Literaturnobelpreis für Schriftsteller aus Tansania

Erstmals seit 18 Jahren geht die renommierte Auszeichnung wieder an einen Schriftsteller aus Afrika: Der in England lebende Abdulrazak Gurnah spürt in seinem Werk den Auswirkungen des Kolonialismus nach.



Stockholm. Erstmals seit 18 Jahren geht der Nobelpreis für Literatur wieder an einen Schriftsteller aus Afrika: Abdulrazak Gurnah, der auf Sansibar geboren wurde und heute in England lebt, werde für seine «kompromisslose und mitfühlende Durchdringung der Auswirkungen des Kolonialismus» geehrt, teilte die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm mit.



Der 73-Jährige aus dem heutigen Tansania schaffte nach Angaben der Akademie seinen literarischen Durchbruch 1994 mit dem Roman «Das verlorene Paradies». Zuletzt erschien von ihm «Afterlives» (2020), dessen Handlung Anfang des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der deutschen Kolonialherrschaft in Ostafrika angesiedelt ist.



Gurnah breche mit Konventionen und rücke statt der kolonialen Perspektive die der indigenen Bevölkerung in den Mittelpunkt, betonte die Jury. Zuletzt war 2003 mit John M. Coetzee ein Schriftsteller aus Afrika mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.



Der Autor und Literaturwissenschaftler Gurnah wurde 1948 auf der Insel Sansibar im Indischen Ozean geboren, das damals britisches Protektorat war und heute zu Tansania gehört. Als 18-Jähriger kam er als Flüchtling nach Großbritannien, wo er zuletzt bis zu seiner kürzlichen Emeritierung als Professor für Englisch und Postkoloniale Literatur an der Universität von Kent wirkte.



Gurnah veröffentlichte zehn Romane und zahlreiche Kurzgeschichten. Das Thema des Bruchs im Schicksal eines Flüchtlings durchziehe sein Werk, erklärte die Jury in Stockholm. Er setze sich eindringlich mit dem «Schicksal des Flüchtlings in der Kluft zwischen Kulturen und Kontinenten» auseinander. Der Autor begann im Alter von 21 Jahren im britischen Exil zu schreiben. Obwohl Suaheli seine Muttersprache ist, verfasste er sein Werk auf Englisch.



Seine Hingabe zur Wahrheit und sein Widerwille gegenüber jeder Vereinfachung seien bemerkenswert, betonte die Nobelpreis-Jury. In seinem ganzen Werk bemühe sich Gurnah darum, die allgegenwärtige Nostalgie nach einem ursprünglicheren, vorkolonialen Afrika zu vermeiden.



Im vergangenen Jahr war der mit umgerechnet knapp einer Million Euro dotierte Literaturnobelpreis an die US-amerikanische Lyrikerin Louise Glück gegangen. 2019 wurden der Österreicher Peter Handke und die Polin Olga Tokarczuk geehrt. Mit der doppelten Preisverleihung holte die Akademie die 2018 wegen des Skandals um Belästigungs- und Korruptionsvorwürfe abgesagte Vergabe nach. Nach einer Neubesetzung der Jury und Reformen bei der Vergabe erfolgt die Auswahl der Preisträger über Vorschläge und ein mehrstufiges Verfahren.



Die Nobelpreise werden am 10. Dezember vergeben, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896). Wegen der Corona-Pandemie erhalten die Preisträgerinnen und Preisträger die Ehrung in ihren Heimatländern. Die Verleihung wird von einer zeitgleich stattfindenden Zeremonie in Stockholm begleitet. Der Friedensnobelpreis wird traditionell in Oslo verliehen, noch ist unklar, ob die Feier in Präsenz stattfinden kann. (epd)