Gezi-Prozess in Türkei: Intellektueller Kavala muss in U-Haft bleiben

Mehr als zwei Jahre sitzt der bekannte türkische Intellektuelle Osman Kavala schon in U-Haft - wieder lehnen Richter ab, ihn freizulassen. Diesmal gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der prominente türkische Intellektuelle Osman Kavala muss auch nach mehr als zwei Jahren weiter in U-Haft bleiben. Das entschieden die Richter im international aufmerksam verfolgten Gezi-Prozess gegen Zivilgesellschaftsaktivisten in Istanbul am letzten Dienstag. Sie setzten damit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht um, der vor zwei Wochen Kavalas sofortige Freilassung gefordert hatte. Urteile des EGMR sind für die Türkei als Mitglied des Europarats eigentlich bindend.

Zur Begründung hieß es, die Anschuldigungen in der Anklageschrift reichten für die Fortsetzung der U-Haft aus. Wie der Anwalt eines der 16 Angeklagten, Bahri Belen, sagte, habe das Gericht zudem angegeben, dass geklärt werden müsse, ob das EGMR-Urteil rechtskräftig sei. Man warte auf schriftliche Antwort. Ein Anwalt Kavalas, Ilkan Koyuncu, sagte, die Türkei fechte die EGMR-Entscheidung noch an.

Kavala ist Chef des Kulturinstituts Anadolu Kültür, das auch mit deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut zusammenarbeitet. Die Bundesregierung hatte den Fall immer wieder angesprochen. Kavala ist außerdem im Vorstand mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen. Er war im November 2017 verhaftet worden.

Beobachter kritisierten die Entscheidung gegen Kavala scharf. Sergey Lagodinsky, Mitglied des EU-Parlaments für die Grünen und Vorsitzender der parlamentarischen EU-Türkei-Delegation, nannte es «sehr enttäuschend». Das Urteil des EGMR sei klar gewesen, sagte er. Es gebe keinen Grund, Kavala weiter in Haft zu behalten. «Es geht um die Freiheit eines Menschen. Bei diesem gewichtigen Grundrecht kann es keine Kompromisse geben.» Eine Prozessbeobachterin von Amnesty International, Milena Buyum, twitterte, die Entscheidung sei «schändlich».

Den 16 Angeklagten im Gezi-Prozess wird unter anderem ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen. Die Proteste hatten sich an der Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul entzündet. Sie weiteten sich aus zu landesweiten Demonstrationen gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Regierung hatte sie brutal niederschlagen lassen.

Kavala wird unter anderem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert zu haben. Das Menschenrechtsgericht hatte in seiner Entscheidung am 10. Dezember betont, dass dafür keine ausreichenden Beweise vorgelegt worden seien. Es war zu dem Schluss gekommen, dass Kavalas Inhaftierung ihn und mit ihm alle türkischen Menschrechtsverteidiger zum Schweigen bringen sollte.

Kritiker nahmen auch Bezug auf die schwachen Zeugen der Anklage. Zwei Polizisten hatten während der Verhandlung gesagt, sie hätten nicht gesehen, dass Kavala sich während der Gezi-Proteste an Gewaltakten beteiligt habe. Einer sagte, er sehe Kavala an diesem Tag zum ersten Mal.

Kavala selbst forderte erneut seine Freilassung. «Die Anschuldigungen gegen mich sind vollkommen haltlos», sagte er und verneinte auch, die Gezi-Proteste finanziert zu haben. Kein Mensch dürfe unbegründet seiner Freiheit beraubt werden. In einer Stellungnahme nach der Verhandlung sagte er: «Dass die Richter ... die Haftentscheidung aufrechterhalten haben, obwohl der EGMR die sofortige Freilassung beschlossen hat und die Zeugen keinen Zusammenhang zwischen mir und den Gezi-Protesten hergestellt haben, hat mich sehr überrascht.» Die Entscheidung müsse schnell korrigiert werden, forderte er.

Der große Gerichtssaal im Silivri-Gefängnis war trotz des weihnachtlichen Termins gut gefüllt. Menschenrechtsaktivisten und Journalisten waren gekommen sowie Vertreter von Botschaften, auch vom deutschen Generalkonsulat. In der 657 Seiten langen Anklageschrift, geht es unter anderem um Treffen der Angeklagten mit ausländischen Diplomaten - darunter zwischen Kavala, einem Anwalt und einem deutschen Diplomaten. (dpa)