Spielen mit den Schmuddelkindern

Syrien ist international isoliert. Doch Volker Perthes argumentiert, dass Damaskus auch eine konstruktive Rolle im Nahost-Friedensprozess spielen kann, wenn man zwischen seinen illegitimen und legitimen Asprüchen unterscheidet.

Panzer im Golan; Foto: RobW
Vom Vater im Krieg verloren, vom Sohn im Frieden gewonnen? Die Rückgewinnung der Golan-Höhen zählen zu den legitimen Interessen syrischer Politik, so Volker Perthes.

​​Mit Blick auf die Aussichten des neuen Friedensprozesses im Nahen Osten waren die innenpolitischen Auseinandersetzungen um den jüngsten Besuch des syrischen Außenministers in Berlin eine falsche Debatte. Die Frage nach dem Umgang mit Damaskus ist keine nach Idealen oder Realpolitik, es geht vielmehr darum, wie europäische und deutsche Politik dem Ziel einer friedlichen Regelung des Nahost-Konflikts zuarbeiten kann.

Ein stabiler Frieden entspräche unseren Interessen, denen unserer Freunde in der Region und natürlich auch unseren Werten. Deshalb muss man fragen, wie ein schwieriger Akteur wie Syrien Teil der Lِösung werden kann, und herausfinden, wie syrische Politik gegebenenfalls zu beeinflussen ist.

Komplexe Realität

Für ein umfassendes Friedensabkommen zwischen Israel und jedem einzelnen seiner Nachbarn ist Syrien auch wegen seines erheblichen Stöِrpotentials unverzichtbar. Es ist kein demokratischer Staat, steht damit aber auch nicht allein unter jenen Ländern, mit denen Israel Frieden geschlossen hat oder schließen will. Letztlich geht es bei einem Frieden im Nahen Osten darum, die legitimen Interessen der Beteiligten zu wahren - im syrischen Fall ist das die Rückgewinnung des seit 1967 von Israel besetzten Golan- Gebiets.

Vor allem aus Israel ist immer wieder zu höِren, Syrien sei nicht an einer Rückgewinnung des Golan, sondern vielmehr an der Kontrolle über den Libanon interessiert, aus welchem seine Truppen 2005 abziehen mussten. Die Realität ist komplexer.

Syrien will tatsächlich den Konflikt mit Israel beilegen, spielt im Libanon aber eine negative Rolle und gibt wenig Unterstützung für eine rasche Löِsung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Diese Politik reflektiert sowohl strategische Interessen des Landes als auch eher persöِnliche Motive der Führung in Damaskus.

Für den jetzigen Präsidenten Baschar al-Assad hat die wirtschaftliche Modernisierung hohe Priorität, was eine Beendigung des Konflikts mit Israel nahelegt: Eine stabile Region würde mehr ausländische Investoren anziehen und die Integration Syriens in die globale Wirtschaft erleichtern.

Signale für Friedensverhandlungen

Frieden zwischen Syrien und Israel würde Damaskus wieder zu einem akzeptierten Partner Washingtons werden lassen und brächte die syrische Politik in Einklang mit der von Saudi- Arabien und Ägypten.

Vor allem würde ein Frieden mit Israel die eigenen besetzten Gebiete, den Golan, zurückbringen. Das wäre innenpolitisch populär, würde das Ansehen des Präsidenten steigern und hätte zudem einen ganz persِönlichen, politisch aber wichtigen Aspekt: Baschar al-Assad würde damit friedlich zurückgewinnen, was sein Vater Hafis 1967 im Krieg verlor.

Syriens Präsident Baschar al-Assad; Foto: dpa
Baschar al-Assad: Für die wirtschaftliche Modernisierung Syriens braucht er den Frieden mit Israel.

​​Syrien hat Israel deshalb in letzter Zeit wiederholt signalisiert, dass es die Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen wieder aufnehmen wolle. Daher hat Damaskus auch einen Vertreter zu der Konferenz im amerikanischen Annapolis geschickt. Er sollte dort deutlich machen, dass der Friedensprozess im Nahen Osten nicht nur auf der israelisch-palästinensischen Schiene laufen kann.

