Abenteurer und Menschenrechtsaktivist Rüdiger Nehberg gestorben

Er war Konditor, Abenteuer, Kämpfer für den Schutz brasilianischer Indianer und Aktivist gegen Genitalverstümmelung: Nun ist «Sir Vival» im Alter von 84 Jahren gestorben. Von Thomas Morell

Bis zuletzt hat sich Rüdiger Nehberg für den Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung engagiert. Noch für Ende März waren Vorträge geplant, die er wegen der Corona-Krise allerdings absagen musste. Jetzt ist der Abenteurer und Menschrechtsaktivist im Alter von 84 Jahren gestorben, wie sein Verein «Target» am Donnerstagabend in Hamburg mitteilte. «Sir Vival», wie er genannt wurde, war in den 1990er Jahren vor allem durch seine Abenteuerreisen bekanntgeworden, mit denen er für den Schutz der Yanomami-Indianer warb. Einige seiner 30 Bücher wurden Bestseller. Mit seiner Frau Annette Nehberg-Weber lebte er in Rausdorf bei Hamburg.

Sein großer Traum blieb unerfüllt: Nehberg wünschte sich bis zuletzt, dass der saudische König auf einem Riesenbanner in Mekka die weibliche Genitalverstümmelung verurteilt. Dabei hatte er zuvor großen Erfolg gehabt. Ende 2006 traf er sich mit den höchsten Würdenträgern des Islam in der Al-Azhar-Universität Kairo zu einer Konferenz. Am Ende erklärten sie den Brauch zu einem Verbrechen, das unvereinbar ist mit der Ethik des Islam.

Nehberg führte ein abenteuerliches Leben: Schon mit 17 Jahren fuhr er mit dem Fahrrad nach Marokko, um Schlangenbeschwörung zu lernen. Er überlebte Überfälle am Blauen Nil, bei denen sein Freund erschossen wurde, und saß in einem jordanischen Gefängnis. Ursprünglich war Nehberg Konditormeister, doch 1990 verkaufte er seinen Hamburger Betrieb.

20 Jahre lang kämpfte er für den Schutz der brasilianischen Yanomami-Indianer. Zur Vorbereitung lief er 1.000 Kilometer durch Deutschland und ernährte sich von Gräsern, Heuschrecken und einem frisch überfahrenen Eichhörnchen. Dann ließ er sich nur mit einem Überlebensgürtel bestückt im brasilianischen Urwald absetzen.

Unermüdlich blies er auf seiner Mundharmonika, bis die Yanomami ihn fanden und als Freund aufnahmen. Medienwirksam überquerte er auch auf einem Baumstamm und einem Tretboot den Atlantik. Später erhielten die Yanomami ein Schutzgebiet.

Trotz eines künstlichen Kniegelenks und zunehmender Taubheit war seine Energie bis zuletzt ungebrochen. Seine für Ende Märze geplanten Vorträge in Süddeutschland musste er wegen der Corona-Krise absagen.

Seine medienwirksamen Abenteuer sah er im hohen Alter auch kritisch. Er hätte schon früher mit der Menschenrechtsarbeit für die Frauen beginnen sollen, räumte er vor seinem 75. Geburtstag ein. Auf einem Wüstentrip 1977 begegnete er erstmals einer verstümmelten Frau, die vor ihrem Stamm geflohen worden war. «Beschneidung» hielt er für ein völlig falsches Wort. «Beschnitten werden Männer oder Obstbäume, bei Frauen ist das ein Schlachten.» In zahlreichen muslimischen Ländern wird die genitale Verstümmelung heute noch praktiziert - auch von Christen. Immer werde die falsche Begründung angeführt, es stehe in den heiligen Schriften, kritisierte Nehberg.

Vor 20 Jahren gründete er mit seiner Frau den Verein «Target». Das islamische Rechtsgutachten zur Genitalverstümmelung mit einem Vorwort des ägyptischen Großmuftis Ali Gom'a ließ er in Kunstleder drucken und in nordafrikanischen Ländern verbreiten. Ein Verbot, davon war er überzeugt, könne nur mit der Ethik des Islam erreicht werden.

Nehberg gehörte keiner Religion an. Er glaube an eine einzige große Schöpfungskraft, wie er sie im Urwald kennengelernt habe, sagt er. Seine große Angst war, im Alter zum Pflegefall zu werden. Er würde sich in diesem Fall das Leben nehmen und habe schon einen Revolver und Zyankali, vertraute er einmal dem «stern» an. Das blieb ihm erspart. An ein Leben nach dem Tod glaube er nicht, sagte er noch Anfang des Jahres dem «Spiegel»: «Höchstens als Kompost für neues Leben.» (epd)