Die Suche nach Gerechtigkeit

Im Prozess gegen den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein werden bei weitem nicht alle Verbrechen verhandelt, die ihm zur Last gelegt werden könnten. Ist ein gerechtes Verfahren überhaupt möglich? Peter Philipp kommentiert.

Im Prozess gegen den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein werden bei weitem nicht alle Verbrechen verhandelt, die ihm zur Last gelegt werden könnten. Ist ein gerechtes Verfahren überhaupt möglich? Peter Philipp kommentiert.

Saddam Hussein am 23.08.05; Foto: AP
Obwohl Saddam Hussein Hunderttausende auf dem Gewissen hat, geht es in seinem Prozess nur um 143 Morde.

​​Auf diesen Tag haben viele Menschen gewartet: Opfer und Angehörige von Opfern im Irak, Iraner, Kuwaiter, Israelis - um nur einige derer zu nennen, die während der Schreckensherrschaft von Saddam Hussein zu Schaden kamen und gelitten haben. Zehntausende Ermordete und hunderttausende Kriegstote gehen auf das Konto des Diktators, der sich ab 19.10.05 vor einem Sondergericht in Bagdad zu verantworten hat.

Es soll weder Schauprozess noch Siegerjustiz sein. Und dennoch ist das Verfahren gegen Saddam Hussein und einige seiner engsten Weggefährten mit Zweifeln behaftet. Es wird fraglich bleiben, ob es Gerechtigkeit schaffen kann.

Das liegt natürlich in erster Linie an der Monstrosität der Verbrechen. Können sie jemals gesühnt werden? Wäre nicht jedes Urteil, wäre nicht jede Strafe zu milde? Wie kann tausendfacher Mord mit einem Todesurteil gesühnt werden? Wie können die Giftgas-Opfer von Halabdscha, wie die zu Tausenden umgebrachten Schiiten und Kurden gerächt werden?

Die Opfer fordern Rache

Rache hat zwar nichts mit Gerechtigkeit zu tun, aber Rache ist es, was die Überlebenden fordern. Das Gericht muss eine gefährliche Gratwanderung unternehmen. Es darf nicht Rache nehmen. Dann wäre der Prozess rasch vorbei und Saddam ein toter Mann. So wie einst Nicolae Ceausescu in Rumänien.

Gleichzeitig darf das Gericht sich nicht auf einen zweiten endlosen Prozess wie gegen Slobodan Milosevic einlassen. Das würden diejenigen im Irak nicht verstehen, die eine Bestrafung fordern, und jene würden es als Schwäche auslegen, die immer noch zu Saddam halten.

Der Prozess als Symbol für einen neuen Irak

So schwer es auch sein mag: Das Gericht muss unter Beweis stellen, dass neue Zeiten im Irak angebrochen sind. Es muss zeigen, dass nicht mehr einfach "kurzer Prozess" gemacht wird, sondern dass Recht und Gesetz herrschen, auch wenn heute Terroristen, Aufständische und Besatzer das Sagen haben.

Das Gericht darf sich auch nicht als Werkzeug der Besatzer missbrauchen lassen. Dann wäre es schon besser, die Amerikaner hätten Saddam selbst den Prozess gemacht. Ein "zweites Nürnberg" wie nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland aber wollte man vermeiden; es hätte zu sehr nach Siegerjustiz ausgesehen. Und internationale Gerichte kamen für den Fall auch nicht in Frage. Also musste der Prozess in Bagdad angesetzt werden.

Angesichts der täglichen Gewalt im Irak ist dies kein leichtes
Unterfangen. Denn die Öffentlichkeit muss ausgeschlossen und selbst die Identität der Richter geheim gehalten werden. Und es wurde ein Fall ausgewählt, bei dem es um 143 Morde geht. Hier glaubt man, Saddam leicht überführen zu können. Würde er hierfür hingerichtet, dann bliebe der Rest im Dunkeln.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005

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