Reporter ohne Grenzen: Schlechte Aussichten für die freien Medien in der Türkei

Eine knappe Mehrheit der Türken hat beim Referendum mit Ja gestimmt. Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Rolle des Staatspräsidenten. Für die Journalisten dort wird es noch schwieriger, fürchtet Reporter ohne Grenzen, Deniz Yücel eingeschlossen. Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen (ROG) rechnet damit, dass der Druck auf die letzten unabhängigen Medien in der Türkei noch zunehmen wird. Und auch was die Situation des inhaftierten deutsch-türkischen Korrespondenten Deniz Yücel angeht, ist er nicht optimistisch, nachdem das Ergebnis des Referendums feststeht. Erdogan sei kein gnädiger, sondern ein aggressiver Herrscher, sagte der ROG-Vorstandssprecher der Deutschen Presse-Agentur.

Welche Auswirkungen hat das Referendum auf die Pressefreiheit und auf die Arbeit unabhängiger Journalisten in der Türkei?

Michael Rediske: Es gibt dort nur noch einen geringen Prozentsatz unabhängigen Journalismus. So gut wie alle Fernsehsender und auch alle großen Printmedien sind in der Hand von Erdogan, seinen Freunden und Anhängern. Erdogan hat nur gewonnen dank einer Mehrheit im Landesinnern, während die großen Städte und die Küsten, also dort, wo die oppositionellen Medien beheimatet sind, mehrheitlich gegen ihn gestimmt haben. Ich vermute, dass er versuchen wird, noch stärkeren Druck auszuüben, um die letzten unabhängigen Medien dort auch noch zum Schweigen zu bringen.

Wie schnell werden sich solche Veränderungen bemerkbar machen?

Rediske:  90 Prozent der Arbeit bei der Einschränkung der Pressefreiheit hat Erdogan schon erledigt, rund 150 Journalisten sitzen im Gefängnis, viele mussten ins Exil gehen. Wie schnell er jetzt vorgehen wird, wissen wir nicht. Viel wird auch davon abhängen, wann er den Ausnahmezustand aufheben wird. Mit dem Putschversuch im Juli kann dessen Verlängerung nichts mehr zu tun haben. Fast alle seine Gegner sind hinter Gittern. Der Ausnahmezustand kann also nur dazu dienen, sich die Macht, die er mit dem neuen Präsidialsystem haben möchte, schon jetzt zuzugestehen.

Inwiefern könnte das Ergebnis des Referendums auch etwas an der Situation für Deniz Yücel ändern?

Rediske:  Ich bin nicht so optimistisch wie manche, die gedacht haben, nach einem erfolgreichen Referendum könnte Erdogan sich gnädig zeigen. Er ist aber kein gnädiger, sondern ein aggressiver Herrscher. Und er hat schon vor dem Referendum angekündigt, dass er Deniz Yücel unter keinen Umständen nach Deutschland freilassen werde. Das spricht eher dafür, dass die Untersuchungshaft lange dauern wird.   

Der Fall von Deniz Yücel hat viel Aufmerksamkeit bekommen, die Bundesregierung setzt sich für ihn ein, er bekommt den Theodor-Wolff-Preis - macht das die Lage für ihn besser oder erschwert es seine Freilassung möglicherweise?

Rediske: Reporter ohne Grenzen sagt immer, inhaftierten Journalisten ist am meisten damit geholfen, dass möglichst viele Leute darüber Bescheid wissen und dagegen protestieren, damit die Inhaftierten nicht in der Versenkung verschwinden. Aber mir scheint, dass das hier keine Rolle spielt. Erdogan ist ein sehr impulsiver Regent, bei dem man sehr schwer vorhersagen kann, welche taktischen Gründe ihn zu einem verkürzten Verfahren oder einer Freilassung bewegen könnten. Die Bundesregierung wird aber nicht umhin können, noch deutlicher Stellung gegen das Referendum Stellung zu nehmen.

Was bedeutet das Referendum für die Arbeit von Auslandskorrespondenten ohne türkische Staatsangehörigkeit?

Rediske: Es gab immer einzelne Fälle, etwa einer niederländischen Korrespondentin, die im Osten der Türkei verhaftet wurde, es gibt immer wieder Festnahmen. Wer immer dort arbeitet, weiß, dass er ein gewisses Risiko eingeht, weil Erdogan unberechenbar ist und auch lokale Behörden zum Teil nicht berechenbar sind. Es gibt aber noch keine Anzeichen dafür, dass die Arbeit von Korrespondenten noch weiter erschwert wird.

Wie sehen Sie die Perspektiven für Journalisten im Exil wie Can Dündar, je wieder in die Türkei zurückkehren zu können?

Rediske: Im Moment gelingt es noch nicht einmal, für seine Ehefrau eine Ausreiseerlaubnis zu bekommen. Es gibt viele Journalisten, die noch nicht unmittelbar bedroht sind, die sich aber nicht trauen würden, in die Türkei zurückzureisen, weil sie nicht wissen, unter welchem Vorwand sie verhaftet werden könnten. (dpa)

Das Interview führte Andreas Heimann.

Michael Rediske, geboren 1953, hat selbst langjährige Erfahrung als Journalist. Er war unter anderem Redakteur bei der "taz" und dort von 1996 bis 1999 Chefredakteur sowie 2001/2002 stellvertretender Chefredakteur von AFP Deutschland. Seit 2004 ist er Geschäftsführer des Deutschen Journalistenverbands Berlin-Brandenburg. Bereits 1994 hat er die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen mitgegründet. Seit 22 Jahren ist er ehrenamtlich ROG-Vorstandssprecher.