Kopftuchdebatte à la française

Auch in Frankreich erhitzt der Streit um das Tragen des Kopftuchs die Gemüter. Die Regierung will daher Nägel mit Köpfen machen und bald ein neues Gesetz zur „Bewahrung des Laizismus“ verabschieden. Näheres von Bernhard Schmid aus Paris.

Auch in Frankreich erhitzt der Streit um das Tragen des Kopftuchs seit Monaten die Gemüter. Die Regierung will daher noch bis Weihnachten Nägel mit Köpfen machen und ein neues Gesetz zur „Bewahrung des Laizismus“ verabschieden.

Die wahrscheinlich wichtigste Konsequenz des bevorstehenden Gesetzes wäre eine Verfügung klarer Richtlinien zum Verbot des Kopftuchtragens. Dies würde vor allem für muslimische Einwandererkinder an öffentlichen Schulen und anderer staatlicher Bildungseinrichtungen gelten. Das ist ein Novum in Frankreich, obgleich das Kopftuch an Schulen nun schon seit 14 Jahren auf dem Prüfstand steht und mehrfach innenpolitische Streitereien hervorgerufen hat.

Die "Schleieraffäre" - der Auftakt des Konflikts

Mit der sogenannten "affaire du voile" von 1989 hatte alles angefangen: Wegen Kopftuchtragens wurden an einer Oberschule in der Provinzstadt Creil elf Schülerinnen maghrebinischer Herkunft aus dem Unterricht ausgeschlossen. Das sorgte damals für eine heftige und teilweise sehr ideologisch geführte „Kulturkampfdebatte“. Daraufhin entschied das "Oberste französische Gericht des öffentlichen Rechts" (Conseil d`Etat) im November 1989 gegen ein generelles Kopftuchverbot. Damit erntete das Gericht allerdings entschiedenen Protest von den gesellschaftlichen Gruppen, die im „Namen des Laizismus“ eine Trennung von Religion und Schulunterricht gefordert hatten. Das Gericht urteilte jedoch, dass an öffentlichen Schulen Einzelfallprüfungen vorgenommen werden müßten. Ein Verbot könne nur dann erfolgen, wenn das Tragen religiöser Symbole, wie Kopftuch, Kreuz oder Kipa, mit missionarischen Tätigkeiten verbunden wäre. Oder aber wenn sich herausstellen sollte, dass dadurch andere Mitglieder derselben Religionsgemeinschaft unter moralischen Druck gerieten. Die Entscheidung im Einzelfall blieb den jeweiligen Schulleitungen überlassen. Bis heute sind die Richtlinien des Gerichts jedoch sehr interpretationsbedürftig.

Fragiler Kompromiss

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Muslimische Frauen auf einer UOIF-Konferenz in Le Bourget

​​Auf dieser juristischen Kompromissformel beruhte ein labiler innenpolitischer Friedensschluss, der bis 2003 anhielt. Brüchig wurde er erstmals im vergangenen April, als der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy, seinen Auftritt auf dem Kongress der UOIF („Union des organisations islamiques de France“) hatte. Die Organisation ist der französische Ableger des internationalen Netzwerks der Muslimbrüder, der seinen Hauptsitz in der Pariser Trabantenstadt La Courneuve hat. Einige Monate zuvor avancierte die UOIF als religiöse Organisation zu einem wichtigen strategischen Ansprechpartner der Pariser Regierung. Bereits seit Herbst 2002 bemühte sich die Regierung, den „französischen Islam“ in organisatorische Strukturen einzubinden, da sie endlich über einen verlässlichen Ansprechpartner verfügen wollte. Dieser fehlte bisher, da es im sunnitischen Islam keinen Klerus gibt, vergleichbar etwa mit dem in der katholischen Kirche.

In einem neu gegründeten und gewählten „französischen Rat des muslimischen Kultus“ („Conseil francais du culte musulman“) wurde - neben einer an Marokko orientierten Fraktion - die UOIF die stärkste Gruppierung.

