"Wir werden endlich gefragt"

Saudische Frauen leiden unter Bevormundung. Eine widersprüchliche, frauenfeindliche Justiz sowie Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit erschweren ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt. Nur langsam bessert sich ihre Lage. Silke Rode berichtet.

Frau vor einem Bild in Saudi-Arabien; Foto: AP
Strikter Kleidercode: Die Religionspolizei in Saudi-Arabien überprüft, ob der Schleier "islamisch-korrekt" sitzt. Auch die Farbe schwarz ist vorgeschrieben.

​​München - Seit einem Jahr sind Fatima Azzaz und Mansour al-Timani geschieden - gegen ihren Willen. Fatimas Halbbrüder hatten gegen die Ehe geklagt, weil Mansour in der Stammeshierarchie unter ihnen stehe. Ein saudischer Gerichtshof gab ihnen Recht, trennte das Ehepaar und steckte Fatima sogar mit ihrem Sohn ins Gefängnis.

Für UN- Frauenrechtsexpertin Yakin Ertürk ist der Fall symptomatisch für das islamische Königreich: "Das Urteil zeigt, welche Widersprüche und Unsicherheiten das saudische Justizsystem birgt, denn es gibt kein Gesetzbuch, das Privates regelt."

Ertürk hat kürzlich Saudi-Arabien besucht, wo die Sonderberichterstatterin im Auftrag des UN- Menschenrechtsrats mit Politikern und Wissenschaftlern über die Diskriminierung von Frauen sprach und Opfer wie Fatima Azzaz traf. "Mansour und Fatima sind in einem furchtbaren Gemütszustand", berichtet Ertürk.

Fahrverbot und Geschlechtertrennung schlimmer als Schleierzwang

Fatimas Schicksal ist kein Einzelfall. Die Vormundschaft der Männer begleitet saudische Frauen ihr Leben lang. Egal wie alt sie sind, sie werden nie mündig. Eine Reise über die Landesgrenzen? Ein Mietvertrag? Eine Operation? All das ist Frauen nur mit dem Einverständnis des Vaters, der Brüder oder des Ehemannes möglich.

Auch vor Gericht brauchen sie ihren Vormund. Was aber, wenn der ihnen Schaden zufügen will? Es gibt keine geschriebenen Gesetze, die solche Fälle regeln. "Das ist zusätzlich zum System der Vormundschaft für saudische Frauen das größte Problem", sagt Ertürk.

Als Symbol für die Diskriminierung von Frauen gilt im Westen der Schleierzwang. Für viele saudische Frauen sind andere Vorschriften jedoch ein viel größerer Eingriff in ihr Leben: Etwa die strenge Geschlechtertrennung, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert. Oder das Fahrverbot.

Frau in Saudi-Arabien; Foto: dpa
Schutz vor Anmache, Unfälle, Verkehrsstaus? Frauen in Saudi-Arabien dürfen nach wie vor kein Auto fahren.

​​"Darum wird viel gestritten, weil es die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränkt", sagt Dahlia Rahaimy. Sie ist eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sechs Jahre arbeitete sie für die einzige englischsprachige Zeitung des Königreichs, Arab News.

Von dort wurde sie von der saudischen Investmentbehörde Sagia abgeworben und ist heute zuständig für Deutschland und Österreich. Sie bemüht sich, Investoren in das Königreich zu locken, regelmäßig pendelt sie zwischen Frankfurt und der Industriemetropole Dschidda hin und her.

"Frauen werden endlich gefragt"

"Wenn man zu lang von Saudi-Arabien weg ist, verliert man das Gefühl für das Land", sagt sie. Denn Saudi-Arabien verändert sich - langsam auch für die Frauen. Sie dürfen seit Januar alleine im Hotel übernachten, in diesem Jahr sollen die ersten Jura-Studentinnen ihren Abschluss erhalten. Ein Gericht in Dschidda hat bereits Anwältinnen eingestellt.

"Noch muss man mit einem Jura-Abschluss aus dem Ausland auftauchen", erklärt Rahaimy, die ihre Kindheit in Deutschland verbracht und in Irland studiert hat. "Aber es gibt inzwischen Fabriken für Frauen, Architektinnen, und wir treten im Fernsehen auf." Die wichtigste Veränderung sei jedoch subtiler: "Frauen werden endlich gefragt. Ich bin bei Sagia die Deutschland-Expertin, und vom obersten Chef bis zum kleinsten Mitarbeiter werde ich angesprochen, wenn es um Deutschland geht", sagt Rahaimy.

Seit einigen Jahren werden kleine Schritte unternommen, die die Lebensumstände von Frauen verbessern sollen, beobachtet auch die UN-Berichterstatterin Ertürk. Vor allem beim freien Zugang zu Bildung gebe es Fortschritte. Probleme von Frauen würden zudem offener angesprochen, etwa wenn es um häusliche Gewalt geht - lange Zeit ein Tabuthema.

Reformgegner unter Frauen

Geschäftsfrau Rahaimy sieht die größten Gegner von Reformen nicht unter Politikern oder Religionsgelehrten, sondern unter den Frauen selbst. "Es gibt einige, die sagen, es sei unser Schicksal, nicht Auto zu fahren." Rahaimy erklärt diese Haltung mit Tradition und sozialer Kontrolle.

Vielleicht profitieren auch Fatima und Mansour von dem behutsamen Wandel. Immerhin hat die Regierung Ertürk versprochen, "Regelungen" für die Wiederzusammenführung der Zwangsgeschiedenen zu treffen.

Bildunterschrift: Wirtschaftsforum in Dschidda: Noch haben Frauen es in Saudi-Arabien schwer, Zugang zu der von Männern dominierten Arbeitswelt zu bekommen

© Süddeutsche Zeitung 2008

Dieser Text wurde ursprünglich am 22. Februar 2008 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht.

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