Der französische Philosoph Philippe-Joseph Salazar: "Sprachliche Bewaffnung" im Kampf gegen den IS

Die Propagandavideos des IS wie auch die westliche Rede vom Krieg gegen den Terror zeigen, welche unterschiedliche Rolle Sprache spielen kann. Ein französischer Philosoph analysiert die Zusammenhänge.

Vergessen Sie alles, was Sie bisher über Terror gelesen haben: Das könnte dem Buch "Die Sprache des Terrors" als Motto vorangestellt sein. Der französische Philosoph Philippe-Joseph Salazar beschreibt darin die gravierenden Unterschiede im Reden und Denken des Westens sowie im Herrschaftsgebiet der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Für sein Werk erhielt der in Kapstadt lehrende Rhetorikprofessor bereits den Prix Bristol des Lumieres. Am heutigen Montag erscheint es auf Deutsch.

Wer im Kampf gegen den IS Erfolg haben will, muss den Krieg der Worte gewinnen, so Salazars Kernbotschaft. Die Chancen stünden jedoch denkbar schlecht: Die Werte der Französischen Revolution, auf die sich die westlichen Länder nach den Attentaten in Paris im vergangenen Jahr beriefen, hätten nicht mehr jene Strahlkraft wie die muslimischen Glaubensformeln. Zudem bestünden bezüglich des Islam zahllose Missverständnisse.

Als Beispiele nennt der Experte, der zwei Jahre lang Äußerungen des IS untersucht hat, die pompös-blumige Sprache des Koran und den hohen Stellenwert von Analogien in der muslimischen Rechtsprechung: zwei von vielen Elementen, die hierzulande fremd erscheinen. Doch "man wird islamisch denken, sprechen und argumentieren und sich rhetorisch auf Augenhöhe mit dem Gegner begeben müssen", mahnt Salzar.

Im Bezug auf den Terror beklagt er eine regelrechte Sprachlosigkeit. Dass westliche Politiker wie Medien etwa vom "Islamischen Staat" sprechen, zeige eine "Unfähigkeit, dem Terrorismus einen Namen zu geben", so Salazar: "Niemand sagt 'islamistischer Staat'. Obwohl doch der öffentliche Diskurs immer wieder zwischen den 'islamischen' Guten und den 'islamistischen' Bösen unterscheidet. Aber das Kalifat ist und bleibt 'islamisch'." So mache man sich letztlich die Botschaft der Terroristen zu eigen: "dass die Muslime in Europa, außerhalb des Islams, falsche Muslime sind".

Trauerrituale nach Anschlägen, ironische Distanzierungen und psycho-soziale Erklärungsversuche änderten letztlich nichts, schreibt der Philosoph. Die jungen Europäer, die sich im Nahen Osten der Miliz anschließen, seien oftmals gut informiert und belesen. Wer ihnen "Ersatzwerte" anzubieten versuche, erliege der westlichen Logik, dass Erfolg habe, wer sein Produkt besser bewerbe. Doch, so Salazar: "Ein Ideal ist nicht einfach durch ein anderes ersetzbar".

Der Franzose will damit nicht für den vielbeschworenen Dialog werben. Er pocht vielmehr auf eine "sprachliche Bewaffnung" durch politische Appelle, Kanzel- und Schlachtreden - drei Sprachformen, die verkümmert seien. Texte und Videos des IS sollten Medien und Schulen analysieren, "also das tun, was die rationale Kultur der Aufklärung auszeichnet: klar und deutlich denken". Sein Buch endet mit einem Plädoyer für Bildung und Kultur, ohne welche sich der Terror weiter festsetzen könne auf "verwüsteten Territorien, wo einst kultivierte Bevölkerungen jeden Tag mehr in bequemer und spöttischer Unwissenheit versinken, aus der sie nur noch nach einem Blutbad kurz erwachen".

Salazar setzt teils Fachwissen voraus und schreibt sehr dicht - gerade dadurch entwickelt sein Werk jedoch einen Sog. Manches erscheint radikal, weil der Autor sich nicht um politische Korrektheit schert. Der deutschen Terror-Berichterstattung wirft er etwa vor, sie bleibe angesichts der Hoffnung auf eine funktionierende Multikulti-Gesellschaft zu vorsichtig. Er formuliert schnörkellos und betont nur vereinzelt, wie grauenvoll und empörend die IS-Ideologie ist.

Dem Philosophen geht es ums Begreifen, nicht um Urteile. Dabei kalkuliert er wohl ein, dass ihm der Leser manchmal widersprechen möchte: Beispielsweise schreibt Salzar konsequent von "Zensur", wenn es darum geht, dass die meisten westlichen Medien Enthauptungsvideos des IS nicht oder nur in Ausschnitten zeigen. Auch sein Vergleich zwischen der Sprache Osama bin Ladens und jener in päpstlichen Enzykliken irritiert. Dennoch: Eine Meinung zu den Dauerthemen Islam, Radikalisierung, Terror hat ohnehin jeder. Wer in dieser Debatte weiterkommen möchte, ohne immergleiches zu wiederholen, wird an diesem Buch kaum vorbeikommen. (KNA)