"Religion ist Privatsache!"

Der in Paris lebende marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun verteidigt im Kopftuchstreit die laizistische Gesetzgebung Frankreichs, kritisiert aber zugleich die mangelhafte Integrationspolitik des Staates.

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Tahar Ben Jelloun

​​Herr Jelloun, warum tragen junge Musliminnen in Frankreich überhaupt Kopftuch?

Tahar Ben Jelloun: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einmal aufgrund des Drucks des Vaters oder des Bruders - das sind die häufigsten Fälle. Andere Frauen tragen das Kopftuch auch im Namen der Freiheit des Individuums, das zu tun was es möchte. Manche jungen Frauen wollen durch das Kopftuch auch ihre eigene Identität behaupten. Tahar Ben Jelloun wurde 1944 im marokkanischen Fes geboren und lebt heute in Paris. Er gilt als bedeutendster Vertreter der französischsprachigen Literatur des Maghreb und wurde 1987 mit dem Prix Goncourt für seinen Roman "Die Nacht der Unschuld" ausgezeichnet. Dabei geht es in der Debatte in Frankreich gar nicht darum, dass Musliminnen das Recht abgesprochen werden soll, sich so zu kleiden, wie sie möchten. Nein, es geht um die Bekleidung in öffentlichen Räumen. Das Kopftuch in der Schule ist eine bewusste Verweigerung, an bestimmten Unterrichtseinheiten wie dem Schwimm- und dem Biologieunterricht teilzunehmen. Das Kopftuch ist für mich der Triumph der Unwissenheit, der Ignoranz. Das Gesetz des Laizismus, der Trennung von Staat und Religion, finde ich sehr wichtig. Generationen von Franzosen haben dafür gekämpft, dass es 1905 schließlich umgesetzt wurde. Ich bin dagegen fast 100 Jahre später wieder einen Rückschritt zu machen.

Wie kommt es, dass junge Muslime, die in Frankreich geboren wurden und den französischen Pass haben, dennoch auf das Kopftuch in der Schule pochen?

Ben Jelloun: Das liegt an der mangelnden Integrationspolitik in Frankreich. Die junge arabische Generation wurde von Frankreich vergessen und vernachlässigt. Viele von ihnen waren auf der Suche nach einer Identität und haben sie schließlich im Islam gefunden, aber sie wären auch für die Demokratie verführbar. Hat man ihnen jedoch jemals Lust vermittelt, integriert zu werden? Nein. Viele Jahre hat der Staat sich nicht damit beschäftigt und es schleifen lassen.

Frankreich ist das älteste Einwanderungsland mit der größten muslimischen Bevölkerung in Europa. Wieso kommt es jetzt zu so einer hitzigen Debatte?

Ben Jelloun: Weil die vergessene Generation erwachsen geworden ist. Natürlich hat auch der Nahost-Konflikt einen gewissen Einfluss. Die Art und Weise wie der Nahost-Konflikt in den Medien dargestellt wird, setzt Scharons Politik mit dem jüdischen Volk gleich. Die Jugendlichen glauben, dass das was den Palästinensern angetan wird ihnen selbst angetan wird.

Die Expertenkommission die Präsident Chirac berufen hatte, schlug vor, einen jüdischen und einen muslimischen Feiertag als gesetzliche Feiertage aufzunehmen. Der Vorschlag wurde von Chirac bereits abgelehnt. Was halten Sie davon?

Ben Jelloun: Ich persönlich finde es schwierig, kulturelle Traditionen zu exportieren und finde es besser, sich der Welt anzupassen in der unsere Kinder groß werden. Für mich ist Religion eine private und keine öffentliche Angelegenheit.

Wird das Kopftuch durch das Schulverbot nicht zum Symbol des Islamismus stigmatisiert?

Ben Jelloun: Nein, die arabische Welt deutet die Debatte in Frankreich als Hasskampagne gegen den Islam und die arabischen Länder, aber das ist nicht der Fall. 1905 wurde die Trennung von Staat und Religion durchgesetzt. Jetzt kommen die Kinder arabischer Migranten und gehen gegen dieses Gesetz vor, weil man ihnen auch nicht erklärt hat, was Laizismus eigentlich bedeutet. Religion bleibt in den Herzen, den Kirchen, den Moscheen. Aber in der Schule und in Krankenhäusern hat sie keinen Platz.

Ekua Odoi, © Fluter.de 2004