Friedensprozess als Phantom

Gefangen in ihren Widersprüchen und wohlfeilen Träumen von einer Nation dürfen Israelis und Palästinenser keine ideale Lösung von den neuen Friedensverhandlungen erwarten, schreibt der ehemalige israelische Außenminister Schlomo Ben Ami in seinem Essay.

Mahmud Abbas, Benjamin Netanjahu und Barack Obama; Foto: AP/DW
"Für die meisten Israelis scheint sich das palästinensische 'Problem' auf der anderen Seite des Mondes abzuspielen", meint Schlomo Ben Ami.

​​ Zwanzig Jahre nach der Friedenskonferenz in Madrid und zehn Jahre nach den heldenhaften Bemühungen von Präsident Bill Clinton in Camp David ist immer noch keine Einigung zwischen Israelis und Palästinensern in Sicht, und man kann sich der Schlussfolgerung nicht erwehren, dass der israelisch-palästinensische Friedensprozess eine der spektakulärsten Enttäuschungen in der Geschichte der modernen Diplomatie geworden ist.

Der Prozess wurde zum Opfer der Unfähigkeit der Beteiligten, die Kluft zwischen dem, was für sie politisch machbar war und dem, was für eine Einigung notwendig war, zu überbrücken. Gefangen zwischen dem Möglichen und dem Notwendigen haben Israelis und Palästinenser einfach gelernt, ohne Lösung zu leben.

Wie besessen die internationale Meinung auch von der Agonie in Gaza sein mag, für die meisten Israelis scheint sich das palästinensische "Problem" auf der anderen Seite des Mondes abzuspielen. Seit Errichtung von Mauer und Zaun im Westjordanland und Ariel Sharons Rückzug aus dem Gazastreifen gibt es praktisch keine täglichen Reibereien zwischen Juden und Arabern mehr.

Eingenommen von einer boomenden Wirtschaft, beruhigt durch die kürzliche Bestätigung von Präsident Barack Obama, er werde Israel nie im Stich lassen und überzeugt von ihrem Erfolg bei der Bekämpfung des palästinensischen Terrorismus im Westjordanland und davon, dass sie die Hamas davon abgehalten haben, einen neuen Krieg zu wagen, ist den Israelis jedes Gefühl der Dringlichkeit in Bezug auf das palästinensische Problem abhanden gekommen.

Finanziell bequeme Besatzung

Die Israelis geben sich auch mit dem relativen Wohlstand im Westjordanland zufrieden, wo gut ausgebildete Sicherheitskräfte ganz im Sinne der von Premier Salam Fayad akribisch von unten nach oben aufgebauten palästinensischen Staatsordnung für Ruhe und Stabilität sorgen.

Israelische Sperranlage im Westjordanland; Foto: DW
Israelische Sperranlage im Westjordanland: "Gefangen zwischen dem Möglichen</i> und dem Notwendigen</i> haben Israelis und Palästinenser einfach gelernt, ohne Lösung zu leben", schreibt Ben Ami.

​​ Zudem ist internationale Hilfe in großen Mengen geflossen, was aus der israelischen Besatzung eine der bequemsten der Weltgeschichte gemacht hat; die Israelis kontrollieren das Land und seine Bevölkerung, ohne die finanzielle Last einer direkten Herrschaft tragen zu müssen.

Es ist als würde Mosche Dajans alte existentielle Politphilosophie zu neuem Leben erweckt. Als er im November 1970 nach seiner Meinung zu einem möglichen Friedensabkommen mit den Palästinensern gefragt wurde, war seine Antwort ein Satz, den die meisten Minister in Benjamin Netanjahus Kabinett auch gesagt haben könnten: "Die einzige Friedensverhandlung ist eine Besiedlung des Landes, wir siedeln und bauen und manchmal führen wir Krieg."

Beim ständigen Kommen und Gehen von Friedensplänen und Unterhändlern sind Israelis und Palästinensern die Aussichten auf eine endgültige Lösung gleichgültig geworden. Die Zwei-Staaten-Lösung verliert drastisch an Attraktivität.

Denn wenn die Zwei-Staaten-Lösung tatsächlich die Zukunft wäre, würde auf die Israelis ein soziales und politisches Erdbeben unvorstellbaren Ausmaßes warten: eine massive Evakuierung von Siedlern und die Notwendigkeit, eine schwierige politische Neuordnung zu erzielen, um der Bedrohung ziviler Unruhen und vielleicht sogar militärischen Ungehorsams zu begegnen. Und all das, um zu den Grenzen von 1967 zurückzukehren, nach denen sich ein paar Israelis sehnen.

