"Die Zärtlichkeit ist verschwunden"

Der Filmemacher Youssef Chahine ist der Altmeister und das enfant terrible des arabischen Films. Am 25. Januar 2006 wurde er 80 Jahre alt. Moritz Behrendt und Christian Meier haben ihn in Kairo interviewt.

Der Filmemacher Youssef Chahine ist der Altmeister und das enfant terrible des arabischen Films. Am 25. Januar 2006 wurde er 80 Jahre alt. Moritz Behrendt und Christian Meier haben ihn in Kairo interviewt.

Es heißt, Sie hätten sich vor den Wahlen der Oppositionsbewegung "Kifaya" – "Genug!" angeschlossen.

Youssef Chahine, Foto: EPA
"Das Schicksal" ist der in Europa bekannteste Film von Youssef Chahine. Geschidert wird die Auseinandersetzung des Gelehrten Averroes mit Ignoranz und Fanatismus im islamischen Andalusien des Mittelalters.

​​Youssef Chahine: Ich habe mich nie Kifaya angeschlossen, sie haben noch nicht mal ein Programm. Eines Tages haben sie mich gebeten, mit ihnen zu demonstrieren. Aber ich bin doch nicht blöd, sie waren 40 und umzingelt von 3000 Sicherheitskräften, mit Knüppeln und Tränengasbomben. Die Repression ist unglaublich, die Mafia, die das Land regiert, ist sehr stark. Sie haben die Polizei, mehrere Geheimdienste, die Armee und zur Not die amerikanische Armee auf ihrer Seite. Sie sind gut organisiert. Dagegen kann man wenig tun.

Wird die Zahl der Demonstranten größer?

Chahine: Zum Teil, aber es ist noch nicht genug. Wir leben seit 23 Jahren im Ausnahmezustand. In den USA nennen sie das "Patriot Act", die haben die gleiche Scheiße wie wir, aber wir sind unterentwickelt, deswegen ist die Scheiße größer. Ich wollte der Universität einmal ein Geschenk machen: besonders dicke Knüppel, denn wenn die Studenten demonstrieren, dann haben sie nur ihre Lehrbücher dabei. Was kann man damit schon ausrichten? Immer beziehen sie Prügel. Ich wünschte, einmal könnten wir sie schlagen.

Welche Rolle haben Künstler in der politischen Auseinandersetzung?

Chahine: Du musst dich äußern. Du kannst kein Künstler sein, wenn du den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext nicht kennst. Wenn du über die Ägypter sprichst, musst du ihre Probleme kennen. Entweder du stehst auf der Seite der Moderne oder du hast keine Ahnung, was du tust.

Glauben Sie, dass die USA oder Frankreich Kifaya unterstützen würden, wie sie die Opposition im Libanon unterstützt haben?

Chahine: Nein, die USA helfen nur Herrn Mubarak. Die haben ihn auf seinen Posten gehoben. Er erpresst die USA aber auch, er sagt ihnen: Entweder ich oder die Islamisten!

Früher waren Sie kulturell sehr von Amerika angetan.

Chahine: Ich war verrückt nach der amerikanischen Kultur. Ich habe in Pasadena studiert.

Hat sich Ihre Haltung geändert?

Chahine: Es gab einen Bruch zwischen mir und ihnen, weil ich nicht mehr ertragen kann, was sie tun. Nicht nur im Irak, auch mit mir. In meinen letzten Film wollte ich kleine Passagen aus amerikanischen Musicalfilmen aus den Vierzigern einbauen, mit Frank Sinatra. Zwei Millionen Dollar wollten sie dafür. Ich habe denen gesagt, dass ich damit doch das amerikanische Kino würdigen würde. Doch das war denen völlig egal, sie wollten nur das Geld.

Ist der Bruch mit Amerika nur politisch oder auch kulturell?

Chahine: Ich mag die amerikanische Kultur weiterhin. Sie sind sehr kreativ und erdenken immer neue Dinge. Doch die grundlegende Philosophie eines ungezügelten Kapitalismus ist sehr brutal. Das schlägt sich auch in den Filmen nieder.

Wird Ihnen durch diese Entfremdung auch ein Teil Ihrer Biographie genommen?

Chahine: Das macht mich wütend. Mein letzter Film handelte davon, wie abgestumpft die Amerikaner geworden sind. Die Zärtlichkeit ist verschwunden. Die Filme in den Vierzigern waren romantisch: schöne Frauen stiegen zu schöner Musik schöne Treppen hinab. Du bist singend aus den Filmen gegangen. Heute gehst du aus dem Film und willst dich übergeben.

Wie wichtig ist der Erfolg Ihrer Filme in Ägypten für Sie?

Chahine: Wenn dein Film in Ägypten verboten wird, bist du ruiniert. Darin besteht die große Macht der Zensur. Als erstes zeigst du ihnen dein Drehbuch und drei Schwachköpfe lesen es. Sie sagen, nimm dies raus, nimm das raus. Und ich sage: "Nein, ich nehme nichts heraus." Während du drehst, hast du dann zwei oder drei verschleierte Frauen am Set, die sich angucken, was du tust. Da muss ich mir Tricks überlegen. Ich habe einen sehr hübschen Assistenten, dem ich auftrage, mit den Frauen zu flirten. Jedes Mal wenn ich eine Szene drehe, die ein wenig politisch oder sexuell ist, geht er mit ihnen in den Flur. So weit weg von mir wie nur möglich.

Nicht nur in Ihren Filmen, auch in der Öffentlichkeit äußern Sie sich gerne politisch.

Chahine: Im Fernsehen mögen sie mich nicht. Weil ich mich weigere, dort zu sprechen, es sei denn live. Sonst nehmen sie nur die Passagen, die sie mögen. Das mache ich nicht mit. Auch in den Zeitungen werde ich oft verkürzt zitiert, weil ich ständig den Innenminister beschimpfe. Und ich bin auch nicht glücklich mit unserem Präsidenten. Er mag Intellektuelle überhaupt nicht. Er mag keine Filme, er mag nur Fußball. Dagegen kann ich nichts tun. Wir leben in einer totalen Diktator mit ziemlich dummen Leuten in wichtigen Positionen.

Können Sie sich ein freieres und liberaleres Ägypten in der näheren Zukunft vorstellen?

Chahine: Weder in der nahen noch in der fernen Zukunft. Die Menschen sind zu müde, um auf die Straßen zu gehen.

Auch die vielen jungen Menschen in Ägypten machen Ihnen keine Hoffnung?

Chahine: Nicht, weil sie jung sind. Ich sehe sie in langen Schlangen vor dem deutschen Konsulat, vor dem französischen Konsulat. Alle wollen emigrieren. Früher habe ich meinen Studenten gesagt, tut das nicht. Weil ich altmodisch war und die Schönheit der Heimat gesehen habe. Wenn ihr studiert habt, dann brauchen wir euch, habe ich gesagt. Nun sage ich ihnen: "Geht." Sie haben keine Chance hier. Ägypten ist viel zu korrupt. Hier zu bleiben, heißt, selbst korrupt zu werden.

Das Interview führten Christian Maier und Moritz Behrendt

© Qantara.de 2006

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