Zwischen Religionsfreiheit und religiöser Neutralitätspflicht

Der Streit um das Tragen des Kopftuches an deutschen Schulen beschäftigt Bürger wie Gerichte gleichermaßen. Von einer einheitlichen gesetzlichen Praxis ist man heute jedoch noch weit entfernt, wie Sabine Rippberger berichtet.

In Bayern bleibt das Kopftuchverbot für Lehrerinnen bestehen: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof wies am 15. Januar 2007 eine Klage gegen das entsprechende Landesgesetz zurück.

​​Um das Kopftuch aus den Klassenzimmern zu verbannen, änderten bisher acht der 16 Bundesländer ihre Schulgesetze. Christliche und jüdische Glaubenssymbole sind – mit Ausnahme Berlins – in der Regel von den Verboten ausgenommen.

In Bayern wurde eines der bisher erlassenen Gesetze zum Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen verfassungsrechtlich überprüft. Geklagt hatte eine in Berlin ansässige islamische Religionsgemeinschaft, die unter anderem den Gleichheitsgrundsatz verletzt sieht.

In der quer durch alle politischen Lager verlaufenden Kopftuch-Debatte, geht es im wesentlichen um einen Konflikt zwischen der Religionsfreiheit der Bürger einerseits und der religiösen Neutralitätspflicht des Staates andererseits.

Schutz religiöser Vielfalt?

Der Berliner Beauftragte für Integration und Migration, Günter Piening, begrüßte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, denn dieses habe ausdrücklich kein "Kopftuch-Urteil" gefällt. Es stelle nicht das individuelle Recht des Einzelnen auf religiöse Freiheit in Frage, sondern nehme im Gegenteil die religiöse Vielfalt und ihren Schutz in Deutschland sehr ernst.

Das Verfassungsgericht beziehe sich in seinem Urteil explizit nicht nur auf den Islam, sondern auf alle Religionen: "Wenn wir nur das Kopftuch unter Strafe stellen, ist das eine Ungleichbehandlung der Religionen, was Wasser auf die Mühlen derjenigen ist, die sowieso permanent den Islam diskriminiert sehen", so Piening.

"Das heißt, wir können ein ehrliches Gespräch mit den Muslimen nur führen, wenn wir nachweisen, dass diese Gleichbehandlung da ist. Das war der Berliner Grundsatz, den wir 2005 umgesetzt haben."

Drei verschiedene Positionen

In der Bundesrepublik gibt es nach Ansicht des Berliner Integrationsbeauftragten in puncto Kopftuch derzeit drei Grundpositionen: Zum einen die süddeutsche, die das Kopftuch als einziges unter Strafe stellt, dann die Berliner (und eine sich abzeichnende ähnliche Position in Schleswig-Holstein), die alle religiösen Symbole gleich behandelt und Positionen anderer Bundesländer, die es dem Belieben der Schulen überlassen.

Kopftuch tragende Schülerinnen in Deutschland; Foto: dpa
Die Ergebnisse der Konrad-Adenauer-Studie ließen keine Rückschlüsse darauf zu, dass das Tragen des Kopftuchs mit einem fragwürdigen Demokratie-Verständnis einhergeht.

​​In Rheinland-Pfalz, den ostdeutschen Ländern und Hamburg gibt es derzeit keine Initiativen für ein Kopftuch-Verbot. Als erstes Bundesland beschloss Baden-Württemberg im April 2004 ein Gesetz, nach dem muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen kein Kopftuch tragen dürfen. Christliches Kreuz und jüdische Kippa waren jedoch erlaubt.

Allerdings erlaubte das Verwaltungsgericht in Stuttgart im vergangenen Jahr einer Lehrerin, das Tuch weiter im Unterricht zu tragen, solange Nonnen im Ordensgewand unterrichten. Mit einem Kopftuch-Verbot folgten 2004 Niedersachsen, das Saarland, Hessen und Bayern.

