Hilfe für türkische Opfer häuslicher Gewalt

Obwohl Gewalt auch in türkischen Familien verbreitet ist, wenden sich die betroffenen Frauen kaum an Hilfsorganisationen. Die Türkin Derya Karaüzüm vom Verein "Weißer Ring" will mit ihrer Betreuungsarbeit diesem Trend entgegenwirken.

Obwohl Gewalt auch in türkischen Familien weit verbreitet ist, wenden sich die betroffenen Frauen fast nie an Hilfsorganisationen. Die Türkin Derya Karaüzüm vom Verein "Weißer Ring" versucht, diesem Trend entgegenzuwirken und den Opfern häuslicher Gewalt effektiver zu helfen. Mit ihr hat sich Nadja Baeva unterhalten.

Foto: Nadja Baeva
Setzt sich für türkische Opfer häuslicher Gewalt ein - Derya Karaüzüm.

​​Frau Karaüzüm, Sie sind die einzige türkische Mitarbeiterin beim "Weißen Ring" in Nordrhein-Westfalen. Wie kamen sie dazu, hier zu arbeiten?

Derya Karaüzüm: Von der Organisation habe ich im Jahre 2002 erfahren, und zwar weil ich selbst Opfer war. In diesem Jahr wurde mein Mann in einer Gaststätte in Duisburg-Marxloh erstochen. 22 Messerstiche, keine Zeugen, keine Verurteilung. Also der Mörder ist noch frei. Ich bin mit meinem damals fünfjährigen Sohn alleine geblieben. Und die Mitarbeiter vom "Weißen Ring" haben mir unter die Arme gegriffen: Sie haben mir bei Behördengängen geholfen, Kuren vermittelt und waren einfach Tag und Nacht für mich da.

Nicht jeder beginnt in einer Organisation ehrenamtlich zu arbeiten, nachdem er dort Hilfe erfahren hat...

Karaüzüm: Mir hat das gefallen, wie sie den Leuten helfen: in materieller Hinsicht, in Rechtsfragen. Und vor allem leisten sie seelischen Beistand. Und das ist in solchen Situationen, wie meine damals, das Wichtigste. Und dann habe ich mir gesagt: wenn sie das machen, möchte ich auch anderen Leuten helfen. Es gibt bestimmt andere türkische Opfer, denen ich helfen kann. Ich kenne die Gesellschaft und weiß, da sind sehr viele, die die Sprache nicht beherrschen und hilflos sind. Seit März 2003 bin ich offiziell ehrenamtlich beim Weißen Ring tätig.

In welchen Fällen hilft der "Weiße Ring"?

Karaüzüm: Wir helfen allen Menschen, die Opfer geworden sind. Das kann alles Mögliche sein: wenn die Menschen beispielsweise ausgeraubt wurden oder ein Sexualverbrechen erlebt haben. Wir betreuen auch die Angehörigen der Opfer, helfen den Frauen, die zu Hause von ihren Ehemännern verprügelt werden. Man kann sagen: Wir können allen helfen, die die Hilfe benötigen. Die Organisation arbeitet bundesweit und ist in jeder mehr oder weniger großen Stadt vertreten.

Welche Opfer betreuen Sie persönlich in Duisburg?

Karaüzüm: Ich betreue speziell türkischsprachige Menschen. Sie wissen mittlerweile, dass hier ihre Landsfrau arbeitet und wenden sich direkt an mich. Bevor ich hier vor zwei Jahren meine Arbeit angefangen hatte, konnte der "Weiße Ring" keine türkischen Bürger ansprechen. Meistens sprechen sie ja nicht genügend Deutsch und haben Angst, dass die deutschen Mitarbeiter sie nicht verstehen werden. Viele wussten nicht, was das für eine Organisation ist. Sie dachten, das ist eine Sekte oder so was. Aber jetzt kommen immer mehr Türken zu mir.

Welche Opfer kommen am häufigsten zu Ihnen?

Karaüzüm: Meistens sind das Frauen, die zu Hause von ihren Ehemännern verprügelt werden. Es ist leider so - häusliche Gewalt ist unter Türken sehr verbreitet. Ich nehme mit den Frauen Kontakt auf, wenn sie bei der Polizei eine Anzeige erstatten.

Können Sie es sich erklären, warum häusliche Gewalt in den türkischen Familien so oft vorkommt?

Karaüzüm: Die Gründe sind immer die gleichen. Das hängt damit zusammen, dass die türkischen Männer aus Deutschland oft türkische Frauen aus der Türkei heiraten. Beide haben meistens unterschiedliche Vorstellungen, sie wurden unterschiedlich erzogen. Und die Frau, die aus der Türkei kommt, fühlt sich in Deutschland fremd. Sie spricht natürlich die Sprache nicht. Das führt oft zu Auseinandersetzungen in der Familie. Und dadurch entwickelt sich Streit und dadurch häusliche Gewalt.

Und wahrscheinlich wenden sich nur die wenigsten Frauen an die Polizei...

Karaüzüm: Das stimmt leider ganz genau. Die türkischen Frauen vertrauen der deutschen Gesellschaft nicht und wenden sich nur dann an die Polizei, wenn es mit der Prügelei sehr schlimm wird. Und ich weiß, wie viel Kraft es die Frauen gekostet hat, diese Entscheidung zu treffen. Deswegen ist es sehr wichtig, dass jemand den Frauen in dieser schweren Zeit zur Seite steht. Der nächste Schritt ist die Scheidung vom gewalttätigen Ehemann. Und da brauchen sie noch mehr Mut, das durchzuziehen.

Bei den deutschen Frauen ist es so, dass sie ihre Anzeige meistens zurückziehen und zu ihren Ehemännern zurückkehren. Wie ist es bei den Türkinnen?

Karaüzüm: Noch viel extremer. Hier spielt auch eine Rolle, dass sie in Deutschland alleine sind. Das heißt, ihre Familien sind in der Türkei und die Frauen sind hier in Deutschland ohne jegliche Unterstützung. Aber auch wenn die Familie hier ist, unterstützt sie die Frau, die ihren Mann verlassen will, nicht. Denn es ist eine Schande, sich von dem Ehemann zu trennen. Deswegen leiden sie lieber, als ganz alleine, ohne Unterstützung dazustehen.

Was fühlen Sie dabei? Enttäuscht Sie das?

Karaüzüm: Natürlich, sehr. Aber ich kann ja nichts machen. Ich habe immer alles unternommen, um den Frauen zu helfen. Aber sie springen nicht über ihren eigenen Schatten. Also ich sage: ich habe alles gemacht, was ich machen konnte, ich habe es versucht.

Interview: Nadja Baeva

© Qantara.de 2005

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