Der Makhmalbaf-Clan

Der Name Makhmalbaf steht in Europa für iranisches Kino. Nicht weniger als fünf RegisseurInnen hat die Familie hervorgebracht. Amin Farzanefar über die Vor- und Nachteile einer solchen Clanstruktur

Der Name Makhmalbaf steht in Europa für iranisches Kino. Nicht weniger als fünf RegisseurInnen hat die Familie hervorgebracht. Amin Farzanefar über die Vor- und Nachteile einer solchen Clanstruktur

Mohsen Makhmalbaf, Foto: Makhmalbaf Film House
Mohsen Makhmalbaf

​​Samira Makhmalbaf gehört mit ihren 24 Jahren bereits zur cineastischen Elite. Nachdem sie für "Der Apfel" (1998) und "Schwarze Tafeln" (2000) international mehrfach hoch ausgezeichnet wurde, begab sie sich nun für "Fünf Uhr am Nachmittag" ins Nachbarland, in die Kinowüste Afghanistan: In märchenhafte Farben getaucht, verknüpft der Film Einzelschicksale der Nach-Talibanära, wo Not und Hoffnung dicht nebeneinander liegen.

Die junge Protagonistin Noqreh, vom Vater in die Koranschule geschickt, drapiert sich die Burka über der Stirn, klappt ein Sonnenschirmchen auf und trippelt in Pömps zur Mädchenschule. Ihr Ziel: Sie will Staatspräsidentin werden.

Grenzgängerinnen zwischen traditionellen Erwartungen und Selbstbestimmung zeigt auch Marzieh Meshkinis "Der Tag, an dem ich zur Frau wurde" (2000). Drei Episoden entsprechen Kindheit, Jugend und Alter eines iranischen Frauenlebens. Inbesondere die hypnotische zweite Sequenz, in der eine junge Frau gegen das familiäre Gebot an einem Fahrradrennen teilnimmt - dabei immer wieder von ihren männlichen Verwandten inklusive Dorfgeistlichen eingeholt wird und ihnen immer wieder davonradelt - liefert ein beeindruckendes Beispiel für die Ästhetik des iranischen Arthouse-Kinos.

Mit einem Minimum an technischem Aufwand wird eine Fülle an Atmosphäre, Bedeutung, sozialen Kontexten vermittelt. Beide Filme stammen aus dem Umfeld von "Kandahar"-Regisseur Mohsen Makhmalbaf, dem neben Abbas Kiarostami international wohl erfolgreichsten iranischen Filmemacher.

Talentschuppen Wohnzimmer

Tochter Samira hatte bereits 1987 eine Rolle in Makhmalbafs "Der Fahradfahrer", die 36-jährige Marzieh Meshkini ist des Meisters zweite Frau und gewesene Schwägerin. Der ehemalige Propagandafilmer, dessen Biografie einen eigenen Film füllen würde, hat mit seinem

"Makhmalbaf Film House" inzwischen eine Art Monopol im Iran eingerichtet, in dem ein fester Stamm von Kameraleuten und Schauspielern zu immer neuen Projekten zusammenkommt. Die Familienmitglieder engagieren sich dabei gegenseitig für Drehbuch, Stand-Fotografie, Regieassistenz, Makhmalbaf selbst versucht sich momentan verstärkt als Produzent.

Dieses kollektive Kino bietet die Möglichkeit, dem rigiden iranischen Zensurapparat eigene - teilweise nach Europa ausgelagerte - Strukturen entgegenzusetzen; überdies fördert Makhmalbaf mit einer eigenen Filmschule den kreativen Nachwuchs. Der afghanische Film "Osama", das Anti-Taliban-Plädoyer von Siddiq Barmak, kam durch die intensive Unterstützung Makhmalbafs zustande.

Wir hier und ihr da

Auf der anderen Seite führt dieser Familienbetrieb zu einem Klüngel mit eigener Definitionsmacht: Den Clanmitgliedern obliegt inzwischen gen Westen die Oberherrschaft über die Repräsentation des Iran. Und der Mittlere Osten, so wie sie ihn uns zeigen, bleibt mehr orientalisierenden Klischees verhaftet, als die auf den ersten Blick neorealistische Lackierung vermuten lässt.

So zeigen die aktuellen Makhmalbaf-Filme einmal mehr Unterdrückungs- und Armutsszenarien in entlegenen Provinzen - in farbenprächtiger und folkloristischer Aufmachung. Die romantische arte povera des Kunstfilmes mag eher die Erwartungshaltung des Westens bedienen, als dass sie die wirklichen Verhältnisse wiedergibt.

Auf unseren Leinwänden fehlen beispielsweise die neuen iranischen Kassenerfolge: Blockbuster waren im Iran lange drittklassige Actionstreifen, hysterische Ehemelodramen und unlustige Blödelklamotten, doch seit einiger Zeit findet die Avantgarde mitten im Mainstream statt. Hier werden jetzt heilige Kühe geschlachtet und es wird kräftig am Kopftuch gezerrt. Der aktuelle Skandal- und Kultfilm heißt "Marmulak": Ein Mullah wird als der scheinheilige Popanz vorgeführt, für den ihn eh alle halten.

Stadt, Land, Filme im Fluss

Website der Familie Makhmalbaf
Website der Familie Makhmalbaf

​​Nun ist es nicht gerade so, dass der Iran und seine Nachbarländer einen Born der Freizügigkeit und des Wohlstandes darstellten; nach wie vor gibt es massive Demokratiedefizite, Frauenprobleme, Unterentwicklung - und auch blühende Landschaften. Aber das Changieren der Realitäten, das scheinbar widersprüchliche Nebeneinander von prämoderner Lebensart und der urbanen Slacker-Popkultur Teherans fehlt bei den Makhmalbafs, bei denen das ganze Land ausschließlich aus Vorstädten und Provinzen zu bestehen scheint.

Und die Clanbildung treibt immer neue folkloristische Blüten, meist gleicher Machart: Denn die ersten Absolventen der "Makhmalbaf Film School", die Festival-Stars von morgen, sind die eigenen Kinder des Regisseurs. Der 22-jährige Maysam drehte mit "How Samira made the Blackboard" ein Porträt seiner berühmten Schwester. Er zeigt sie als engagierte und talentierte Regisseurin - entgegen aller Verdächtigungen, in Wahrheit würde der Vater alle Strippen ziehen - und entlarvt aber auch einiges an Koketterie und Selbstvermarktungshysterie.

Das Nesthäkchen Hana hat nach einigen Fotoarbeiten, Gedichtbänden und einem bereits im zarten Alter von neun Jahren verfassten Kurzfilm nun "Joy of Madness" vorgelegt, ein Making of von Samiras "Fünf Uhr am Nachmittag".

Durch das Kameraauge der 16-jährigen erscheint das iranische Filmteam als kolonialistisches Expeditionskorps: Mitten in einem von Kriegen zerrütteten Land unterwirft Regiestar Samira einige Afghanen einem Extrem-Casting für ihre süßlichen Geschichten. Die Rolle eines halb verhungerten Kleinkindes besetzt sie mit einem halb verhungerten Kleinkind. Irgendwo hört man Papa Makhmalbaf im Hintergrund rufen: "Wir brauchen unbedingt ein Baby! Ich zahle jedem viel Geld, der mir ein Baby bringt!"

Amin Farzanefar

© Fluter.de, 30.6.2004

Fluter.de, das Jugendmagazin der Bundeszentrale für politische Bildung
Website der Familie Makhmalbaf