Befreites Bloggen in der Islamischen Republik

Immer mehr Iraner nutzen Internetforen und Weblogs. Vor allem die Jugend sieht darin eine Möglichkeit zur politischen Meinungsäußerung. Doch die Mullahs betrachten die Entwicklung mit Misstrauen. Von Hamdam Mostafavi

Immer mehr Iraner nutzen Internetforen und Weblogs. Vor allem die Jugend sieht darin eine Möglichkeit der politischen Meinungsäußerung. Doch die Mullahs betrachten die Entwicklung mit Misstrauen. Von Hamdam Mostafavi

Foto: &copy Café Babel
Millionen Iraner tauschen sich über das Internet aus - das Regime reagiert mit Verboten

​​Die Cyber-Revolution zeigt ihre Folgen. Fünf bis sieben Millionen Iraner benutzen das Internet. Viele von ihnen besuchen regelmäßig Diskussionsforen oder richten sich sogar ein eigenes Internettagebuch ein ("Weblog" oder kurz "Blog").

Die Mullahs sind beunruhigt. Die Anzahl der persischsprachigen Blogs beläuft sich nach blogcensus.net auf 64.000, kurz hinter jenen auf Englisch, Französisch und Portugiesisch.

Seiten wie Blogger, Blogfa.com oder Persian Blog werden überwacht. Mitte Januar hat ein konservativer Abgeordneter, Nasser Nassiri, die Regierung aufgerufen, Orkut und Yahoo Messenger zu verbieten, zwei unter der iranischen Jugend sehr beliebte Diskussionsforen.

"In keinem anderen Land würde ein Politiker Worte wie Orkut oder Yahoo Messenger benutzen", bemerkt Hossein Derakhshan amüsiert, einer der berühmtesten jungen, iranischen Blogger, der seit 2000 in Kanada lebt. Er hat 2002 sein eigenes Forum geschaffen, sowohl auf Englisch wie auf Persisch, um über die politische Situation im Iran, aber auch über "Popkultur und Technologie" zu diskutieren.

Jene, die im Land geblieben sind, nennen ihn häufig als Referenz. So bestätigte Ali, ein 24j-ähriger Teheraner Student, als er im März 2003 sein eigenes Blog schuf: "Hossein Derakhshan hat mich inspiriert. Ich fand die Idee gut, ich hatte Lust dasselbe zu machen und Spuren zu hinterlassen."

Engagierte Jugend

Wie für Ali handelt es sich für die jungen Blogger darum, ihre Gedanken der Welt mitzuteilen, mit welchem Mittel auch immer. Sechzig Prozent der Bevölkerung im Iran sind unter 25. Diese Jugend kennt allein das Leben in der Islamischen Republik, die 1979 gegründet wurde, jenem Jahr als die von Ayatollah Khomeini angeführte islamistische Revolution die prowestliche Monarchie des Schahs stürzte.

Omid Memarian, ein junger Journalist und Blog-Autor, bringt ihre Motivation auf den Punkt: "Ich möchte über die Situation der Demokratie und der Zivilgesellschaft und insbesondere über die Lage der Jugend im heutigen Iran schreiben, aber auch die Ereignisse des Tages und meine persönlichen Erlebnisse mit einbringen", kann man auf seiner Homepage lesen.

Das Interesse der jungen Iraner gilt keineswegs allein der Politik. Azadeh, begeistert von Film und Photographie, nutzt ihren Blog, um die Filme ihrer Lieblingsregisseure zu kommentieren, und erwähnt nur selten den Westen. Ein anderer Blogger, Yasser, ist beunruhigt, dass seine "Seite zu politisch wird. Das missfällt mir, denn ich möchte über Kino, Filme, Bücher und Musik sprechen."

Auf dem Weg zur Demokratie

Doch selbst wenn die meisten Blogs nicht mit einer eindeutig politischen Ausrichtung geschaffen werden, gleiten viele schnell ab. Roozeh zum Beispiel, die seit zwei Jahren ihr eigenes Blog führte, hat beschlossen, es aufzugeben und ein Neues zu beginnen, dass sich ausschließlich der Politik widmet und "Auf dem Weg zur Demokratie" heißt.

Ohne soweit gehen zu wollen, finden sich doch bei den meisten iranischen Bloggern politische Überlegungen. Oft voller Ironie, so wie Bamdad, der sich überrascht zeigt über die "erstaunlichen Parallelen zwischen den Diktaturen. Im Iran, wie auch in Libyen oder im Sudan, versichert die Führung einstimmig: Politische Gefangene, die gibt es nicht."

Hussein seinerseits schreibt wütend und verständnislos über "europäische Politiker, die versichern, dass die Menschenrechte im Iran Fortschritte machen. Wir sind nicht frei zu essen, zu trinken, uns zu kleiden, zu schreiben, zu reden und zu denken, wie wir wollen. Die Menschenrechte existieren nicht. Wie kann etwas Fortschritte machen, was es nicht gibt?", erregt er sich.

Sicherlich wirkt das Internet befreiend, doch die virtuelle Öffnung der Grenzen kann auch frustrierend sein. Die junge Teheraner Lehrerin Fatema hat genug von den ständigen Vergleichen mit dem freiheitlichen Westen, die ihr immer wieder ihre traurige Situation vor Augen führt:

"Ich kann das nicht mehr ertragen! Warum uns zeigen, was es in anderen Ländern gibt? Warum uns von diesem einfacheren und entspannteren Leben erzählen? Wir werden unseren stressigen und langweiligen Alltag nur noch mehr hassen, wenn man uns jeden Tag wiederholt, dass die Situation in anderen Ländern so viel einfacher ist!"

Der Journalist Omid versteht jene, die sich entschlossen haben auszuwandern. "Die sind fort gegangen, um sich treu zu bleiben. Sie haben gewonnen und sie haben verloren. Sie haben gewählt, standhaft zu bleiben und zu unterschreiben. Sie können stolz darauf sein." Omid jedoch hat entschieden, da zu bleiben, um "das Land nicht endgültig den Mullahs zu überlassen." Und er hat entschieden, für die Pressefreiheit zu schreiben.

Die Mullahs haben Recht, misstrauisch zu sein: Die Freiheit zu denken, welche das Internet bietet, ist zweifelsohne der Beweis, dass die Gesellschaft ihnen bereits entgleitet.

Und dieses Mal ist es unwahrscheinlich, dass die Repression genügen wird. Denn der Blogger Behi warnt: "Die Regierung verfolgt denselben Weg wie der Schah. Sie sperrt die Gedanken ein. Die Mullahs haben vergessen, dass sich befreite Gedanken in eine Revolution verwandeln."

Hamdam Mostafavi

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Zan-e Irani
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