In Damaskus ist man besorgt darüber, dass ein israelisch- palästinensischer Friedensprozess abgeschlossen werden köِnnte, ohne dass eine syrisch-israelische Regelung auf dem Weg ist. Denn weder Washington noch die Europäer würden dann noch viel Energie auf eine Löِsung der Golan-Frage verwenden. Deshalb hat Damaskus angedeutet, dass es sich ein syrisch- israelisches Abkommen sogar vor dem Abschluss des israelisch-palästinensischen Prozesses vorstellen kann.

Syrien will also im Friedensprozess nicht außen vor bleiben und demonstriert gleichzeitig immer wieder sein Stِörpotential, wenn es befürchtet, dass seine eigenen Interessen nicht berücksichtigt werden - besonders im Libanon. Noch hat die internationale Untersuchungskommission, die den Mord an Libanons früherem Premierminister Rafik al-Hariri und eine Reihe weiterer Morde aufklären soll, kein Ergebnis vorgelegt.

Für ein Urteil ist es deshalb zu früh. Auch in den arabischen Staaten sind allerdings die meisten Beobachter der Auffassung, dass der syrische Sicherheitsapparat in diese Verbrechen verwickelt war. Zwar strebt die Führung in Damaskus nicht nach direkter Kontrolle über den Libanon; sie versucht dort vielmehr, über Verbündete eine Art Vetomacht zu bewahren. Dabei soll auch verhindert werden, dass das von den UN eingesetzte Hariri-Tribunal seine Arbeit aufnimmt und eventuell die Auslieferung hoher syrischer Amtsträger verlangt.

Persönliche Motive

Syrien hat bisher keinerlei positive Signale in Richtung Libanon gesandt. Auch hier ist ein ganz persöِnliches Motiv nicht auszuschließen. Denn während Baschar al-Assad durch Frieden mit Israel gewinnen kِnnte, was sein Vater verlor, hat er im Libanon durch seine eigene verfehlte Politik den politischen Einfluss verloren, den sein Vater dort über zweieinhalb Jahrzehnte aufgebaut hatte.

Foto: SWP
Volker Perthes

​​Die internationale Gemeinschaft muss Damaskus sehr deutlich machen, dass man die legitimen Interessen Syriens - in Bezug auf den Golan - von illegitimen - in Bezug auf den Libanon - unterscheidet. Damaskus sollte verstehen, dass eine konstruktive Politik gegenüber dem Libanon honoriert würde: nämlich durch eine internationale Unterstützung seiner legitimen Anliegen im Friedensprozess. Gleichzeitig muss signalisiert werden, dass das Hariri-Tribunal kein Hebel sein soll, um das Regime in Damaskus zu stürzen.

Die legitimen Interessen Syriens an einer friedlichen Beilegung des Konflikts mit Israel decken sich dagegen mit dem Interesse der internationalen Gemeinschaft, den Nahost- Konflikt insgesamt beizulegen. Europäische Diplomatie kann hier möِglicherweise eine hilfreichere Rolle spielen als Moskau, das angekündigt hat, sich bei einer Nachfolgekonferenz von Annapolis um eine Wiederbelebung des israelisch-syrischen Friedensprozesses kümmern zu wollen.

Immerhin liegt es wesentlich an der Überzeugungsarbeit einzelner EU-Staaten, dass die US-Regierung Syrien überhaupt nach Annapolis eingeladen hat und dass Damaskus diese Einladung nach anfänglichem Zöِgern angenommen hat. Europäische Hilfe beim schwierigen Annäherungsprozess zwischen Israel und Syrien dürfte in beiden Staaten akzeptiert werden. Ohne Dialog mit den Verantwortlichen in Damaskus ist das kaum möِglich.

Volker Perthes

© Süddeutsche Zeitung

Volker Perthes ist Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit; er zählt zu den renommiertesten Nahost-Experten in Deutschland.

Qantara.de

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