Weihnachten in Gaza: Plastikbaum, Gottesdienst und Bingo

Sie stellen nur rund 0,05 Prozent der Bevölkerung: Christen im Gazastreifen. Die radikal-islamische Hamas lässt die Menschen weitgehend in Ruhe. Doch Frauen ohne Kopftuch haben es oft schwer in der konservativ-muslimischen Gesellschaft. Von Stefanie Järkel

Christen im Gazastreifen gehen an Weihnachten in die Kirche, beten, essen gemeinsam zu Abend - wie in Deutschland. Doch die christliche Gemeinde mit gut 1.000 Mitgliedern lebt als Minderheit unter rund zwei Millionen Muslimen. In den vergangenen zehn Jahren wurde das Gebiet von der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas kontrolliert.

Nach der US-Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt kam es in den vergangenen zwei Wochen zu blutigen Unruhen an der Grenze. Israels Luftwaffe flog mehrere Luftangriffe auf Hamas-Stützpunkte nach Beschuss aus dem Küstengebiet. Insgesamt wurden innerhalb einer Woche sechs Palästinenser getötet, Hunderte verletzt.

Die Christen halten trotzdem an ihren Traditionen fest. «Weihnachten hier ist sehr, sehr schön», sagt Pater Mario da Silva, schwarzes Gewand, Brille, fast kahler Kopf. Der 38-jährige Brasilianer lebt seit 2012 im Gazastreifen. Er ist katholischer Priester und verantwortlich für 138 Gemeindemitglieder. Die rund 1.000 anderen Christen im Gazastreifen gehören der griechisch-orthodoxen Kirche an.

Den ganzen Dezember über besucht Pater Mario mit rund 30 jungen Helfern kranke Menschen. «Wir singen Weihnachtslieder, wir bringen Geschenke und segnen das Haus.» Eine Woche vor Weihnachten kommt der lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa, für eine besondere Messe nach Gaza. Die rund 60 Jahre alte Kirche und die angrenzende Schule befinden sich hinter einem meterhohen Metalltor.

Weihnachten selbst feiert die Gemeinde am 25. Dezember mit einer Messe mit Krippenspiel, einem Abendessen für rund 600 Menschen und anschließendem Bingo-Spiel. Wie viele Mitglieder der Gemeinde kommen werden, wird sich allerdings erst kurzfristig entscheiden. Zahlreiche Christen versuchen über Weihnachten eine Genehmigung von Israel für die Reise nach Bethlehem und Jerusalem zu bekommen, um die heiligsten Stätten der Christenheit - die Geburtskirche und die Grabeskirche - zu besuchen und Familienmitglieder im Westjordanland zu treffen.

Abir und Nabil Masad mit ihren vier Kindern haben ebenfalls Visa-Anträge in Israel gestellt. Die 51-Jährige stammt aus dem Westjordanland und will ihre Familie besuchen. Sie ist Mitglied der katholischen, ihr Mann Mitglied der griechisch-orthodoxen Kirche. «Früher war es einfach, zwischen Gaza und Ramallah (im Westjordanland) hin und her zu reisen», sagt Abir Masad, während sie auf einem Sessel in ihrem Wohnzimmer sitzt. Nun könnten sie nur noch an christlichen Feiertagen auf eine Genehmigung von Israel hoffen. An der Wand hinter ihr hängt ein Marienbild mit einem überdimensionalen Rosenkranz, daneben ein Holzkreuz mit Jesusfigur. Der Plastikbaum zu Weihnachten wird kurz vor dem Fest aufgestellt.

Die Hamas hatte 2007 nach einem blutigen Bruderkrieg gegen die gemäßigtere Fatah die alleinige Macht im Gazastreifen an sich gerissen. Israel verhängte daraufhin eine Blockade, die mittlerweile von Ägypten mitgetragen wird. Die Bewohner des Küstenstreifens leiden unter massiven Stromausfällen, verschmutztem Trinkwasser und einer hohen Arbeitslosenrate.

Die Familie Masad geht immer freitags und sonntags in die Kirche. «Sie ist fast leer, weil es nicht viele Christen gibt», sagt Abir Masad. 30 bis 40 Gläubige kämen meistens. Die Frauen ziehen für die Messe schöne Kleider an, dazu gehören auch kurze Röcke. Allerdings können sie diese nicht offen in der muslimisch-konservativen Gesellschaft des Gazastreifens zeigen. «Wir tragen diese schwarzen Umhänge wie die Muslime darüber, gehen so in die Kirche und ziehen sie dann aus», sagt Abir Masad.

Es ist grundsätzlich problematisch für Frauen, im Gazastreifen ohne Kopftuch auf die Straße zu gehen. Für viele Menschen gelten sie damit als schlechte Muslimin, als Flittchen. Einmal sei sie mit ihrer 16-jährigen Tochter in der Stadt unterwegs gewesen, erzählt die Mutter. «Ein junger Mann kam zu ihr und hat sie an den Haaren gezogen. Da habe ich ihn geschlagen.» Sie lasse ihre Töchter nicht allein an Orte mit vielen Menschen gehen.

«Generell ist es nicht sicher in Gaza für Christen», sagt Abir Masad. «Die Behörden müssen die Christen beschützen, weil sie (die Hamas) der internationalen Gemeinschaft zeigen will, dass sie sie beschützen.» Aber das Küstengebiet sei voller Probleme. «Die Situation ist nicht stabil.» Abir Masad ist seit Jahren arbeitslos. Ihr Mann wird von der Palästinenserbehörde von Präsident Mahmud Abbas bezahlt, ohne allerdings zu arbeiten.

«Es gibt überhaupt keine Drohungen gegen unser Leben», sagt die Frau mit den kurzen, braunen Haaren. «Es nervt nur, es ist Belästigung.» Auch der deutsche Pater Nikodemus Schnabel, Leiter der Dormitio-Abtei in Jerusalem, bewertet die Situation für Christen in Gaza als ähnlich schwierig wie die aller Bewohner. «Die Christen werden tatsächlich in Ruhe gelassen», sagt der Mönch. Christen und Muslime blieben unter sich. Konversionen gibt es sehr selten - wenn, dann ist es meist eine Christin, die einen Muslim heiratet, was für die christliche Familie allerdings als eine Schande gilt.

Die Zahl der Christen im Gazastreifen schrumpft deutlich. «Jedes Jahr verlieren wir vielleicht 100 Christen», sagt Pater Mario. Viele derjenigen, die eine Besuchsgenehmigung für das Westjordanland für die Feiertage erhalten, kehren nicht zurück. Abir Masad würde auch sofort in die USA oder nach Europa gehen, wenn alle Familienmitglieder gleichzeitig eine Ausreisegenehmigung erhielten. «Das Christentum hat nichts damit zu tun», betont sie allerdings. «Wir haben diese Situation hier einfach so satt.» (dpa)