Irakischer Großayatollah Ali al-Sistani fordert Ende von "Morden und Entführungen"

Angesichts der Gewalt gegen Demonstranten im Irak hat der schiitische Großayatollah Ali al-Sistani ein Ende der "Morde und Entführungen" gefordert. Die Regierung rief der einflussreiche Geistliche in seiner wöchentlichen Freitagspredigt auf, "alle Waffen unter die Kontrolle des Staates zu bringen". Sie müsse "ihrer Verantwortung gerecht werden" und dürfte nicht zulassen, dass "bewaffnete Gruppen außerhalb der Kontrolle des Staates" agierten.

In seiner Predigt, die in der Pilgerstadt Kerbela wie üblich von einem Stellvertreter verlesen wurde, forderte der betagte Gelehrte auch, dass "das schreckliche Verbrechen auf dem Al-Wathba-Platz" im Zentrum der Hauptstadt Bagdad aufgeklärt werde. Dort hatte eine Menge am Donnerstag einen 17-Jährigen gelyncht, der verdächtigt wurde, Demonstranten angegriffen zu haben, und seine Leiche kopfüber an einer Verkehrsampel aufgehängt.

Al-Sistani forderte zudem Ermittlungen zu dem Angriff auf ein von Regierungsgegnern besetztes Parkhaus in der Nähe des Bagdader Tahrir-Platzes, bei dem vor einer Woche 20 Demonstranten und vier Polizisten getötet worden waren. Wer dahinter steckt, ist bis heute nicht geklärt. Zugleich rief der 89-jährige Geistliche die Demonstranten auf, den friedlichen Charakter ihrer Proteste zu bewahren, die seit Anfang Oktober den Irak in Atem halten.

Zuletzt gab es im Irak vermehrt Mordanschläge und Entführungen von Aktivisten und Demonstranten. Allein nach dem Angriff auf das Parkhaus in Bagdad wurden rund 80 Demonstranten von den Angreifern verschleppt. Während einige noch immer verschwunden sind, sind die meisten inzwischen wieder aufgetaucht. Auch der auf dem Tahrir-Platz bekannte 22-jährige Fotograf Seid al-Khafadschi wurde am Donnerstagabend wieder freigelassen.

Seit Oktober wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften knapp 460 Menschen getötet und mehr als 20.000 weitere verletzt. Auch am Donnerstagabend gab es sechs Verletzte, als Unbekannte in der südirakischen Stadt Kut Blendgranaten in ein von Demonstranten frequentiertes Café warfen. Auch in Amara gab es Angriffe mit Blendgranaten auf Einrichtungen proiranischer Milizen und der Bewegung von Muktada al-Sadr.

Unterdessen hat US-Außenminister Mike Pompeo nach mehreren Raketenangriffen auf irakische Militäranlagen mit US-Streitkräften den Iran gewarnt. Für jeden Angriff des Iran oder seiner Verbündeten, der US-Interessen schade, müsse Teheran mit einer "entschlossenen" Reaktion rechnen, erklärte Pompeo am Freitag. Der Iran müsse "die Souveränität seiner Nachbarn respektieren" und sofort die Unterstützung Dritter im Irak und in der Region einstellen, forderte Pompeo.

Bei einem Raketenangriff auf einen irakischen Militärstützpunkt in Bagdad waren am Montag sechs irakische Soldaten verletzt worden. Auf der Militärbasis befanden sich auch US-Soldaten und -Diplomaten. Der Angriff war der neunte innerhalb von sechs Wochen gegen Militäranlagen mit US-Streitkräften oder die US-Botschaft in der abgeschirmten Grünen Zone in der irakischen Hauptstadt. Bislang bekannte sich niemand zu den Angriffen. Die US-Regierung wies die Verantwortung vom Iran unterstützten irakischen Milizen zu.

Der Iran hat im Nachbarstaat Irak seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 deutlich an Einfluss gewonnen. Die US-Regierung versucht dem unter anderem durch Sanktionen, die sich gegen die iranische Ölindustrie richten, entgegenzuwirken. (AFP)