Droht die Radikalisierung amerikanischer Muslime?

Der US-Senatsausschuss für Heimatschutz warnt in seinem Bericht zu den neuen Entwicklungen des islamistischen Terrorismus vor den raffinierten Anwerbemethoden von Al-Qaida. Darin wird erstmals eine mögliche Radiakalisierung amerikanischer Muslime artikuliert. Einzelheiten von Joseph Croitoru

Foto: AP
Das Internet als Terrorwaffe: Zwei Männer reagieren bestürzt, als sie sehen, wie die Gruppe Jaish Ansar as Sunnah ihre Terrorbotschaft im Netz verbreitet.

​​Es ist noch nicht allzu lange her, dass die US-Heimatschutzbehörde einige umstrittene Empfehlungen für eine neue Sprachregelung zum Islamismus herausgab. Kritiker bemängelten jedoch, dass die empfohlene Vermeidung von Begriffen wie Dschihadisten oder "Heilige Krieger" realitätsfremd sei. Ohne diese Begriff ließe sich nicht vernünftig operieren, würde man der Materie nicht gerecht.

Hinter dieser neuen Sprachregelung verbarg sich wohl vor allem die Sorge vor einer Radikalisierung der amerikanischen Muslime, die die amerikanischen Behörden nicht zusätzlich mit terrorismusbezogenen Pauschalvorwürfen verärgern will. Die Furcht vor einer Radikalisierung der ansonsten sehr gut integrierten US-Muslime wird jetzt von den amerikanischen Behörden zum ersten Mal ganz offen artikuliert.

Davon zeugt ein jüngst vom US-Senatsausschuss für Heimatschutz veröffentlichter Bericht mit dem Titel "Gewalttätiger islamistischer Extremismus, das Internet und die einheimische terroristische Bedrohung".

Das Internet als zentrales Rekrutierungswerkzeug

Der Bericht behandelt vor allem ein Thema: Die immer raffinierteren Anwerbemethoden der Al-Qaida, die mittlerweile offenbar auch bei US-Muslimen fruchten. Wer übrigens hinter dem Bericht das übliche Sicherheitsgebaren der republikanischen Bush-Regierung vermutet, der täuscht sich. Der jetzige Vorsitzende des Heimatschutz-Ausschusses ist nämlich der erste Demokrat auf diesem Posten – und ein Afro-Amerikaner noch dazu.

Ein amerikanischer Muslim auf der Coney Island Avenue in Brooklyn, New York City; Foto: AP
Amerikanische Muslime gelten allgemein als sehr gut integriert; dennoch sahen sie sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 terrorismusbezogenen Pauschalvorwürfen ausgesetzt.

​​Wohl kaum zufällig beginnt der Bericht mit dem Aufsehen erregenden Fall des schwarzen amerikanischen Muslims Kevin Lamar James. Er hatte vor einigen Jahren in einem kalifornischen Gefängnis mit anderen Afro-Amerikanern eine dschihadistische Zelle gegründet und Anschläge auf Regierungsbeamte und amerikanisch-jüdische Einrichtungen geplant.

Dass die Mitglieder dieser Verschwörung sich Bin Laden zum Vorbild nahmen, wird in dem Senatsbericht als Paradebeispiel für den Erfolg neuer Rekrutierungswege der Al-Qaida angeführt. Das Internet habe sich hierbei zu einem zentralen Werkzeug entwickelt, das mittlerweile sogar Trainingslager, wie sie früher in Afghanistan existierten, überflüssig machen könnte.

In vier Schritten zum Dschihadisten

Die Verfasser des Berichts haben versucht, sich in die Denkweise der globalen Terroristen hineinzuversetzen und haben jetzt ein 4-Stufen-Modell entwickelt, mit dem die schrittweise Indoktrinierung von Muslimen durch Bin Ladens Organisation veranschaulicht werden soll.

Nach diesem Modell folgt auf eine so genannte "Vor-Radikalisierungsphase" die allmähliche Selbstidentifikation mit dem radikalen Islamismus. Vollzieht sich diese vielleicht noch isoliert auf individueller Ebene, ist auf der nächsten Stufe, der direkten Indoktrinierung, der Austausch mit anderen Dschihadisten die Regel.

Als Höhepunkt der Radikalisierung klassifizieren die Autoren den Übergang zum aktiven Terrorismus, begleitet von der Bereitschaft, als Märtyrer zu sterben – hier ist von "Dschihadisierung" die Rede; also ein Begriff, den die Heimatschutzbehörde vor einigen Monaten noch aus dem öffentlichen Diskurs hat verbannen wollen.

Screenshot eines undatierten Videos mit Osama bin Laden; Foto: AP
Im Internet kursierende Videobotschaften von Al-Qaida tragen mittlerweile englische Untertitel. Die Sprache von Shakespeare und Chaucer wird so zum Instrument der Rekrutierungspropaganda.

​​Einiges, was bei der Auflistung der Rekrutierungsmethoden der Al-Qaida in diesem Bericht als neu deklariert wird, ist indes schon seit Jahren gängige Praxis. Dazu gehört etwa die Mobilisierung von Jugendlichen mit radikal-islamistischen Rap-Songs.

Darüber hinaus verstehen es die Terroristen seit einiger Zeit auch, sich in islamische Chatforen einzuschleichen und diese als Rekrutierungsort zu missbrauche – ein Ersatz für die mittlerweile immer strenger von den Behörden beobachteten Moscheen. Durch den sprunghaften Anstieg einschlägiger Webseiten der Dschihadisten, wird die Überwachung durch die Sicherheitsdienste zunehmend schwieriger. Zumal diese, wenn es gelungen ist, sie abzuschlaten, unter immer neuen Adressen immer wieder auftauchen.

Englisch als Sprache der Selbstinszenierung

Ein deutlicher neuer Trend, der den US-Behörden Kopfzerbrechen bereitet, ist die zunehmende Verwendung der englischen Sprache bei der Selbstinszenierung und der Rekrutierungspropaganda von Al-Qaida.

So sind seit kurzem Videobotschaften von Bin Laden im Netz zu finden, die mit englischen Untertiteln versehen sind. Und noch beunruhigender ist, dass sein Mitstreiter, Ayman al-Zawahiri, neuerdings an alle, wie er sie nennt, "Unterdrückten", also auch an Nichtmuslime appelliert, sich der Al-Qaida in ihrem Krieg gegen die USA und deren Verbündete anzuschließen.

So macht sich das Terrornetzwerk nun ganz offen jenen linken Anti-Amerikanismus zu eigen, deren es sich unter islamischem Vorzeichen schon immer bedient hat.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2008

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www
Bericht der Homeland Security (in Englisch)