Sympathie-Weltmeister und Multi-Kulti: Staunen über neues Deutschland

Vier Jahre nach der Heim-WM verblüfft der Auftritt des DFB-Teams in Südafrika die Welt: Eine veränderte Spielkultur, ein innovativer Bundestrainer und der Multi-Kulti-Kader sorgen für ein neues Bild des deutschen Fußballs. Heutige Debatten scheinen entfernt. Von Florian Lütticke

Im WM-Sommer 2010 sind Pfiffe gegen deutsche Nationalspieler noch weit entfernt. Es gibt keine Debatten über Erdogan-Fotos. Oder über Rechtsausleger in der Politik, die nach einem Ausschluss Andersgläubiger aus dem deutschen Team schreien.

Stattdessen herrscht beim Turnier in Südafrika vielmehr weltweites Staunen über eine neue Qualität im Nationalteam: In der Spielkultur, auf der Position des Bundestrainers - und auch in der Kader-Zusammenstellung als positiv besetztes Spiegelbild einer multikulturellen Gesellschaft. Eine Spurensuche mit Schlagzeilen aus dem Ausland, was die Weltmeisterschaft 2010 für das Bild des deutschen Fußballs bewirkt hat:

«Bronze für den Sympathie-Weltmeister» («Aftonbladet»/Schweden)

Wie bei der Heim-WM, bei der sich die Welt überrascht von einem ungezwungenen Gastgeber gezeigt hat, bleibt der ganz große sportliche Coup verwehrt. Doch mit ihren spektakulären Auftritten erobert die jüngste deutsche Mannschaft seit 1934 vor allem in der K.o.-Phase die Herzen der Fans. 4:1 im Achtelfinale gegen England, 4:0 in der Runde der besten Acht gegen Argentinien - mehr Tore erzielt kein anderes Team im Turnier.

Dass die Krönung zwei Jahre nach dem EM-Finale wieder durch eine 0:1-Niederlage gegen den späteren Weltmeister Spanien ausbleibt, befördert eher noch das Image.

«Die Deutschen haben auf Gegenangriff gesetzt, den sie in diesem Turnier auf das Niveau der Fußball-Poesie gehoben haben.» («Polska»/Polen).

Dazu kommt eine neue fußballerische Philosophie, die Joachim Löw in seinem zweiten Turnier als Hauptverantwortlicher weiterentwickelt hat. Kombinationen über viele Anspielstationen und schnelles Umschalten aus der Abwehr zum Angriff sind Schlüsselqualitäten auf dem Weg zum dominanten Stil, der schließlich vier Jahre später in Brasilien zum Triumph führen wird.

Die Ära des vor Kraft strotzenden Fußballs, die im Ausland lange eine Charakterisierung als deutsche Panzer befeuerte, ist überwunden. «Politikern wird dringend geraten, das Verhalten des deutschen Bundestrainers Joachim Löw zu studieren: Er hat gegen den Widerstand vieler Medien auf sogenannte Stars und Patentrezepte verzichtet und auf ein junges Team gesetzt, das alle Welt durch «undeutschen Spaßfußball» begeistert hat.» («Die Presse»/Österreich)

Der Bundestrainer, der das Bild des netten Herrn Löw und Bundes-Jogi kultiviert, hat sich längst von seiner Rolle als Ex-Assistent von Jürgen Klinsmann emanzipiert. Vor der WM sortiert er Routinier Torsten Frings aus, der Ausfall von Michael Ballack erweist sich für das Mannschaftsgefüge zumindest nicht als Nachteil. Löw schart zahlreiche Helfer um sich, ist Taktiker, Team-Player und Verfechter schönen Fußballs. Zehn Tage lässt er sich nach der WM Zeit – und unterschreibt mit der Aussicht auf eine goldene Zukunft den nächsten Vertrag.

«New German Volk. Das multi-ethnische Team und seine Fans sind ein Ergebnis gelungener Vergangenheitsbewältigung.» («New York Times»/USA)

Elf der 23 Spielern im Kader von Löw haben ausländische Wurzeln. Ob Mesut Özil, Jérôme Boateng oder Sami Khedira - die deutsche Mannschaft wird zum Muster für gelungene Integration. «Sie ist ein Beispiel dafür, dass daraus Vorbilder entstehen können», sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

«Diese Mannschaft mit jungen Männern so unterschiedlicher Herkunft spiegelt Deutschland als das Einwanderungsland, das es längst schon geworden ist», erklärt der damalige Bundespräsident Christian Wulff. Nach den umstrittenen Bildern von Ilkay Gündogan und Özil mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und den anschließenden Unmutsbekundungen deutscher Fans steht dieser gesellschaftliche Aspekt nun wie schon lange nicht mehr im Fokus. (dpa)