Verzweiflung im Osten Aleppos und harte Vorwürfe gegen die Rebellen

Wegen der syrischen und russischen Luftangriffe fliehen die Einwohner zu Tausenden aus den Rebellengebieten im Osten Aleppos. Doch werden Vorwürfe auch gegen die bewaffneten Kämpfer der Opposition laut: Hindern sie die verzweifelten Menschen an der Flucht? Von Weedah Hamza und Shabtai Gold

Je dramatischer die Kämpfe um Aleppo werden, desto mehr Menschen fliehen auch aus den Rebellengebieten im Osten der nordsyrischen Großstadt. Zehntausende haben nach Angaben von Menschenrechtlern bereits Schutz in Stadtteilen gesucht, die von kurdischen Einheiten oder sogar von den Truppen des syrischen Regimes gehalten werden. Die monatelange Belagerung, die Entbehrungen, die Gewalt haben den Menschen zugesetzt - auch auf die Rebellen sind viele der Flüchtlinge inzwischen nicht mehr gut zu sprechen.

Einer von ihnen ist Hassan. «Wir wollten eigentlich eher fliehen, aber die Rebellen haben uns davon abgehalten», erzählt der 45-Jährige am Telefon aus dem kurdisch kontrollierten Stadtteil Scheich Maksud. Er habe großes Glück gehabt, die russischen und syrischen Luftangriffe überlebt zu haben, ergänzt er.

Aber seine Unterstützung für die bewaffnete Opposition hat gelitten. Denn diese habe die belagerten Menschen unfair behandelt. «Die Rebellen hatten alles: Lebensmittel, Arzneimittel, versteckt in Lagern. Sie haben uns nur einen kleinen Teil gegeben. Den Rest haben sie für sich und die Familien ihrer Kämpfer behalten», fügt Hassan hinzu. «Wenn du kämpfst, bekommst du das Beste. Wenn nicht, musst du auf das meiste verzichten.» Überprüfen lassen sich seine Angaben nicht.

Viele würden Hassan daran erinnern, dass die Regierungstruppen Gruppen von Flüchtlingen bombardiert und Dutzende von ihnen getötet haben. Andere befürchten, dass die jungen Männer unter den Flüchtenden verhaftet werden. So haben Zehntausende Menschen in Aleppo es auch vorgezogen, sich noch tiefer in die - schrumpfenden - Rebellengebiete zurückzuziehen, um dem aus dem Weg zu gehen, was mittlerweile unvermeidbar scheint: dass die Truppen von Präsident Baschar al-Assad die vollständige Kontrolle über Aleppo zurückgewinnen.

Mohammed wirft den Rebellen vor, Zivilisten für politische Ziele zu benutzen. Der Vater von sieben Kindern berichtet am Telefon, er sei von Kämpfern verhört und geschlagen worden, als diese von seiner Absicht gehört hätten, vor Wochen über einen der von Russland und der syrischen Regierung geöffneten Korridore aus Aleppo zu fliehen.

«Ich wollte gehen, weil meine Kinder Hunger hatten und sich wegen der Kämpfe und den Bombardierungen fürchteten», erläutert er und fügt mit zitternder Stimme hinzu: «Ich dachte, dass meine Kinder sterben, wenn ich bleibe.»

Auch die Vereinten Nationen haben Vorwürfe bestätigt, dass bewaffnete Gruppen Menschen vom Fliehen abhalten. Es gibt zudem Berichte über Proteste gegen die Opposition, weil diese die schwindenden Hilfslieferungen in den belagerten Gebieten ungerecht verteile. Als die Bedingungen im Osten Aleppos schwieriger geworden seien, habe sich auch das Verhalten der Rebellen verschlechtert.

«In den vergangenen Monaten sind sie aggressiv geworden gegen die Menschen, weil sie spürten, dass diese erschöpft und hungrig sind und flüchten würden, wenn sie eine Chance hätten», berichtet Ibrahim Doud.

Allein in den vergangenen zwei Wochen sind nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte im Osten Aleppos mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen 42 Kinder. In dem von der Regierung beherrschten Westen Aleppos seien etwa 50 Zivilisten bei Bombardierungen durch die Rebellen getötet worden. Auch Hunderte von Kämpfern auf beiden Seiten starben. 

Bahjat Srour, der mit einer örtlichen Gruppe an der Seite der Kurdenmiliz YPG kämpft, erzählt, seinen Leuten stünden nur begrenzt Vorräte zum Verteilen an die Flüchtlinge bereit. Die YPG hat daher um internationale Hilfe gebeten. «Wir haben nur unsere humanitären Pflichten erfüllt. Diese Menschen sind unsere Brüder, sie sind Zivilisten, die Schutz suchen.» (dpa)

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