Manipur brennt - erneut Gewalt gegen Christen in Indien

Im Nordosten Indiens haben sich die Spannungen zwischen der Mehrheit der hinduistischen Bevölkerungsgruppe der Meitei und der Minderheit der christlichen Kuki in Gewalt entladen. Mindestens 260 Kirchen und mehr als 1.000 Häuser von Christen gingen in Flammen auf; rund 50.000 Kuki wurden vertrieben.



Imphal. Anfang Mai demonstrierten in der Stadt Churachandpur Studenten der christlichen Minderheit der Kuki gegen die Aufnahme der Meitei in die "Gelisteten Stämme" (ST); eine gesetzliche Kategorie, die bestimmten Bevölkerungsgruppen Zugang zu politischen, wirtschaftlichen und sozialen Förderprogrammen eröffnet. Nach Ansicht der Kuki sind die hinduistischen Meitei aber gar keine benachteiligte Gruppe. Der friedliche Protest schlug in Gewalt um, als die Demonstranten von Meitei angegriffen wurden. Die Übeltäter aus der Hauptstadt Imphal des Bundesstaates Manipur hätten Häuser der Kuki zerstört und gemeinsam mit Polizisten das Feuer auf Studenten eröffnet, berichteten übereinstimmend indische Medien.



Seitdem eskaliert die Gewalt in Manipur. Immer wieder werden Häuser und Kirchen der Kuki angegriffen und in Brand gesetzt. Die Kuki wehren sich mit Gegengewalt. Ein Teufelskreis, der bisher auch nicht durch den Einsatz Tausender Soldaten der indischen Armee und einen Vermittlungsversuch des Innenministers von der hindunationalistischen Indischen (BJP), Amit Shah, nachhaltig unterbrochen werden konnte.



Der Bundesstaat Manipur, an der Grenze zu Myanmar gelegen und flächenmäßig etwas kleiner als Mecklenburg-Vorpommern, hat rund drei Millionen Einwohner. Von diesen machen die hinduistischen Meitei etwa 57 Prozent aus. Sie leben hauptsächlich im Imphal-Tal, das zehn Prozent der gesamten Fläche von Manipur ausmacht. Die mehrheitlich christlichen Kuki und ihre Unterstämme bilden den Rest der Bevölkerung und siedeln im Bergland, das 90 Prozent von Manipur bedeckt.



Das protestantische Christentum kam Anfang des 20. Jahrhunderts durch US-Baptisten nach Manipur, der Katholizismus kurz darauf durch den deutschen Salvatorianer-Missionar Ansgar Königsbauer. Hindus und Christen insgesamt bilden jeweils gut 40 Prozent der Bevölkerung; es folgen mit je 7 bis 8 Prozent Angehörige des Islam und des Sanamahismus, einer vorhinduistischen Religion in Manipur.



Spannungen zwischen den Meitei und den Kuki reichen lange zurück. Es geht um Entwicklung, Landrechte, illegale Zuwanderung und politische Macht. Die Meitei aus dem Imphal-Tal haben 40 der 60 Sitze des Landtags inne; und Ministerpräsident Nongthombam Biren Singh von der BJP ist ein Meitei.



Die Meitei sehen ihre dominante Stellung durch die Zuwanderung von Kuki nach Manipur bedroht. Die Kuki und andere indigene Gruppen ihrerseits sind aufgebracht über Vertreibungen aus ihnen vorbehaltenen Waldgebieten. Ein weiterer Streitpunkt ist der Anbau von Opium-Mohn in den Gebieten der Kuki; ein Vorwurf, den die Kuki für sich zurückweisen. Weil aber außer Frage steht, dass in den indigenen Gebieten Mohnanbau im großen Stil betrieben wird, hat die All Manipur Christian Organization (AMCO) im April auf der Grundlage "biblischer Ethik" ihre uneingeschränkte Unterstützung der Regierung von Manipur im Kampf gegen Drogen erklärt.



Real ist auch die Zuwanderung. In jüngerer Vergangenheit sind es vor allem Chin, ein mit den Kuki verwandtes Volk, die aus dem benachbarten myanmarischen Teilstaat Chin nach Manipur fliehen. Chin ist vom Bürgerkrieg in Myanmar besonders betroffen.



Menschenrechtler, Politiker wie auch einzelne katholische Bischöfe wie Erzbischof Dominic Lumon von Imphal rufen zu Frieden und Dialog auf. Indiens Regierung hat den Opfern der Gewalt finanzielle Hilfe zugesagt. Zugleich mehren sich Stimmen, die der katholischen Bischofskonferenz vorwerfen, sich vor der Gewalt in Manipur wie auch anderen Gewaltaktionen radikaler Hindus aus dem Umfeld der BJP gegen Christen und Muslime wegzuducken.



Der Jesuit und Menschenrechtler Cedric Prakash schreibt in einem am 12. Juni veröffentlichten Brief an die Bischofskonferenz: "Liebe Bischöfe, es ist wichtig, dass ihr jetzt mit Entschlossenheit und Geschlossenheit handelt." Nähe zu den Regierenden könne zwar einige flüchtige Vorteile bringen, so Prakash; "aber auf lange Sicht wird sie schwerwiegende Auswirkungen und irreparablen Schaden sowohl für die Kirche als auch für den säkularen, demokratischen Charakter unseres Landes haben!"

Angesichts von Gewalt gegen Christen und andere Minderheiten in Manipur, von Angriffen auf Kirchenmitarbeiter und kirchliche Institutionen in ganz Indien sowie der Verunglimpfung von Muslimen warnte die Vorsitzende des Verbands der katholischen Ordensoberen, Schwester Maria Nirmali, kürzlich in einem weit verbreiteten Brandbrief: "Wir können nicht länger in unserer Komfortzone bleiben. Unser Schweigen und unsere Angst, eine prophetische Rolle zu spielen, machen uns zu Mitschuldigen an den vielen Verbrechen unserer Zeit."



Mit ihren Warnungen berufen sich sowohl Prakash als auch Nirmali auf das Rundschreiben Evangelii gaudium von Papst Franziskus. "Forderungen, die die Verteilung des Reichtums, die Sorge um die Armen und die Menschenrechte betreffen, können nicht unter dem Deckmantel eines Konsenses auf dem Papier oder eines vorübergehenden Friedens für eine zufriedene Minderheit unterdrückt werden", zitiert Nirmali aus dem Schreiben des Papstes.



Der Jesuit Prakash schlägt vor: Kardinäle, Erzbischöfe und Bischöfe sollten noch vor 25. Juni nach Manipur reisen, um sich als Hirten ein Bild von der Lage zu verschaffen. Das Datum erinnert an die Verhängung des Ausnahmezustands am 25. Juni 1975 durch die damalige Premierministerin Indira Gandhi. Damals wurden während des Ausnahmezustands Grundrechte aufgehoben, Oppositionelle verfolgt und inhaftiert. "Zu dem Datum werden dieses Jahr im ganzen Land viele Veranstaltungen organisiert, weil die Situation heute viel ernster ist", schrieb Prakash der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).