Ein offenes Wort unter Freunden

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Sarkozy und Raffarin beim neu gewählten Islamischen Rat in Paris

​​Aufgrund ihrer Aufwertung und Anerkennung durch die amtierende Regierung empfing sie Innenminister Sarkozy daher zu ihrem jährlichen Kongress in der Pariser Vorstadt Le Bourget zunächst noch mit offenen Armen. Sarkozy erhielt während seiner Rede mehrfach donnernden Applaus, bis er dann – „unter Freunden soll man ja auch ein offenes Wort sagen“ - einen Satz aussprach, mit dem er den Autoritätsanspruch des Staates unterstreichen wollte: Auf Passbildern hätten muslimische Frauen ohne Kopftuch und mit offenen Haaren zu posieren, so der Minister. Daraufhin buhte und pfiff ihn das Publikum spontan aus. Der Saal tobte, auch wenn die UOIF-Funktionäre versuchten, die Situation zu retten und abwiegelten. Schließlich gingen die Bilder von Sarkozys Aufritt durch alle Medien, Frankreich hatte wieder mal einen Skandal, eine neue Debatte über Muslime in Frankreich und die Rolle des Kopftuchs war nun in vollem Gange.

Eine Folge des abermals entflammten Streits war im Juli 2003 die Einsetzung der so genannten „Stasi-Kommission“. Diese trägt ihren Namen nicht etwa nach dem ehemaligen DDR-Staatssicherheitsdienst, sondern nach dem Politiker und ehemaligen hohen Chirac-Berater Bernard Stasi, der den Kommissions-Vorsitz inne hat. Sie hörte diverse politische und gesellschaftliche Stimmen an: vom sozialdemokratischen Oppositionspolitiker Francois Hollande über den Rektor der Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubekeur, von einigen französischen Bischöfen, bis hin zum Generalsekretär der Partei von Jean-Marie Le Pen, Bruno Gollnisch. Auch der jüdische Großrabbiner Frankreichs, Joseph Sitruk, wurde angehört. Mitte November stellte die Kommission ihre Anhörungen ein. Seitdem bereitet sie sich darauf vor, ihren Abschlussbericht zu präsentieren.

Der Fall Aubervilliers

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Ausgeschlossen: Die beiden Schülerinnen Alma und Lila Levy

​​Neue Brisanz erhielt die Arbeit der Stasi-Kommission durch die "Affäre von Aubervilliers". In dieser Pariser Trabantenstadt wurde in der ersten Oktoberwoche der sehr medienwirksame Fall eines Schulausschlusses gegen zwei Kopftuch tragende Mädchen ausgesprochen. Es ist in insofern ein untypischer Fall, da die Mädchen aus einer atheistischen Familie stammen. Ihr Vater ist jüdischer Herkunft, ihre Mutter eine Algerierin christlicher Konfession, beide erklärten, sie seien Atheisten. Die Mädchen handelten offenkundig aus persönlichen Motiven –eine Mischung aus jugendlicher Identitätssuche, Protest, aber auch islamistischen Einflüssen.

Im Gegensatz zur „affaire du voile“ von 1989, wo die konservative Schulverwaltung den Schulausschluss veranlasst hatte, waren es in diesem Fall vor allem linke Lehrer, die - besorgt über das „Anwachsen von Kommunitarismus“ - den Schulausschluss von Anfang an befürworteten. Aufgeladen wurde die "Kopftuch-Frage" ferner durch Jean-Claude Imbert, Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins "Le Point" und Mitglied der Stasi-Kommission. Er selbst erklärte sich jüngst als „islamophob“, was in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung auslöste.

Polemik ungebremst

Vor allem aber drängt der Elysée-Palast unter Präsident Jacques Chirac im Laufe des Herbst auf ein neues Gesetz, da er bei den Regionalparlamentswahlen im kommenden Frühjahr ein erneutes Anwachsen der extremen Rechten befürchtet und diesem durch „Härtebeweise“ zuvorkommen will. Gibt die Stasi-Kommission einem derart motivierten Drängen nach, dann ist ein Ende der Polemik noch lange nicht in Sicht.

Und polemisiert wird im Kopftuchstreit zur Genüge, vor allem im rechten politischen Lager – auch wenn Jean-Marie Le Pen mit neuen Äußerungen für einige Überraschung gesorgt hat. Während er sich noch Ende der 80er Jahre für repressive Maßnahmen ausgesprochen hatte, wandte er sich nun klar gegen ein Gesetz zum Verbot von Kopftüchern in Schulen. Seine Begründung zeigt jedoch, dass er sich nicht gewandelt hat. Man solle doch ruhig erkennen, dass „diese Leute uns nicht ähnlich sind und es nicht sein wollen“, meinte der alternde Faschist. Eine spätere Trennung der Bevölkerung, durch Abschiebung aller Immigranten, sieht er dadurch erleichtert.

Bernhard Schmid, © Qantara.de 2003