Amnesty mit desaströser Bilanz von zwei Jahren Taliban-Herrschaft in Afghanistan

Berlin - Amnesty International hat nach zwei Jahren Taliban-Herrschaft in Afghanistan eine desaströse Bilanz für die Frauenrechte gezogen. Die "systematische Entrechtung" von Frauen und Mädchen seit der erneuten Machtübernahme der Radikalislamisten komme "möglicherweise einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich", erklärte die Menschenrechtsorganisation am Freitag. "Die Taliban haben die Rechte von Mädchen und Frauen in nahezu allen Lebensbereichen sukzessive und systematisch abgeschafft."



Seit März 2022 dürfen Mädchen ab der siebten Klasse die Schule nicht mehr besuchen - "das gilt in keinem anderen Land der Welt", sagte Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty International in Deutschland. "Berichten zufolge soll in manchen Provinzen Mädchen nun sogar der Besuch der Schule schon ab dem zehnten Lebensjahr verboten werden."



Seit ihrer Machtübernahme im August 2021 schließen die Taliban in Afghanistan Mädchen und Frauen immer mehr vom öffentlichen Leben aus. Ihnen wird der Zugang zu Bildungsangeboten verwehrt, ihre Arbeitsmöglichkeiten wurden massiv eingeschränkt, sie dürfen keine Parks, Jahrmärkte und Fitnessstudios besuchen und nicht ohne einen männlichen Vormund reisen.



Zudem sind Frauen gezwungen, sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen. Ende Juli mussten außerdem tausende Schönheitssalons wegen eines Verbots schließen - eine der letzten Beschäftigungsmöglichkeiten und Rückzugsorte für Frauen.



Wie Amnesty nach eigenen Angaben in mehreren Untersuchungen feststellte, nehmen die radikalislamischen Taliban auch Menschenrechtsanwälte, ehemalige Ortskräfte ausländischer Regierungen und Organisationen sowie Aktivisten ins Visier: "Willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter und außergerichtliche Hinrichtungen sind seit zwei Jahren vielerorts an der Tagesordnung."



Amnesty forderte die Bundesregierung auf, ihre Zusagen zur Aufnahme von schutzsuchenden Afghanen umzusetzen - mit dem im Oktober 2021 gestarteten Bundesaufnahmeprogramm "ist noch keine einzige gefährdete Person aus Afghanistan tatsächlich nach Deutschland gekommen", erklärte die Organisation. Dies liege auch an der Unterbesetzung der deutschen Botschaft im pakistanischen Islamabad. Rund 12.000 Menschen warten laut Amnesty aber auch noch in Afghanistan auf ihre Ausreise nach Deutschland.



Der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro) forderte, trotz der schwierigen Arbeitsbedingungen vor Ort die Versorgung mit Hilfsgütern für die afghanische Zivilbevölkerung nicht abreißen zu lassen. "Sonst stehen wir wieder vor einer massiven Hungersnot, die im vergangenen Jahr gerade noch vermieden werden konnte", sagte Martina Schaub, die Vorstandsvorsitzende von Venro, einem Zusammenschluss aus 140 deutschen Nichtregierungsorganisationen, von denen etwa 20 in Afghanistan tätig sind.



Auch die noch bestehenden Gesundheits- und Bildungsangebote für Frauen und Mädchen hingen oft von internationaler Unterstützung ab, erklärte Schaub: "Die Kürzung humanitärer Mittel für Afghanistan kann kein Mittel sein, um Druck für Frauenrechte auszuüben".



Infolge der Preissteigerungen nach dem Auslaufen des ukrainisch-russischen Getreideabkommens zur Ausfuhr von Getreide über das Schwarze Meer gehört Afghanistan nach Angaben der Welternährungsprogramms (WFP) zu den am stärksten hungergefährdeten Ländern weltweit. (AFP)