Hunderte Tote bei Bootsunglück vor Griechenland befürchtet

Das erneute Sinken eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer mit möglicherweise Hunderten Toten löst Trauer und Wut aus. Seenotretter erheben schwere Vorwürfe gegen die Behörden.



Genf/Athen. Das neuerliche Sinken eines Flüchtlingsbootes mit möglicherweise Hunderten Opfern vor Griechenlands Mittelmeer-Küste hat Betroffenheit und Wut ausgelöst. Die Vereinten Nationen gaben sich am Donnerstag «zutiefst schockiert und traurig» über das Unglück mit vielen Toten in südgriechischen Gewässern. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich erschüttert. «Wir dürfen angesichts dieser Not nicht abstumpfen, sondern müssen beharrlich weiter daran arbeiten, legale Migrationswege zu schaffen.»



Die Internationale Organisation für Migration (IOM) teilte mit, vorerst seien 79 Leichen geborgen worden, aber die Zahl der Todesopfer werde wahrscheinlich steigen. Ersten Informationen zufolge war das Schiff von Libyen aus aufgebrochen. Laut privaten Seenotrettungsorganisationen befanden sich darauf bis zu 750 Menschen.



Die Grenzschutzagentur der Europäischen Union, Frontex, sprach von «mutmaßlich 600» Personen an Bord eines Fischerbootes. Der neue Frontex-Chef Hans Leijtens räumte im Gespräch mit der «Süddeutschen Zeitung» (Freitagsausgabe) ein, seine Behörde habe das Boot am Dienstag entdeckt. Die Grenzschutzorganisation habe es, wie es ihre Aufgabe sei, den Behörden vor Ort gemeldet, als es noch unterwegs gewesen sei. «Es ist unfassbar traurig, dass es am Mittwoch gesunken ist und es zu einem erneuten tragischen Unglück gekommen ist», zitiert die Zeitung den Frontex-Chef.



Der IOM-Chef in Griechenland, Gianluca Rocco, sagte, die griechischen Behörden hätten eine groß angelegte Aktion gestartet und 104 Menschen gerettet. Es handele sich um eine der schlimmsten Bootstragödien im Mittelmeer. Die Situation unterstreiche die Dringlichkeit konkreter Maßnahmen, um Menschenleben auf See zu retten und gefährliche Reisen durch sichere Migrationswege zu reduzieren.



Auch Frontex-Exekutivdirektor Leijtens warnte vor einer humanitären Krise im Mittelmeer. «Die Lage ist sehr dramatisch», sagte er. Seit Jahresbeginn sei die Zahl der nach Europa Fliehenden im Vorjahresvergleich um zwölf Prozent gestiegen, auf der «sehr gefährlichen» Route über das Mittelmeer sogar um 160 Prozent.



Innenministerin Faeser sprach von einer schrecklichen Katastrophe und versprach, die EU-Staaten am Mittelmeer weiter zu unterstützen und aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Dafür sei der vereinbarte dauerhafte «Solidaritätsmechanismus» zwischen den EU-Staaten wichtig ebenso wie Migrationsabkommen, die Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit achteten.



Scharfe Kritik an der EU kam von Nichtregierungsorganisationen. «Die Tatsache, dass weiterhin Menschen im Mittelmeer sterben, sollte ein Weckruf für die Regierungen und Institutionen der EU sein, die derzeit über den EU-Pakt für Migration und Asyl verhandeln», erklärte die Kinderhilfsorganisation «Save the Children».



Auch private Seenotrettungsorganisationen wie die spanische Organisation «Open Arms» kritisierten die griechischen Behörden scharf: «Sie haben Hunderte Menschen vor ihren Augen sterben lassen», hieß es. «Die Behörden waren auf dem Laufenden viele Stunden vor dem Schiffsunglück und niemand hat sie gerettet.» Über 100 Kinder und Frauen seien ertrunken. Die Menschen an Bord seien fünf Tage und Nächte ohne Essen oder Wasser gewesen.



SOS Méditerranée erklärte: «Das Leben von in Seenot geratenen Menschen nicht zu retten, ist ein Verbrechen.» Das Sterben hätte verhindert werden können.



Das Mittelmeer gehört zu den gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM), starben bei der Überquerung in diesem Jahr bislang mehr als 1.300 Menschen oder sie werden vermisst. Es gibt keine staatlich organisierte Seenotrettung, lediglich private Initiativen halten nach Geflüchteten in Seenot Ausschau. (epd)