Politische Teilhabe als Weg zur Integration?

Islamisten treten in unterschiedlichsten Kontexten als politische Akteure in Erscheinung. Der ägyptische Politologe Amr Hamzawy vermittelt einen differenzierten Blick auf diese Bewegungen.

Islamisten treten in unterschiedlichsten Kontexten als politische Akteure in Erscheinung. Der Politologe Amr Hamzawy, Senior Associate beim Carnegie Endowment for International Peace in Washington, vermittelt einen differenzierten Blick auf diese Bewegungen.

Demonstration von Anhängern der Muslimbruderschaft in Kairo; Foto: AP
Legalisierung und Teilhabe am politischen System? - Anhänger der verbotenen Muslimbruderschaft demonstrieren in Kairo gegen die Einparteienherrschaft Husni Mubaraks.

​​Zu einem Zeitpunkt, da vielerorts in der arabischen Welt Islamisten einen Platz im offiziellen politischen Leben einfordern, steigt auch die Besorgnis über die möglichen Konsequenzen solcher Teilhabe.

Zudem fragt man sich, wieweit die Islamisten, sollten sie auf demokratischem Weg zur Macht gelangen, überhaupt zum Regieren fähig wären. Angesichts der sehr unterschiedlichen Prägung islamistischer Bewegungen müssen hier jedoch Generalisierungen ebenso vermieden werden wie eine reduktionistische Sicht, die alle diese Bewegungen a priori zu Brutstätten einer fanatischen Ideologie abstempelt.

Drei Formen der Partizipation

Heute lassen sich grundsätzlich drei Formen islamistischer Partizipation im politischen Leben umreißen. Die erste findet sich im Irak, in Libanon und in den palästinensischen Gebieten. Dort operieren islamistische Bewegungen und Parteien mit relativer Freiheit innerhalb eines Mehrparteiensystems.

Jubelnde Hamas Anhänger im palästinensischen Flüchtlingscamp Khan Yunes; Foto: AP
Die radikal-islamische Hamas gewann bei den Wahlen in den palästinensischen Autonomiegebieten Anfang 2006 die Mehrheit der Parlamentssitze.

​​Doch spielen sich diese Prozesse vor einem mehr oder minder chaotischen Hintergrund ab – sei es, dass die lokalen Regierungsinstitutionen von einer Besatzungsmacht zerstört wurden, sei es, dass eine permanente Krisensituation das Funktionieren und die Stabilität des politischen Systems bedroht und das Überhandnehmen monopolistischer, intoleranter Kräfte befördert.

Ob schiitisch oder sunnitisch ausgerichtet – die islamistischen Bewegungen in den genannten Ländern sind von quasimilitärischen Strukturen geprägt; sie verfügen über die Mittel, Gewalt auszuüben, und tendieren dazu, diese zur Lösung politischer Konflikte anzudrohen oder auch tatsächlich einzusetzen.

Im Blick auf solche islamistische Bewegungen, die noch kein Bekenntnis zur ausschließlich friedlichen politischen Partizipation abgelegt haben (oder dies vielleicht nur aus taktischen Gründen tun), stellt sich eine grundsätzliche Frage:

Wird ihre Einbindung in eine pluralistische Politik letztlich die Entwicklung einer offenen und demokratischen Staatsform hemmen oder gar verhindern? Oder könnten die Islamisten in kollabierten und dysfunktionalen Staaten durch die politische Assimilation nach und nach dazu gebracht werden, ihre Bewegung zu demilitarisieren und sich auf friedfertige Partizipation zu beschränken?

Unglücklicherweise scheint diese letztere Entwicklung im Blick auf die Realität in Libanon, im Irak und in den palästinensischen Gebieten wenig wahrscheinlich – auch wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass sich eine solche Bewegung von innen heraus (etwa durch einen Machtkampf zwischen Hardlinern und Moderaten) wandeln könnte oder dass die Gesellschaft mittelfristig der populistischen Rhetorik der Islamisten kein Gehör mehr schenkt.

Zumindest theoretisch gibt es für diese Gesellschaften nur einen Ausweg: den kollektiven Willen, den Staat als eine rein zivile politische Gemeinschaft zu realisieren, seine Neutralität gegenüber den einzelnen Komponenten der Gesellschaft zu stärken und Mechanismen einzuführen, die religiöse und nichtreligiöse Interessengruppen daran hindern, die öffentlichen Angelegenheiten zu monopolisieren.

Anpassung an die Spielregeln

Ganz anders die zweite Form islamistischer Partizipation in der Politik: Diese setzt ausschließlich auf friedliche Teilhabe und auf die Wahrung der Sphären und Mechanismen eines semipluralistischen, konsensorientierten Systems. Diesem Programm haben sich Islamisten in Marokko, Algerien, Kuwait und Bahrain verschrieben, die sich zu Parteien oder parteiähnlichen Gruppierungen ohne jede militaristische Prägung transformierten.

Anti-Irak-Kriegs-Demonstration in Bahrain; Foto: AP
Auch wenn die Geistlichen zu Anti-Kriegs-Demonstrationen einladen: Sie gehören in Bahrain zur loyalen Opposition.