Verbot aller religiöser Symbole

Berlin beschloss als sechstes Bundesland im Jahr 2005 die bisher am weitesten reichende Regelung, mit der alle gut sichtbaren religiösen Symbole verboten wurden. Danach folgte Bremen. Als bisher letztes Bundesland, das Kopftuchtragen von Lehrerinnen per Gesetz verbietet, kam im Mai Nordrhein-Westfalen dazu.

Das Bundesverfassungsgericht habe einen ganz engen Bereich festgelegt, in dem religiöse Symbole verboten seien, so Günter Piening. In Berlin gelte das für Lehrerinnen und pädagogisches Personal in Schulen, für Richterinnen und für Polizistinnen, aber nicht für Erzieherinnen in den Kitas und auch nicht für nichtpädagogisches Personal in den Schulen.

Berlins Ausländerbeauftragter, Günter Piening, hält die Gleichbehandlung für besonders wichtig, weil sie das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften bestimmt: "Berlin ist das einzige Land, das kein Kopftuch-Verbot erlassen hat, sondern das alle religiösen Symbole bei Lehrerinnen verbietet – das ist ein großer Unterschied."

Piening glaubt, dass dies die einzige Antwort auf die Weisung des Bundesverfassungsgerichts ist, weil damit der Grundsatz der Gleichbehandlung der Religionsgemeinschaften ernst genommen werde. Seitdem habe es in Berlin keinen einzigen Konfliktfall wegen religiöser Symbole gegeben, so Piening.

Zugang zum Denken verschleierter Frauen

Der stellvertretende Generalsekretär der Konrad-Adenauer-Stiftung, Christoph Kannengießer, sagte erst unlängst bei der Vorstellung einer von der Stiftung in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel "Das Kopftuch – Entschleierung eines Symbols", dass es darauf ankomme, einen Zugang zum Denken verschleierter Frauen zu finden, also Antworten auf die Frage, wofür das Kopftuch aus der Perspektive seiner Trägerinnen steht, nicht wofür es objektiv steht und auch nicht wie es interpretiert oder aufgenommen wird.

Zu den Ergebnissen der Studie gehörte laut Kannengießer, dass die befragten Frauen das Kopftuch vor allem aus religiösen Gründen tragen. 97 Prozent halten dies für eine religiöse Pflicht. Die Entscheidung sei im wesentlichen eine persönliche, die nur in geringem Ausmaß durch Menschen außerhalb der Familie beeinflusst werde.

Die Ergebnisse der Studie ließen außerdem keine gesicherten Rückschlüsse darauf zu, dass das Tragen des Kopftuchs mit einem fragwürdigen Staats- und Demokratieverständnis einhergehe. Christoph Kannengießer machte an dieser Stelle aber auch deutlich, dass nicht zugelassen dürfe, dass sich diese Frauen in Deutschland isolieren:

"Muslime sind inzwischen ein Teil der deutschen Gesellschaft und dazu gehören auch Kopftuch tragende Mädchen und Frauen."

Sabine Rippberger

© DEUTSCHE WELLE 2007

Qantara.de

Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes
Das Kreuz mit dem Kopftuch
Das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat viele Fragen offen gelassen. Denn eine bundesweit einheitliche Regelung ist an deutschen Schulen auch Monate nach dem Richterspruch nicht in Sicht. Zu unterschiedlich gehen die Bundesländer bisher an ein Kopftuchverbot heran. Eine eindeutige Klärung des Streits durch Ländergesetze wird bezweifelt.

"Lex Kopftuch"
Warnung vor Ausgrenzungspolitik
Eine überparteiliche Frauen-Initiative hat sich gegen ein Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen in Deutschland ausgesprochen. Ihr Argument: Mit einem Verbot würde eine Ausgrenzungspolitik betrieben, die nur den Fundamentalisten in die Hände spiele. Näheres von Sabine Ripperger aus Berlin.

Dossier
Der Streit ums Kopftuch
Die Kontroverse über das Tragen des Kopftuchs ist nicht nur in Deutschland allgegenwärtig. Auch in den Nachbarstaaten und in der islamischen Welt erhitzt das Thema zunehmend die Gemüter. Wir beleuchten die Aspekte, Hintergründe und gesellschaftlichen Realitäten der Kopftuchdebatte.

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Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (pdf 254 kb)