: "Europa muss den Islam anerkennen."

Katholische Bischöfe, Seelsorger und Wissenschaftler aus mehreren europäischen Ländern haben am Mittwoch in Berlin über das Thema Migration und kulturelle Identität debattiert. Dabei zeigten sich neben einem breiten Konsens auch unterschiedliche Einschätzungen über die Grenzen der mentalen und der materiellen Belastbarkeit der Einwanderungsländer. Die Studientagung wurde von den Bischofskonferenzen Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz organisiert.

Der Kasseler Soziologe Heinz Bude erklärte, dass die seit 1960 in Frankreich, Großbritannien und Deutschland praktizierten unterschiedlichen Modelle der "Absorption" von Migranten heute nicht mehr funktionierten. In Deutschland habe 2016 nur ein Bruchteil der rund eine Million Neueinwanderer in der Industrie Arbeit gefunden. Für Europa forderte Bude eine Rückbesinnung auf die Prinzipien Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Übersetzungsfähigkeit und Gottebenbildlichkeit des Menschen.

Gegen die Idee einer "Festung Europa" argumentierte der in Washington D.C. lehrende spanische Soziologe Jose Casanova. Sie sei moralisch verwerflich und nicht praktikabel. Er erinnerte daran, dass das Christentum sich durch Migration weltweit ausgebreitet habe. Europa solle nun den Islam als eine "legitime europäische Religion" anerkennen.

Dazu gehöre auch die Einführung muslimischer Feiertage in europäischen Ländern. Auf die komplexe Erfahrung mit Zuwanderung in die katholische Kirche verwies der Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz, Charles Morerod. In manchen Kantonen seien heute schon mehr als 40 Prozent der Katholiken Migranten. 

Der deutsche Bischofskonferenz-Vorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, erklärte, hinter der Debatte um eine zahlenmäßige Überforderung durch die Zuwanderer stecke in Wahrheit oft die Angst vor dem Fremden, insbesondere vor dem Islam. Eine neue, integrierende Sprechweise über Muslime in Europa schlug der Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz, Georges Pontier, vor. Statt von "französischen Muslimen" spreche er jetzt nur noch von "muslimischen Franzosen". 

Der Migrationsbeauftragte der polnischen Bischofskonferenz, Weihbischof Krysztof Zadarko, machte für sein Land geltend, dass es große Unterschiede zu den Kapazitäten der reicheren Länder im Westen gebe. Gruppen nahöstlicher Flüchtlinge, die mit kirchlicher Hilfe in Polen aufgenommen wurden, seien schon bald nach Westen weitergereist.

Der Straßburger Weihbischof Christian Kratz bemerkte am Rande der Tagung, die Realität des zunehmenden Salafismus in den französischen Vorstädten gebe wenig Anlass zu Optimismus. (KNA)