Meistererzähler und Gejagter: Friedenspreis für Salman Rushdie

Meistererzähler und Ikone der Meinungsfreiheit, Provokateur und Gejagter: Pünktlich zu seinem 76. Geburtstag wird bekannt, dass der britisch-indische Autor Salman Rushdie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält. Von Jenny Tobien und Benedikt von Imhoff, dpa



Frankfurt/Main. Im vergangenen Sommer entging er knapp dem Tod, als ein Mann auf einer Bühne mehrfach auf ihn einstach. Nun erhält Salman Rushdie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Geehrt werde er «für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert», teilte der Stiftungsrat mit.



Verkündet wurde die Nachricht pünktlich zu Rushdies 76. Geburtstag an diesem Montag. «Ich kann der Jury nur für ihre Großzügigkeit danken», wird der in New York lebende Autor zitiert. «Ich weiß, wie bedeutsam dieser Preis ist, und ich bin ein wenig eingeschüchtert von der Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger, zu der sich mein Name nun gesellen wird. Ich freue mich wirklich sehr.» Rushdie zählt längst zu den berühmtesten Schriftstellern der Welt.



Geboren wurde er im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 im damaligen Bombay (heute Mumbai). Über seine Kindheit sagte er einmal, sie habe ihn mit einem «Lagerhaus an fantastischen Erzählungen» beschenkt, «wundervolle Geschichten aller Art». Mit 14 Jahren wurde er zum Grenzgänger zwischen den Kulturen, als er auf das englische Eliteinternat Rugby geschickt wurde. Später studierte er Geschichte am King's College in Cambridge.



Seinen Durchbruch erlangte er mit dem Buch «Mitternachtskinder», das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire. Insgesamt veröffentlichte Rushdie mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. In seinen Werken verbinde er erzählerische Weitsicht mit stetiger literarischer Innovation, Humor und Weisheit, erklärte der Stiftungsrat.



«Dabei beschreibt er die Wucht, mit der Gewaltregime ganze Gesellschaften zerstören, aber auch die Unzerstörbarkeit des Widerstandsgeistes Einzelner.» Denn auch Rushdie selbst, der seit Jahrzehnten von religiösen Fanatikern verfolgt wird, lebt in ständiger Gefahr. In seinem Roman «Die satanischen Verse» sehen einige Muslime eine blasphemische Provokation. 1989 rief der damalige iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini dazu auf, den Schriftsteller zu töten.



Mehr als 30 Jahre später kommt es dann tatsächlich zu einem Attentat: Im August 2022 wird er während eines Vortrags im US-Bundesstaat New York angegriffen und schwer verletzt. Rushdie, der seitdem auf einem Auge blind ist, arbeitet inzwischen an einem Buch über die Attacke.



Trotz der ständigen Gefahren sei er «nach wie vor einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache - und zwar nicht nur seiner eigenen, sondern auch der von Menschen, deren Ansichten er nicht teilt», hieß es in der Begründung des Stiftungsrats. «Unter hohen persönlichen Risiken verteidigt er damit eine wesentliche Voraussetzung des friedlichen Miteinanders.»



Rushdies Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Zugleich sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Denn öffentlich und deutlich seine Meinung zu zeigen, dafür ist Rushdie bekannt.



Zuletzt warnte er vor Angriffen auf die Meinungsfreiheit in westlichen Ländern - die Gefahr sei so groß, wie noch nie zu seinen Lebzeiten. In die Debatte um die sprachliche Anpassung von Büchern mischte sich Rushdie ebenfalls wiederholt ein. Heute als anstößig empfundene Begriffe aus Werken zu verbannen, die etwa von Kinderbuchautor Roald Dahl und James-Bond-Erfinder Ian Flemingstammen, bedeute eine «absurde Zensur», sagte Rushdie einmal. Ein andermal betonte er: «Die Idee, James Bond politisch korrekt machen zu wollen, ist beinahe skurril.» Es müsse zugelassen werden, «dass Bücher aus ihrer Zeit zu uns kommen und ihrer Zeit entstammen».



Seinen jüngsten Roman «Victory City» beendete Rushdie noch vor dem Attentat. Das sei gutes Timing gewesen, sagte er zur Veröffentlichung. Andernfalls hätte es sein können, dass er aus dem Tritt geraten wäre. Kulturstaatsministerin Claudia Roth gratulierte am Montag zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. «Wie kaum ein anderer steht Salman Rushdie für den mutigen und unerschütterlichen Einsatz für die Freiheit des Wortes und das seit mittlerweile vielen Jahrzehnten», sagte die Grünen-Politikerin. Leider stehe der Name Salman Rushdies auch stellvertretend für die Gefahr, der mutige und leidenschaftliche Schriftstellende weltweit ausgesetzt sein könnten. Auch das PEN-Zentrum Deutschland, deren Ehrenmitglied Rushdie ist, sprach Gratulationen aus.



Der 76-Jährige erhält aber nicht nur Branchenpreise. Bereits 2007 wurde Rushdie in Anerkennung seines Lebenswerks in Großbritannien zum Ritter geschlagen und darf sich seitdem Sir Ahmed Salman Rushdie nennen.



Zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 22. Oktober wird Rushdie persönlich in der Frankfurter Paulskirche erwartet. Im vergangenen Jahr ging die mit 25 000 Euro dotierte Auszeichnung an den ukrainischen Autor Serhij Zhadan. (dpa)