Freie Hand für Ankara

Trotz einiger mahnender Worte aus Washington stellt der Einmarsch der türkischen Armee im Nordirak das Verhältnis der USA zur Türkei nicht wirklich vor eine gravierende Belastungsprobe, meint Peter Philipp.

Trotz einiger mahnender Worte aus Washington stellt der Einmarsch der türkischen Armee im Nordirak das Verhältnis der USA zur Türkei nicht wirklich vor eine gravierende Belastungsprobe, meint Peter Philipp in seinem Kommentar.

Washington räumte rasch ein, dass es von der türkischen Militäroperation im kurdischen Nordirak informiert worden sei, bevor noch die ersten Einheiten die Grenze überquerten. Aber amerikanische Sprecher beeilten sich auch zu versichern, dass es sich hier nur um eine in Umfang und Dauer begrenzte Aktion handle.

Ähnliche Stimmen sind bisher auch aus Bagdad zu hören gewesen, wo man ein ähnliches Interesse daran hat, einen Fall nicht unnötig aufzubauschen, der einem zwar überaus lästig ist, auf den man aber keinen oder nur geringen Einfluss hat. Bagdad natürlich noch weniger als Washington.

Strategische Interessen der US-Regierung

Die USA haben das geringste Interesse an einer Verstimmung in ihren Beziehungen mit Ankara. Die Türkei ist nicht nur als NATO-Partner ein wichtiger Verbündeter in der Region, sie stellt auch einen der wichtigsten Nachschubwege in den Irak dar.

Und es war schon zu Beginn des Irakkrieges deutlich geworden, dass solch strategischer Nutzen Washington einiges kosten würde, dass zumindest aber die Einfluss-Möglichkeiten der USA auf die Türkei nur sehr gering sein würden.

Türkischer Außenminister Ali Babacan; Foto: picture-alliance
Außenminister Ali Babacan: "Die Offensive wird erst dann beendet, sobald die geplanten Ziele erreicht sind."

​​Dies wird noch verstärkt durch die Ideologie des "Kampfes gegen den Terror", die George W. Bush weiterhin propagiert: Die PKK wird auch in den USA als Terror-Organisation betrachtet und es sähe schon reichlich merkwürdig aus, wenn dieselben USA – die den Terrorismus angeblich weltweit bekämpfen – nun einen befreundeten Staat daran hinderten, gegen Terroristen vorzugehen, die sich jenseits seiner Grenzen festgesetzt haben.

So war Washington schon zu Beginn der Spannungen entlang der irakisch-türkischen Grenze Ende letzten Jahres bereit, der Türkei logistische Unterstützung zu geben.

Die USA wussten natürlich auch, dass die Unterbindung von Überfällen und Anschlägen über die Grenze hinweg zu den Aufgaben der jeweiligen Regierung gehört – im vorliegenden Fall also der irakischen Zentral- oder der kurdischen Regional-Regierung. Oder – da diese beiden dazu weder bereit noch in der Lage sind – diese Aufgabe wäre den US-Truppen im Irak zugefallen.

"Silent Agreement"

Hieran konnte und kann Washington nun gar kein Interesse haben: Es ist nicht Herr der Lage im Irak, warum sollte es sich nun mit den Kurden im Norden verderben – bisher guten Verbündeten, deren Gebiet auch einigermaßen ruhig ist?

Da scheint es einfacher, Ankara freie Hand zu lassen – mit der stillschweigenden Übereinkunft, eine Militäraktion nicht über das Notwendigste hinaus auszuweiten. Zur Sicherheit schiebt man inzwischen ja auch Mahnungen nach, die Operation so bald wie möglich zu beenden.

Und dennoch hat Washington stillschweigend eine Ausweitung der türkischen Aktionen zugelassen, indem es den Bodenoperationen der türkischen Armee zustimmte oder sich ihnen zumindest nicht widersetzte.

Der einzige erkennbare Grund hierfür dürfte in einer Erkenntnis liegen, die sich auch in den USA erst nach vielen Fehlern im Irak und in Afghanistan festzusetzen begonnen hat: Terroristen kann man nicht mit Luftangriffen bekämpfen.

Hierbei werden meist nur unschuldige Zivilisten getroffen. Will man die bewaffneten Kämpfer schlagen oder aus ihren grenznahen Basen vertreiben, dann nur, wenn man am Boden gegen sie vorgeht.

Doppeltes Spiel

Soweit die durchaus plausiblen Gründe für Washington, sich nicht gegen die türkische Operation zu stellen: Man will die Beziehungen zu Ankara nicht belasten, gegen Terrorgruppen vorgehen und dabei auch die Interessen des kurdischen Nordirak nicht verletzen.

Gleichzeitig aber unterstützt Washington im kurdischen Norden bewaffnete Gruppen der PJAK – der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan": Eine der PKK zugerechnete Gruppe, die mit rund 3000 Bewaffneten Angriffe über die irakisch-iranische Grenze hinweg durchführt und für Terroranschläge im iranischen Grenzgebiet verantwortlich ist.

Der Gegner ist natürlich nicht NATO-Partner Türkei, sondern der Iran. Und der wird von Washington weiterhin zur "Achse des Bösen" gerechnet. Deswegen helfen die USA auch der PJAK und unterminieren damit ihr sorgsam konstruiertes Gerüst einer Rechtfertigung der türkischen Militäraktion gegen die PKK.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2008

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