Gefährliche Eskalation zwischen Iran und Israel schürt Kriegsangst

Zum ersten Mal hat der Iran nach Militärangaben israelische Ziele auf den Golanhöhen angegriffen. Israels Luftwaffe schlägt hart zurück. Der Waffengang kommt einen Tag nach dem US-Ausstieg aus dem Atomabkommen. Und ein neuer Alleingang Trumps steht kurz bevor. Von Sara Lemel und Jan Kuhlmann

Die alarmierenden Berichte über einen massiven iranischen Raketenangriff kommen kurz nach Mitternacht. Auf den Golanhöhen lösen 20 Geschosse Alarmsirenen aus, israelische Einwohner werden aus ihren Betten geschreckt. Die Raketen zielen auf israelische Militärposten an der Grenzlinie zu Syrien. Doch keine schlägt letztlich auf israelisch kontrolliertem Gebiet ein: Vier werden abgefangen, der Rest landet auf der syrischen Seite des strategisch wichtigen Felsplateaus, das Israel 1967 erobert hat. Die Reaktion der israelischen Luftwaffe hat dagegen verheerende Folgen - in Syrien werden nach Angaben von Menschenrechtlern mehr als 20 Menschen bei massiven Angriffen auf über 50 iranische Ziele getötet.

«Wir haben fast die gesamte iranische Infrastruktur in Syrien getroffen», sagt der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Nach Medienberichten sind es die schwersten Angriffe Israels in Syrien seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Die gefährliche Eskalation kommt einen Tag nach der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, im Alleingang aus dem Atomabkommen mit dem Iran auszusteigen.

Für einen Angriff iranischer Streitkräfte auf dem Golan hatte Israels Militär sich schon seit Tagen gewappnet - der Geheimdienst hatte «verdächtige Aktivitäten» iranischer Streitkräfte in dem nördlichen Nachbarland identifiziert. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte am Donnerstag, der Iran habe mit dem Angriff auf den Golanhöhen «eine rote Linie überschritten». Zu Israels Reaktion sagte er: «Wir befinden uns in einem langem Kampf, und unsere Politik ist klar: Wir werden es dem Iran nicht erlauben, sich militärisch in Syrien zu etablieren.»

Teheran baut seine militärischen Kapazitäten in Syrien immer weiter aus. Israel versucht schon seit längerem, den Erzfeind mit gezielten Luftangriffen davon abzuhalten. Nach iranischen Verlusten bei jüngsten Attacken hatte Teheran Vergeltung geschworen. Wie es jetzt weitergeht, ist noch offen. Auch weil die Angriffe auf den Golanhöhen offenbar keinen Schaden angerichtet haben, könnte der Iran erneut versuchen, anzugreifen. Israel würde dann wieder zurückschlagen, und so könnte der Konflikt sich schnell hochschaukeln und weitere Kreise ziehen. «Wenn es bei uns regnet, gibt es bei ihnen eine Sintflut», drohte Lieberman. Der Iran ist im syrischen Bürgerkrieg - neben Russland - der wichtigste Verbündete der Regierung in Damaskus.

Riad Tabara, der frühere libanesische Botschafter in Washington, schätzt das Risiko für einen größeren Krieg allerdings als eher gering ein. «Die Attacken beschränken sich gegenwärtig auf einen Schlagabtausch», sagte Tabara. «Die (libanesische) Hisbollah-Miliz bräuchte grünes Licht vom Iran, der Iran von Russland und Israel von den USA, um einen allumfassenden Krieg zu führen.» Daran hätten gegenwärtig aber weder Russland noch die USA ein Interesse.

Israel hat Russland vor den Gegenangriffen in Syrien informiert. Netanjahu demonstrierte bei einem Treffen wenige Stunden zuvor Verbundenheit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Israel macht die Al-Kuds-Brigaden, Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden, und ihren Kommandeur Ghassem Sulejmani verantwortlich für die Attacke auf die Golanhöhen.

Sulejmani genießt unter Anhängern des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einen legendären Ruf. Er ist das Gesicht Teherans, das im Bürgerkrieg immer wieder auftaucht und bejubelt wird. Der Iran nutzt in Syrien vor allem die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah als kampferprobte Truppe, die an der Seite der Armee und anderer Milizen kämpft. Ohne Hilfe aus dem Iran hätte Assad seine Macht wohl längst verloren.

Syriens Opposition spricht sogar davon, dass das Land von iranischen Truppen «besetzt» sei. Für den Iran geht es darum, einen strategisch wichtigen Landkorridor zu halten, der vom Libanon am Mittelmeer über Syrien und den Irak bis nach Teheran reicht - eine Route, über die vergleichsweise einfach Waffen und Truppen transportiert werden können, die Israel als Bedrohung sieht. Generell sichert sich Teheran über Iran-treue Truppen starken Einfluss in der Region. Ein ranghoher israelischer Regierungsvertreter nennt die Zahl von rund 70.000 schiitischen Milizionären in Syrien.

Nitzan Nuriel, früherer Leiter des israelischen Stabs zur Terrorbekämpfung, sagt: «Der Ball liegt jetzt auf der iranischen Seite.» Die Verantwortlichen in Teheran müssten entscheiden, «ob sie den Konflikt verschärfen wollen, und zum Beispiel die Hisbollah in Aktion setzen». Doch haben der Iran und die Hisbollah ein Interesse an einem Krieg mit Israel? Militärisch könnten sie diesen kaum gewinnen. Die Hisbollah ist durch die langjährigen Kämpfe in Syrien mit hohen Verlusten geschwächt. Beobachter gehen auch davon aus, dass die Miliz nach ihrem Erfolg bei der libanesischen Parlamentswahl vergangene Woche derzeit kein Risiko eingehen will. Dennoch hat sie an der Grenze zu Israel ihre Truppen in Alarmbereitschaft versetzt.

Auch diplomatisch wäre eine große Konfrontation mit Israel gegenwärtig ungünstig für Teheran. Sie könnte den iranischen Bemühungen um eine Rettung des Atomdeals schwer schaden. Denn der Iran ist auf das Wohlwollen Deutschlands, Großbritanniens und Frankreichs angewiesen, die den Vertrag weiter erfüllen wollen.

In den kommenden Tagen stehen noch weitere Ereignisse an, die zu einer Destabilisierung in Nahost beitragen dürften. In einem weiteren Alleingang Trumps wird am Montag die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt - zum großen Zorn der Palästinenser. Dazu begehen sie auch den Nakba-Tag, an dem sie der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser im Zuge der israelischen Staatsgründung vor 70 Jahren gedenken. Als Höhepunkt der blutigen Proteste, bei denen seit Ende März mehr als 50 Palästinenser getötet worden sind, sollen dann eine Million Menschen im Gazastreifen auf die Grenze zu Israel marschieren. (dpa)