​​Während das algerische "MSP" (Mouvement de la société pour la paix) und die "Islamische Konstitutionelle Bewegung" in Kuwait in bescheidenem Maß an der Regierung beteiligt sind, gehören die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung in Marokko und der schiitische "Nationale Islamische Wifaq" in Bahrain zur loyalen Opposition.

Die beiden erstgenannten Bewegungen vermochten zudem eine funktionale Trennung zwischen Politik und religiöser Mission zu bewerkstelligen. So orientiert sich ihre politische Aktivität zwar am islamischen Wertekodex, wird aber von professionellen Politikern getragen und hat sich völlig von der Rhetorik und den Aktivitäten einer missionierenden Bewegung abgekoppelt.

Trotz qualitativen Differenzen haben alle diese Bewegungen einige grundlegende Züge gemein. Vor allem respektieren sie die Legitimität des Nationalstaats, dem sie angehören, wie auch die Institutionen des Staatswesens, das Prinzip der Gleichheit aller Bürger und den pluralistischen, kompetitiven Geist des politischen Lebens.

Amr Hamzawy; Foto: &copy Carnegie Endowment for International Peace
Amr Hamzawy ist Senior Associate für die Politik des Nahen Ostens am US-amerikanischen "Carnegie Endowment for International Peace" in Washington.

​​Diese Haltung ist nicht nur pro forma angenommen, sondern verinnerlicht. Man wendet sich nicht mehr aggressiv gegen die herrschende Elite oder liberale und linke Strömungen, meidet Rigorismus und ideologische Suaden und will stattdessen einen konstruktiven Beitrag zur Gestaltung der Staatspolitik leisten.

Die Existenz dieser Bewegungen zeugt nicht zuletzt von einem direkten Zusammenhang zwischen der Stabilität eines politischen Umfeldes, in dem Islamisten nicht mehr unter vorgekehrten Sicherheitsgründen unterdrückt und vom politischen Leben ausgeschlossen werden, und einer relativ raschen Hinwendung der Islamisten zu demokratischen Spielregeln.

Doch auch diese islamistischen Bewegungen müssen noch beweisen, dass sie das pluralistische System auch dann respektieren, wenn seine Politik ihren Wertvorstellungen zuwiderläuft. Anderseits müssen sie ihre Wählerschaft in einem durch den wachsenden Antagonismus zwischen radikalen islamistischen Strömungen und semiautoritären Regierungssystemen geprägten Umfeld vom Mehrwert friedlicher politischer Partizipation überzeugen.

Ohne festen Boden

Drittens soll nun die Situation in Ägypten, im Sudan, in Jordanien und Jemen beleuchtet werden. In diesen Ländern haben sich islamistische Bewegungen trotz einem volatilen politischen Umfeld und einer brüchigen Beziehung zur Machtelite gehalten.

In Ägypten und Jordanien wurde den Muslimbrüdern zwar ein gewisser Raum zur Partizipation am politischen Leben, in Legislativwahlen, Berufsorganisationen oder anderen zivilgesellschaftlichen Bereichen, zugestanden, aber das Damoklesschwert der Sicherheitsdienste hängt stets über ihrem Haupt.

In Jemen und im Sudan dagegen lassen sich die gefährlichen Folgen einer undemokratischen, paramilitärischen Allianz zwischen den Islamisten und der Machtelite beobachten.

Auch diese Islamisten haben sich die Strategie friedlicher Partizipation angeeignet, aber in ihrem Falle ist es tatsächlich nicht mehr als eine Strategie. Ihre politische Rolle in Ägypten und Jordanien fluktuiert ständig zwischen Teilnahme und Boykott, nicht zuletzt aufgrund staatlicher Repression; in Jemen und in einem gewissen Maß auch im Sudan sind sie von Partnern einer autoritären Regierung zu deren Antagonisten geworden.

Ohne feste Verankerung in einem pluralistischen System verharren die Führer und Anhänger dieser Bewegungen in den abstrakten Höhen der Ideologie und einer "Megapolitik", die sich auf Grundsatzfragen wie die Rolle der Religion in der Gesellschaft und die Anwendung des islamischen Rechts beschränkt, ohne dabei die Fähigkeit zu einer pragmatischen, konsensorientierten und konstruktiven politischen Praxis zu entwickeln.

Das autoritäre Umfeld, in dem die Islamisten in diesen vier Ländern agieren, beraubt sie der Möglichkeit, sich auf einer stabilen Basis in die Politik einzubringen und eine Entwicklung hin zum Pragmatismus und zur Akzeptanz demokratischer Normen und Spielregeln durchzumachen.

Für uns wiederum gilt: Wenn wir uns der Differenzen zwischen diesen drei Formen politischer Partizipation nicht bestens gewahr sind, dann werden wir kaum in der Lage sein, realistisch mit dem Phänomen und den Herausforderungen des Islamismus umzugehen.

Amr Hamzawy

© Qantara.de 2008

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