Im Spannungsfeld externer Interessen

Seit jeher werden im Libanon die Konflikte westlicher und arabischer Staaten ausgetragen. Auch jetzt könnte das Land wieder zum Schauplatz zerstörerischer Spannungen werden, meint der in Beirut ansässige Nahostexperte Michael Young.

Anhänger Saad Hariris demonstrieren für die Unabhängigkeit des Libanon; Foto: AP
Die letzten Wahlen führten zu dem Abzug der syrischen Truppen im Libanon, aber das Land ist noch immer weit von einer politischen Unabhängigkeit entfernt.

​​In den letzten Wochen trafen sich im Libanon Politiker so unterschiedlicher Gruppierungen wie der Hisbollah und der christlichen libanesischen Streitkräfte immer wieder zu einem so genannten "Nationalen Dialog".

Dabei ging es vor allem darum, einen Konsens über die Zukunft des Libanon im Gefolge des syrischen Truppenabzuges im Vorjahr zu erzielen. Dieser Dialog hat allerdings gezeigt, wie sehr die libanesische Politik noch immer von außen gestaltet wird.

Das syrische Regime unter Präsident Baschar Assad übt noch immer immensen Einfluss auf die wichtigsten Machtzentralen des libanesischen Staates aus, wie den Sicherheits- und Geheimdienstapparat, die Armee und die Justiz – von der Allianz mit der militärisch mächtigen Hisbollah ganz zu schweigen.

Obwohl sich die syrischen Soldaten vor einem Jahr zurückzogen, hat Assads Regime den Abzug aus dem Libanon nie verwunden, und nun versucht man hegemoniale Ansprüche in der einen oder anderen Form wieder durchzusetzen.

Gegen einen Sturz des Despoten-Kollegen

Die Position Syriens wird durch eine aktuelle Untersuchung der Vereinten Nationen kompliziert, wobei man Syrien beschuldigt, an der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005 beteiligt gewesen zu sein. Obwohl Syriens Verbündete im Libanon eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern fordern, lässt der Mord an Hariri darüber Zweifel aufkommen.

Im Moment haben sich die libanesischen Parteien darauf verständigt, die Vereinnahmung ihres Landes als Basis für mögliche Bedrohungen des syrischen Regimes nicht zu gestatten.

Zugleich versuchen Ägypten und Saudi Arabien verzweifelt, den Sturz des Regimes Assad zu verhindern. Offiziell unterstützen sie die Untersuchungen der UNO, hinter vorgehaltener Hand allerdings hat man der libanesischen Regierung empfohlen, ja sie sogar gedrängt, den Druck auf Syrien zu vermindern.

Die Gegner Syriens im Libanon haben derartigen Forderungen widerstanden, aber die Haltung Ägyptens und Saudi Arabiens unterstreicht, wie sehr die arabischen Regime aus eigennützigen Gründen den Sturz ihrer Despoten-Kollegen zu verhindern trachten.

Einig in der Entwaffnung der Hisbollah

Tatsächlich steht die ägyptische und saudische Haltung stark im Widerspruch zur Position jener zwei westlichen Mächte, die enormen Einfluss im Libanon haben, nämlich den Vereinigten Staaten und Frankreich, welche die Untersuchungen der UNO vorbehaltlos unterstützen.

Dennoch sind sich alle vier Staaten einig, dass der syrische Einfluss im Libanon zurückgedrängt werden muss und theoretisch sind auch alle für eine – in der Resolution 1559 des UNO-Sicherheitsrates geforderte - Entwaffnung der Hisbollah, wenngleich man sich noch nicht darauf einigen konnte, wie das zu bewerkstelligen sei.

Ein weiteres, die libanesische Innenpolitik beherrschendes Thema ist die anhaltende Gewalt zwischen Sunniten und Schiiten im Irak. Die Sunniten und Schiiten im Libanon – aufgrund ihrer Zahl und der Unterstützung aus anderen Regionen die mächtigsten Bevölkerungsgruppen im Land – sind zwar von gegenseitiger Gewaltanwendung weit entfernt, aber die politischen Spannungen waren in letzter Zeit spürbar.

Hariri war der führende sunnitische Politiker des Landes, und nach seiner Ermordung nahmen die beiden Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf Syrien höchst unterschiedliche Standpunkte ein.

Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten

Im Libanon selbst ist die Trennlinie zwischen Sunniten und Schiiten ein Zeichen größerer regionaler Spannungen zwischen arabischen Staaten mit sunnitischer Mehrheit wie Saudi Arabien, das Saad Hariri, den Sohn des verstorbenen Premiers unterstützt, und dem Iran, der die Hisbollah fördert.

Die Saudis fürchten, dass sich ein Zerwürfnis zwischen Sunniten und Schiiten vom Irak auf die ganze arabische Welt ausbreiten und damit auch das Königreich gefährden könnte, wo die Schiiten vorwiegend im ölreichen Ostteil des Landes leben. Aus diesem Grund hat Riad Hariri auch ermutigt, die Verbindung zur führenden schiitischen Kraft, der Hisbollah, nicht abreißen zu lassen.

Abgesehen von ihren religiösen Bedenken fürchten Saudis und Ägypter auch, dass ein über Atomtechnologie verfügender Iran die schiitische Vorherrschaft in der Region untermauern könnte.

Über all dem schwebt noch die amerikanisch-iranische Feindschaft aufgrund der Atomwaffenfrage aber auch infolge der Uneinigkeit im Irak. Die arabischen Staaten finden sich nun in einer unangenehmen Lage zwischen den beiden Positionen wieder.

Das gilt auch für die Libanesen, die fürchten, den Preis für einen amerikanischen oder israelischen Angriff auf Atomanlagen im Iran bezahlen zu müssen, denn in jedem Fall könnte die Hisbollah darauf mit Vergeltungsschlägen vom Südlibanon aus gegen Israel reagieren.

Libanon erneut Schauplatz zerstörerischer Konflikte?

Im Libanon selbst deutet die Hisbollah die UNO-Forderungen nach ihrer Entwaffnung als Verschwörung der Bush-Administration, um die Partei zu schwächen und um die amerikanische Vorherrschaft in der Region auszubauen.

Michael Young; Foto: project-syndicate.org

​​Michael Young ist Nahostexperte und lebt in Beirut.Die Hisbollah hat sich angesichts der von ihr so bezeichneten israelischen Bedrohung einer Entwaffnung verweigert, obwohl die Definition dieser Bedrohung sich häufig ändert und es daher zweifelhaft ist, ob sie überhaupt jemals bereit sein wird, die Waffen niederzulegen.

Jüngst willigte die Hisbollah ein, dieses Thema auf die nationale Agenda zu setzen – vielleicht weil der Iran verhindern möchte, dass dies zu einer Quelle nationaler Uneinigkeit wird. Es sind jedoch Zweifel darüber angebracht, ob es, zumindest kurzfristig, zu einer echten Entwaffnung kommt.

Schließlich müssen die Libanesen auf ihrem Weg durch die Untiefen der regionalen und internationalen Angelegenheiten auch die amerikanische Politik im Auge behalten.

Man kann über den Krieg im Irak denken was man will, aber die amerikanische Präsenz in diesem Land hat dem Libanon sehr wohl geholfen, syrische Bemühungen, den Abzug rückgängig zu machen, ebenso abzuwehren wie arabische Bestrebungen, die Libanesen zu zwingen, sich mit einem Regime zu arrangieren, das die libanesische Souveränität missbilligt.

Mehrheit der Libanesen gegen Isolation

Eine US-Administration, die sich vollständig aus dem Irak zurückzieht, würde den Vorgängen im Libanon wahrscheinlich eher gleichgültig gegenüberstehen. Wer außer Syrien und dem Iran würde davon profitieren?

Ein derartiges Ergebnis würde vielleicht für manche Teile der libanesischen Gesellschaft, vor allem die Hisbollah zufrieden stellen. Die meisten Libanesen allerdings engagieren sich weiterhin für einen friedlichen Libanon ohne Isolation und Militärherrschaft, die den Iran und Syrien kennzeichnen.

Unglücklicherweise war der Libanon immer ein Spielball der Länder in seiner Umgebung und jetzt könnte er wieder zu einem Schauplatz zerstörerischer regionaler Konflikte werden, ob das den Libanesen passt oder nicht.

Michael Young

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

© Project Syndicate 2006

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