Zwischen politischer Tragödie und Verrat

Für die Palästinenser bleibt die Kluft zwischen der kolossalen Tragödie des Nakba (der verlorene Krieg bei der Gründung Israels) und der Ärmlichkeit einer Gebietslösung, bei der ihr entmilitarisierter Ministaat zwischen Israel und Jordanien – denen man beiden keine übermäßige Liebe für einen palästinensischen Staat nachsagen kann – eingeklemmt wäre, unter Garantie eine offene Wunde.

Mosche Dajan; Foto: DW
Der israelische General und Politiker Mosche Dajan sagte 1970: "Die einzige Friedensverhandlung ist eine Besiedlung des Landes, wir siedeln und bauen und manchmal führen wir Krieg."

​​ Und für die Palästinenser ist jede Lösung des Flüchtlingsproblems, die Israel akzeptieren würde, ein Verrat am Ethos des palästinensischen Nationalismus, konkret am Recht auf Rückkehr. Der palästinensische Staat wäre noch nicht einmal unter den Palästinensern legitimiert.

Es stimmt schon, die Hamas hat kürzlich verkündet, sie sei bereit, über eine Lösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu verhandeln, aber es ist fraglich, ob die politischen Führer und die Hamas-Mitglieder mit dem Verrat der Flüchtlinge würden leben können.

Die Idee eines palästinensischen Staates ist allerdings auch nicht fundamental in der Weltanschauung der Hamas, in der der ultimative Sieg des Islam das strategische Ziel ist. Für Hamas ist der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas eine "Übergangsfigur", der zusammen mit seiner säkularen PLO in einer islamischen Gesellschaft keinen Platz haben wird.

Eine jordanisch-palästinensiche Lösung?

Aus dem sich daraus ergebenden Gefühl der Lähmung erklärt sich die Vielzahl an neuen politischen Paradigmen sowohl in Israel als auch in Jordanien. Jordanier vom Schlage der ehemaligen Premierminister Abdelsalam Al-Majali und Taher al-Masri sowie ein ehemaliger Berater von König Hussein, Adnan Abu-Odeh, haben Pläne für eine jordanisch-palästinensische Lösung vorgelegt.

Jüdischer Siedler im Westjordanland; Foto: AP
Jüdischer Siedler im Westjordanland: "Beim ständigen Kommen und Gehen von Friedensplänen und Unterhändlern sind Israelis und Palästinensern die Aussichten auf eine endgültige Lösung gleichgültig geworden", meint Ben Ami.

​​ Das Argument ist im Wesentlichen, dass die Probleme des Friedensprozesses daher kommen, dass er von der ursprünglichen Absicht der Architekten der Madrider Friedenskonferenz abgerückt ist, wo die beiden Völker durch eine jordanisch-palästinensische Delegation vertreten wurden.

Auffallend ist, dass namhafte Persönlichkeiten der israelischen Rechten – unter anderem der ehemalige Minister für Verteidigung und Auswärtige Angelegenheiten, Mosche Arens, der auch politischer Mentor von Netanjahu ist, sowie der Knesset-Sprecher Rubi Rivlin – die jordanische Position spiegeln.

Rezept für einen Bürgerkrieg

Während letztere das Konzept eines einzigen politischen Raums befürworten, zu dem beide Ufer des Jordans gehören würden, entgegnen die Israelis mit einem eigenen Konzept für einen politischen Raum zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan.

Die israelische Rechte, die nie wirklich von der Durchführbarkeit der Zwei-Staaten-Lösung überzeugt war und von dem Scheitern des Friedensprozesses bisher darin bestärkt wird, geht zurück zu den Gedankenspielen mit dem gefährlichsten Szenario von allen, dem Zwei-Nationen-Staat.

Wie immer wollen sie die beste aller möglichen Welten: einen emphatischen jüdischen Staat, in dem die Palästinenser Bürgerrechte haben, aber kein Recht auf Staatsbürgerschaft. Das ist kein schlechtes Rezept für einen permanenten Bürgerkrieg.

Gefangen in ihren Widersprüchen und wohlfeilen Träumen von einer Nation dürfen Israelis und Palästinenser keine perfekte Lösung erwarten. Ihre Aufgabe ist es, die am wenigsten unvollkommene Lösung anzustreben, bevor sie in Horror-Szenarien biblischen Ausmaßes absinken, wie einen einseitigen feindlichen israelischen Rückzug oder die Einstaaten-Realität eines endlosen Konfliktes.

Schlomo Ben Ami

© Project Syndicate 2010

Schlomo Ben Ami ist ehemaliger israelischer Außen- und Sicherheitsminister und gegenwärtig Vizepräsident des Toledo International Centre for Peace. Er ist Autor von "Scars of War, Wounds of Peace: The Israeli-Arab Tragedy".

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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